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etwas darauf zu erwidern.

      Sie spielten zwei Partien, von denen der Tod wenigstens eine gewann. Als Kalinika zurückkam, war der Ehinwein leer. In der Hand hielt sie ein großes Glas mit trübem Wasser und einem hässlichen Fisch darin. Er schwamm im Kreis und blickte mit gelben Augen ins Leere.

      »Dieser Fisch bist du«, sagte die Hexe.

      Verständnislos blickte der Tod sie an.

      »Du darfst ihn vorab nicht töten. Begrabe ihn tief in der Erde an einem Ort, den du nicht wiederfinden kannst. Lass ihn am besten von deinem Koch begraben, damit du die Stelle erst gar nicht kennst. Der Fisch ist dein Herz. Und so verliert die Besitzerin die Macht über dich, denn dein Herz ist anderswo.«

      Der Tod nahm das Fischglas entgegen und blickte dem Tier ins Gesicht. Obwohl seine Situation ernst war, widerte ihn der Gedanke an, so hässlich zu sein.

      »Das bin ich?«, fragte er. »Was wird mit meinen ganzen anderen Gefühlen? Werde ich mich freuen können? Werde ich …« Er stockte.

      Die Hexe nickte und dehnte ihren Arm, als hätte sie schwere Arbeit geleistet. »Du wirst es kaum merken. Doch das Band zwischen euren Seelen wird zerschnitten sein.«

      Der Tod klemmte sich das Fischglas unter den Arm. »Also gut.« Er ging zur Tür.

      »Warte!«, rief Lert und holte aus einer dunklen Ecke eine weitere Flasche Ehinwein. »Für Safferle. Ich weiß, er mag ihn.« Lert gab ihm die Flasche und drückte ihn fest. »So schlimm ist das gar nicht.«

      »Doch, das ist es«, sagte Kalinika, als auch sie ihn an sich drückte. »Du könntest dich nicht gegen sie stellen, auch wenn es dir wehtun würde.«

      Der Tod nickte beiden zu und verließ das Haus. Er mochte es nicht, wenn andere ihm zusahen, wie er verschwand, also lief er lieber ein Stück. Noch einmal blickte er hoch zu den Sternen, zu den falschen und den echten.

      Die Bewohner von Jui hatten die reizvolle Angewohnheit, zu erstarren, sobald ein Problem auftrat. Es war eine Art Schockstarre, die sie für Jahre einfror, ohne dass sie starben. Erkannte einer eine große Gefahr, sendete sein Körper Stoffe aus, die alle Bewohner erreichten. Augenblicklich blieb ihr Biorhythmus stehen. Die längste bekannte Zeit waren fast zwanzig Jahre! Damals hatte ein Virus viele dahingerafft. Doch das erstarrte Jui überdauerte den Virus, der ohne neue Patienten ausstarb.

      Genau das passierte, als der Tod nach der Weihung die Tür hinter sich schloss. Als er den Wirt abholte, der neben den Eseln längst nicht mehr atmete, war Jui schon eingeschlafen. Allerdings war Aru, die Redner-Tochter, kein Virus und auch sie war mit den anderen erstarrt. Die Stadt hatte sein Problem mitgenommen und als sie zwei Jahre später wieder erwachte, war Aru noch immer da.

      Als sie acht Jahre alt war, wanderte sie so weit, bis sie einen kleinen Kastanienwald fand. Unter den über hundert Jahre alten Kastanienstämmen trafen sich deren Wurzeln, mit denen sie sich untereinander austauschten. Über viele Erdschichten hinweg wurden die Verzweiflungen der Oberfläche in die Tiefe getragen. Die feinen Wurzelspitzen berührten die der anderen Kastanien wie Nervenbahnen und transportierten die Geschichten weiter.

      In diesem Geflecht hing ein ausgewaschenes Herz. Obwohl es blutleer weiß erschien, war es nicht tot. Seinem Körper entnommen, pochte es noch immer wie ein für den Kastanienwald eigener Erdkern.

      Viele Meter darüber schaukelte ein Mädchen in den Ästen, die wie Lianen fast bis zum Boden reichten. Mit Leichtigkeit umklammerten ihre Hände das biegsame Holz, die Beine folgten und schwangen über den Abgrund, der sich hinter der Kastanienallee auftat.

      Über ihr saß ein türkisfarbenes Huhn in der Baumkrone und guckte zu. Der Blick des Mädchens war auf die Wiesen und die Stadt im Moor vor ihr gerichtet. Nichts dort schien zu ihr zu halten. Doch zwischen diesen alten Bäumen war sie sicher.

      Das Mädchen ließ den Ast los und sprang in den grasigen Hügel. Sie jauchzte. Als sie zurück nach Jui lief, dachte sie, die starken Kastanien würden sie ein Stück begleiten. Dabei blieb das Herz sicher im Wurzelgeflecht zurück.

