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Tod hatte die Koordinaten nie gebraucht, da ihn das Fläschchen bisher immer geführt hatte. Jedoch konnte er sich gut vorstellen, dass sie nützlich waren, wenn man ein Fläschchen verlor. Er war ein akribisch ordentlicher Mensch, aber sicher war es einigen Vorgängern schon passiert.

      Er notierte den Namen in seinem Kalender. Das Tintenfass balancierte er dabei auf dem offenen Buch und tunkte mehrmals die Füllfeder hinein. Ebenso handhabte er es mit den anderen Namen. Zwei weitere schwierige Namen und drei wichtige. Die letzte Seele würde Arus Mutter sein, tief in der Nacht. Noch wusste sie nichts davon. Wahrscheinlich! Manche hatten einen siebten Sinn, wie sie dem Tod nach ihrem Ableben erzählten.

      Der Tod schob das letzte Buch zurück an seinen Platz und klappte den Kalender zu. Also würde er den Tag doch in Angriff nehmen! Er war stolz auf sich, den Mut dafür aufgebracht zu haben. Diese Aru und ihre Familie hatten seinen Alltag ganz schön durchgeschüttelt.

      »Safferle!«, rief er, als er die Tür der Bibliothek hinter sich schoss.

      Sein Koch reagierte nicht.

      »Safferle!«

      Er fand den Koch in seiner Küche, wo er Gemüse zerhackte, ein wenig stärker als nötig.

      »Safferle«, sagte der Tod. »Ich esse heute auswärts zu Abend. Ich will gucken, ob sie in Jui einen neuen Wirt für diese großartige Schänke gefunden haben.«

      »Na toll!« Sein Koch ließ das Messer scheppernd auf die Holzarbeitsfläche fallen. »Und das ganze Gemüse kann ich wegwerfen?«

      »Das könnt ihr doch essen.«

      »Es ist viel zu viel!«

      »Dann bleibt was übrig, was ist daran so schlimm?«

      »Ich werfe nun mal nicht gerne etwas weg! Das ganze Zeug ist wertvoll, was man hier vielleicht nicht immer merkt, es gibt ja alles. Trotzdem muss man nicht alles verschwenden!« Safferle hatte beim Schimpfen das Messer wieder aufgehoben und hackte nun weiter.

      Dem Tod dämmerte, dass es nicht um das Gemüse ging.

      »Bist du sauer?«, fragte er.

      »Fünfzehn Jahre sind es nächstes Jahr und ich stand immer an deiner Seite. Ich weiß, dass ich nur dein Koch bin, aber ich hab uns für Freunde gehalten!«

      Der Tod kam hilflos näher. Zwar vertraute er Safferle, aber er hatte sie immer in einer Art persönlicher Geschäftsbeziehung gesehen. Freunde, das waren für ihn Kalinika und Lert.

      »Ich doch auch«, sagte er.

      »Ich dachte, man könnte auch mal eine leichte Kritik anmerken, aber anscheinend bin ich hier wirklich nur ein Angestellter!«

      Der Tod unterdrückte ein Lachen, endlich wusste er, worum es geht!

      »Ach das! Nein, das war gut, wirklich. Ich bin danach ins Labor und hab die Namen neu notiert. Schau!« Er zog den Kalender aus seiner Manteltasche und klappte ihn an der herausgerissenen Seite auf. »Hier stehen wieder alle Namen, auch der von Arus Mutter, schau doch. Ich werde den Tag über ganz normal arbeiten. Gar kein Problem. Das hab ich dir zu verdanken, weil du mich so zurechtgewiesen hast.«

      Das stimmte nicht, aber der Tod konnte noch nie gut Streitereien ertragen. Und wer weiß, vielleicht hatte Safferle mehr ausgerichtet, als ihm bewusst war.

      Safferle hörte mit dem wütenden Hacken auf.

      »Ja?«, fragte er.

      Der Tod trat um den Tisch herum und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ja. Und du und deine Familie sind das, was dieses Haus zum Zuhause macht.«

      Die Augen des Kochs leuchteten. »Ach, wir machen doch gar nichts.« Er lächelte breit und schnitt wieder das Gemüse, nun mit gleitenden Bewegungen. »Was wolltest du?«

      »Ich esse heute auswärts, in Jui.«

      »Sehr gut. Ich mache Pfannengemüse und stelle den Rest auf die Terrasse in den Schnee. Dann kannst du es morgen noch essen. Wenn du dazu kommst, bring mir doch eingelegte Mooräpfel mit. Ich bin auf ein altes Rezept gestoßen, Moorapfelcreme, das würde ich gerne probieren.«

      Der Tod verließ die Küche und streckte sich lange. Er war nicht nur ein guter Tod, er war auch ein guter Freund! Zufrieden schnipste er und weil er das Geräusch mochte, gleich noch zweimal.

