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der Tasche und stellte es auf den Tisch. Kalinikas Augen blitzten auf.

      »Das ist ja hübsch«, sagte sie. Ein mickriger Versuch, ihre Begeisterung herunterzuspielen.

      Sie streckte die Hand danach aus, doch der Tod hielt das Glas fest. »Es ist die Seele eines Zauberers.«

      »Ein Zauberer? Wie kommst du an einen Zauberer, noch dazu einen toten?«

      Endlich ließ der Tod das Glas frei. Sie hob es dicht ans Auge und sah zu, wie sich die Galaxien drehten.

      »Er wollte nicht gehen, da hat ihn mein Vorgänger da hineingesperrt, damit er nicht frei herumgeistert, und Schaden anrichtet.«

      Kalinika nickte. »Man wird kein Zauberer, ohne über Leichen zu gehen.«

      »Das ist ein bisschen ein Klischee, oder?«

      »Aber es stimmt!«, mischte sich Lert ein. »Zumindest meistens. Zauberer sind verrückt. Anders kann man so gar nicht werden.«

      »Woher hast du das?«, fragte Kalinika.

      Das wollte der Tod nicht verraten. Seine Vorliebe für das Klauen war nichts, das sich zum Prahlen eignete.

      »Keine Ahnung mehr. Vielleicht ein Geschenk oder so.«

      Sie schienen ihm zu glauben. Er atmete auf. Lügen mochte er nicht, das sorgte jedes Mal für verspannte Nackenmuskeln.

      »Und jetzt schenkst du es mir?« Kalinika drehte das eingeschlossene Universum mehrmals im Kreis. Sie beugte sich vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Danke.« Mit dem Kuss wehte eine kühle Brise von ihr zu ihm.

      Sie stellte das Glas mit der Seele hinter sich aufs Fensterbrett, setzte sich zurück auf ihren Platz ihm gegenüber und schaute ihn konzentriert an. Es hätte dem Tod unangenehm sein können, aber er war das Prozedere gewohnt. Lert legte seine erste Karte. Sie zeigte die Zahl 8 und einen majestätischen Laubbaum. Die Baumkönigin Aru!

      Der Tod zuckte zusammen und Kalinika blickte überrascht auf sein Herz.

      »Du musst schon auch was legen«, sagte Lert.

      Der Tod befolgte ihn und legte eine 7, die eine Rübe zeigte, die angeblich so gesund war, dass sie Leute kurz vor dem Sterben gesund gemacht haben sollte.

      Lert haute vor Freude auf den Tisch und sammelte beide Karten ein. Das Todesspiel war ein Spiel für Kinder, bei dem es nichts zu denken gab und man trotzdem die süßen Erfolgserlebnisse zu spüren bekam, genauso wie die Enttäuschungen. Ein Spieler war der Tod, der andere – oder die anderen – war menschlich und versuchte, eine höhere Karte als der Tod zu legen, um diesem zu entwischen. Dabei durfte immer nur die obere Karte vom Stapel abgelegt werden. Man führte zwar jede Handlung selbst aus, konnte aber trotzdem nur zuschauen.

      Der Tod war in dieser Runde der Tod und er legte nun eine 2, die eine Strohpuppe zeigte. Lerts Karte war eine 5 und wieder schlug er auf den Tisch. Die Kerzenständer darauf wackelten gefährlich.

      Kalinika stand auf und massierte den Nacken des Todes. Ihre Augen schlossen sich, als die Finger auf einem Punkt liegenblieben. Der Tod fand nicht, dass die Berührung unangenehm war.

      Die Hexe arbeitete meistens, ohne dass es auffiel. Ihr Mann hatte dabei die wichtige Aufgabe, die Patienten abzulenken. Denn was diese nicht merkten, war, dass Kalinika tief in sie hineinschnitt. Der Prozess war ein Dialog, am liebsten sprach sie mit Muskelsträngen. Und so erfuhr sie, was dem Herzen des Todes geschehen war.

      »Ha, eine Serenika!«, rief Lert und legte eine 9 mit einem Bild des türkisfarbenen Huhns auf den Tisch.

      Es war die höchste Karte und der Tod konnte nur gewinnen, wenn er ebenfalls eine 9 hatte, von der es nur eine weitere im Spiel gab. Doch er deckte wieder eine Strohpuppe auf.

      Lert schlug gleich zweimal auf den Tisch und fing einen der Kerzenständer auf, der endgültig umfallen wollte. Wachs tropfte auf seinen Daumen, doch er schien es nicht zu bemerken.