      Aru wusste, dass etwas mit ihr nicht stimmte, weil sich jeder ihr gegenüber seltsam benahm, aber sie wusste nicht, woran es lag. Niemand wollte ihr die Geschichte erzählen, lieber unterhielten sie sich darüber ohne sie. Mit der Zeit kamen immer mehr Details dazu, ob der Tod nun auf einem Bullen angeritten kam, sie am Tag ihrer Geburt schon holen oder sie gar zu seiner Nachfolgerin machen wollte.

      Ihre Eltern verstärkten Arus Ängste. Ihr Vater, der Redner, vollzog in regelmäßigen Abständen eine Reinigung. Dabei bedeckte er ihre gesamte Haut mit einer Paste aus Umbutkraut, das an den Unterseiten der Holzbretter bis in die Tiefen des Moores hinein wuchs, und setzte sie in die Sonne, bis die Masse trocknete und von alleine abfiel. Nicht selten leisteten die Hühner ihr Gesellschaft und spielten mit den herabgefallenen Umbutklumpen. Manchmal fanden sie darin eine Schnecke.

      Wenn Aru Pech hatte, sah ein anderes Schulkind sie. Diese wurden nie müde, ihr neue Spitznamen zu geben. Aru-Stinkekuh hielt sich am hartnäckigsten, nach den Kühen, die am Rande des Moores lebten, weil sie die jungen Umbut-Triebe liebten, die dort auf toten Bäumen wuchsen. Manchmal wagten sie sich zu weit hinein und verendeten in Schlamm. Noch schlimmer fand Aru aber Todeshure, auch wenn sie den Begriff nicht ganz verstand.

      Ihre Mutter beachtete sie nicht. Aru hatte schon erlebt, wie sie von ihren vier Kindern sprach und damit ihre älteste Tochter ausschloss. Die Frau des Redners fürchtete sich vor der seltsamen Kleinen, die oft lange ins Leere blickte. Eines Tages schrie sie den Redner an, er solle sie aus dem Haus werfen. Doch er weigerte sich, da er nicht den Zorn des Todes auf sich lenken wollte.

      »Sie steht unter seinem Schutz und wir haben die wichtige Aufgabe, Jui vor ihr zu schützen«, sagte der Redner.

      Die Köchin mischte sich in den Streit ein: »Oh, hätte ich bloß nie den Rhabarberkuchen für Armondin gebacken!«

      Sie war es gewesen, die die gute Bilgrim mit dem Kuchen vor der Geburt gnädig stimmen wollte. Noch zehn Jahre später machte sie sich Vorwürfe, dass sie keine kleinere Frucht gewählt hatte, an der man nicht so gut ersticken konnte.

      Was Arus Eltern und die Köchin nicht wussten, war, dass Aru unter dem Küchentisch saß und zuhörte. Den Ort hatte sie einige Tage vorher entdeckt, als das Huhn, das nach der Geburt auf ihr gelegen hatte und seitdem nicht mehr von ihrer Seite wich, darunter lief und sich in einen großen Suppentopf legte.

      Der Ort brachte Bilder in Arus Kopf, die Geschichten aus uralten Zeiten zeigten, als es Jui noch nicht gab und die Mooräpfel sich von den Wurzeln lösten und an die Wasseroberfläche ploppten. Niemand sammelte sie ein und sie trieben davon, um irgendwo neue Moorapfelbäume wachsen zu lassen.

      Unter dem Tisch blieb Aru verschont von Schlammsäuberungen oder Hänseleien. Dafür bekam sie die Gespräche der Erwachsenen mit und hatte schon viel über die Nacht, in der sie geboren wurde, erfahren.

      »Wir verheiraten sie, so schnell es geht mit einem Mann von anderswo«, sagte ihr Vater. Aru sah nur seine erdverkrusteten Schuhe und Hosenbeine.

      »Geht das denn? Sie ist noch sehr jung. Vielleicht ja auf dem Festland.« Ihre Mutter stand weiter weg und so sah Aru sie nur bis zum dicken Bauch, in dem ihr neues Geschwisterteil heranwuchs.

      Aru umklammerte ihre Knie, um nicht laut schluchzen zu müssen. Stattdessen weinte sie still.

      »Ein paar Jahre werden wir noch warten müssen«, sagte der Redner. »Aber sie sieht auch älter aus, als sie ist. Das wird schon gehen.«

      Arus jüngster Brüder Kamur hing an der Hand ihrer Mutter. Er war erst knapp über einem Jahr, doch auch er hatte schon mitbekommen, dass Aru nicht wirklich zur Familie gehörte.

      Das Kleinkind streckte den Arm aus, zeigte auf seine große Schwester unter dem Tisch und rief: »Da!«

      Die

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