      Dann verschwand er.

      Zwei Königinnen starben fast zeitgleich beim gemeinsamen Mittagessen. Die erste, Wlerta pon Kjasch probierte den neuen Wein und fiel in einen tiefen Schlaf, der zu ihrem unbemerkten Tod führte. Ihre Schwester Pfunta pon Kjasch, die nun Königin war, ohne es zu wissen, nahm den Becher aus der Hand der anscheinend volltrunkenen Wlerta und probierte ihn mit dem gleichen Ergebnis. Nun ging der Thron an den jüngsten Bruder Omp, der, misstrauisch geworden, das Schwert zückte, jedoch von hinten niedergestochen wurde. Seine Frau und die zwei Kinder starben durch Pfeile.

      Der neue König war der Attentäter Klibb, der Neffe und ehemals siebter in der Rangfolge. Innerhalb zwei Minuten hatte er sämtliche Thronanwärter vor ihm ausgelöscht.

      Er trat durch die Flügeltür und bestaunte sein Werk. Die Ritterin Marwa nahm ihren Helm ab und wischte das Blut vom Schwert mit der Tischdecke ab. Sie half Klibb, weil sie hoffte, er würde sie zur Frau nehmen und somit zur Königin machen. Was sie nicht sehen konnten, waren die beiden schwierigen Seelen, Wlerta und ihr Bruder, die um ihn herumschwirrten, und den unsichtbaren Tod, der ihnen mit den Fläschchen hinterherrannte.

      »Er soll brennen!«, schrie Wlertas Seele.

      »Er soll leiden!«, schrie Omps Seele.

      »Was für Irre«, murmelte der Tod.

      Er war mehrmals im Jahr hier, um tote Königinnen oder Könige einzusammeln, bald würde in dem Reich niemand mehr übrig sein. Warum war diese Position auf dem Thron bloß so beliebt, wenn es nichts Tödlicheres gab?

      Kurz darauf holte er eine wichtige Seele aus einem Bergdorf ab. Ein junger Mann, fast noch ein Kind, war in eine Felsspalte gestürzt.

      »Hallo Tergol, du bist tot«, sagte der Tod.

      »Schade«, sagte der Junge. »Ich hätte fast ein Schwert kaufen können. Wer beschützt jetzt meine Familie? Meine älteren Geschwister sind nicht flink genug.«

      »Sie werden es werden.« Der Tod hatte in Wirklichkeit keine Ahnung, was werden würde. Aber er hatte es sich angewöhnt, es den Seelen nicht noch schwieriger zu machen.

      »Fast hätte ich Gahami angesprochen. Vielleicht hätten wir geheiratet und Kinder bekommen. Vielleicht wären wir in eine Stadt gezogen.«

      »Jetzt bist du tot«, sagte der Tod.

      »Und ich wollte noch das Dach reparieren, meine Familie wird sonst erfrieren.«

      »In deinen früheren Leben warst du ein wichtiger Zauberer. Was ist passiert?«

      Tergol schaute traurig auf seinen verdrehten Körper. »Ich hab schon gespürt, dass da etwas war. Aber Magie ist nur etwas für Reiche. Dafür muss man Zeit haben.«

      »Das nächste Mal vielleicht«, sagte der Tod und öffnete die Flasche.

      Die nächste Seele war ein Zauberer, der auch ein Zauberer wurde. Fixdarial wohnte an einem Strand zwischen den Bergen. Der Tod konnte sogar die Bergspitze sehen, auf der er wohnte.

      »Ich wusste es, ich habe es geahnt, dass du heute kommst«, sagte der Zauberer und schwirrte durch sein unordentliches Haus, als würde er noch leben.

      »Das sagen viele, ich glaube es nie«, sagte der Tod.

      »Darf ich noch etwas loswerden?« Fixdarial setzte sich auf die Stufe vor dem Kamin und überschlug die Beine. »Wirklich bereuen tue ich ja nichts, aber da gibt es–«

      »Nein«, sagte der Tod und fing ihn ein.

      Die

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