      Kalinika setzte sich wieder. Sie wartete ab, bis die beiden ihr Spiel beendet hatten – Lert hatte gewonnen und schenkte jedem Ehinwein ein.

      »Du hast ein großes Problem«, sagte Kalinika eindringlich. Der Tod glaubte, in ihren Augen einen hohen Wellengang zu erkennen. »Dein Herz gehört dir nicht mehr.«

      Seine Zunge schmeckte plötzlich nach Eisen. Lert schob ihm voraussehend die Flasche Ehinwein hin.

      »Was bedeutet das?«, fragte der Tod.

      »Jemand hat dich berührt. Dort, in deinem Inneren.« Sie zeigte auf seine Brust. »Der neue Besitzer deines Herzens kann über alles bestimmen, was du tust.«

      Gedankenverloren legte der Tod die Hand auf sein Herz. Er dachte an das kleine Mädchen, das schon am Tag seiner Geburt Hallo gesagt hatte. Seitdem hatte er oft an sie denken müssen. Sie hatte unbedarfte Erinnerungen aus Kindheitstagen geweckt, die lange hinter anderen hässlicheren vergraben waren und deren Sanftheit ihn erschreckten. Dieses Kind soll er gewesen sein? Er stand abrupt auf und warf dabei den Stuhl um.

      »So ein Unsinn!« Schwer stützte er sich mit beiden Armen auf dem Tisch ab. Kalinika war bei seinem Ausruf zurückgewichen. »Mich haben schon viele Leute berührt! Meine Eltern, meine Schwester, du, der alte Lert da–«

      Die Hexe legte ihre Hand auf seine. »Es gibt Berühren ...« Sie hob die Hand an und ließ sie noch behutsamer wieder sinken. »... und Berühren.«

      »Sie ist ein Kind! Alleine an so etwas zu denken, ist widerlich.«

      Kalinika schüttelte den Kopf. »Du kannst dich nicht hinter deiner empörten Moral verstecken. Du und ich wissen beide, dass es dir nicht an Frauen mangelt. Du musst nicht auf eine in ferner Zukunft warten. Was du fürchtest, ist eine andere Art von Liebe.«

      Der Widerstand zerbrach. Er senkte den Kopf und ergab sich der Wahrheit. »Sie heißt Aru. Ich habe sie selbst benannt.«

      »Wie die Baumkönigin? Wie kam es denn dazu?«

      Der Tod spielte mit dem Becher. Irgendwann hatte er ihn wieder gelehrt, er hatte es gar nicht gemerkt.

      »Hilf mir«, sagte er. »Hilf mir.«

      Kalinika lehnte sich zurück und der Tod erkannte, dass sie in eine Trance verfallen war. Es dauerte nicht lange und sie stand auf.

      »Spielt noch eine Runde«, sagte sie und verließ das Haus.

      Fragend blickte der Tod Lert an.

      »Ich hab auch keine Ahnung, was sie macht«, erwiderte dieser.

      »Du als ihr Mann musst sie doch verstehen.«

      »Sollen sich Freunde nicht besser verstehen können, als wenn man in einer Beziehung ist?«

      Der Tod schnaubte und sammelte die Karten ein, um zu mischen. Kalinikas rätselhaftes Verhalten war ihm jedes Mal interessant vorgekommen, doch manchmal machte es ihn wahnsinnig. Vor allem, wenn es um offene Fragen ging.

      »Sie wird mir doch helfen können?«, fragte er.

      »Zumindest wird sie viel daransetzen. Sie mag Geschichten, in denen es um Verbindungen zweier Menschen geht.«

      »Verbindung! Als ob ich eine Wahl hätte.«

      »Die haben die wenigsten, wenn es um Gefühle geht. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um Hass oder Sympathie dreht. Und die Wahl hatte ich auch nicht, wenn man meine Liebe zu Kalinika betrachtet.«

      Überrascht blickte der Tod auf. Im ersten Moment hatte er ausrufen wollen, dass es sich um etwas völlig anderes handelte, doch er spürte, dass das Gespräch eine Wendung genommen hatte, weg von ihm. Hatte Lert große Kompromisse eingehen müssen? Er hatte nie darüber nachgedacht. Sein Bündnis mit Kalinika war dem Tod wie der Himmel auf Erden vorgekommen. Der Moment verstrich, in dem Lert es hätte ausführen können.

      »Ich bin anderer Meinung. Jeder hat die Wahl und Gefühle kann ich auch wahrnehmen, ohne mich von ihnen lenken zu lassen. Sie sind weder gut noch schlecht, erst meine Handlungen stecken sie in diese Schablonen.«

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