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      »Nimm die drei Gaben zurück!«, schrie die Köchin. »Niemand will drei Gaben von dir, da endet alles nur im Totenreich.«

      »Dort endet alles, meine Liebe. Und du sicher früher als später!« Wieder streute der Tod imaginäres Salz, um seiner Drohung mehr Kraft zu verleihen, und schloss die Tür hinter sich.

      Niemand folgte ihm. Nach dem hell erleuchteten Schlafzimmer brauchte er eine Weile, um im dunklen Flur sehen zu können.

      »Nervige Omas«, sagte er laut, in der Hoffnung, man könne ihn noch durch die Tür hindurch hören. Wenigstens hatte er einen Moorapfel gekriegt.

      Vor ihm standen mehrere dekorative Gegenstände auf einem Deckenbalken. Wieder mehrere Strohpuppen – man musste ihn in diesem Haus wirklich fürchten –, ein bemalter Stein und ein Silberkrug. Der Tod brauchte dringend noch einen Wollgrasschnaps. Wo er eben noch gestanden hatte, füllte Luft die abrupt entstandene Leere.

      Es dauerte einige Zeit, bis der Tod bemerkte, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Es fing bei den einsamen Abendessen an. Normalerweise genoss er die letzte Mahlzeit des Tages, wenn er in einem Abenteuerroman las und Ehinwein trank, bis er auf dem Sitzkissen einschlief. Doch nach seinem Besuch in Jui konnte er sich nicht mehr auf den Helden aus der Unterwasserstadt Amidas konzentrieren. Er stocherte in seinen Backfüßen herum und verstand nicht, warum ihm das Leben so beschwerlich fiel. Der Tod bat seinen Koch Safferle, sich zu ihm zu setzen.

      »Fühlst du dich wohl bei mir? Kochst du gerne für mich?«, fragte er.

      »Es ist schön hier, Tilonn. Ich koche für jeden gerne, solange er so einen guten Geschmack hat wie du.«

      Safferle, ein kleiner Mann mit Haut wie Vulkangestein war seit vierzehn Jahren sein Koch und hätte kaum zufriedener sein können. Safferle konnte so mit sämtlichen Zutaten der Erde experimentieren, zu denen er sonst keinen Zugang gehabt hätte. Er hatte extra für die Stelle die Lautsprache gelernt, denn in seiner Kultur kommunizierten sie ausschließlich durch Gesten und Mimik.

      Der Tod wusste eigentlich, wie gerne Safferle für ihn arbeitete. »Wie geht es deiner Frau?« Auch das wusste er, er hatte sie vor ein paar Stunden im Garten getroffen.

      »Sie ist glücklich, weil ihre Kollektion fertig ist.« Safferles Frau entwarf Kleidung aus Wurzelfasern, die in den großen Städten beliebt waren.

      »Und Sinne?« Der Sohn seines Kochs würde nächstes Jahr zum Studieren ausziehen.

      »Sinne geht’s auch gut. Wie sieht es mit dir aus? Du bist so schwermütig.«

      »Ja.« Der Tod schob seinen Teller weg.

      »Hat deine Schwester wieder geschrieben?«

      Der Tod verneinte. Er mochte es nicht, wenn sie erwähnt wurde.

      »Soll ich noch eine Nachspeise machen?«

      »Ich will Schokolade«, wimmerte der Tod.

      Er erkannte, dass der Zustand nicht von allein verschwinden würde. Er brauchte Kalinika. Doch die Hexe war vorsichtig mit ihren Gaben, sie würde etwas Gutes haben wollen.

      Während er Schokoladenkuchen im Stehen aß, betrachtete er die Regale mit dem Diebesgut. Ein kleines Glas mit Korken fiel ihm auf. Der Inhalt schien sich zu bewegen und beim Näherkommen sah man, dass sich darin ein kleines Universum befand. Ja! Das gehörte zwar zu seinen wertvolleren Gegenständen, doch Kalinika würde nicht Nein sagen können. Er sagte Safferle, dass es spät werden würde, und ließ die Luft seinen Platz einnehmen.

      Dafür verdrängte er die feuchtwarme Luft in einer Höhle gar nicht so weit von ihm entfernt, in der am Rande eines Sees ein Haus mit rundem Dach stand. Unter ihm war die Erdplatte dünn und Lava erwärmte diese. Über ihm konnte man eine Öffnung in der Felsdecke ausmachen, durch die Sterne leuchteten. Am Stein hangelte sich die Kletterpflanze Ehin hinunter, zwischen ihnen wuchsen Pilze, deren Hüte ein kühles Licht ausstrahlten. Kniff man die Augen zusammen, konnte man die leuchtenden Punkte mit Sternen verwechseln.

      Der Tod ging auf das Haus zu. Kalinika war zuhause, denn das Feuer zum Kochen flackerte im Fenster. Er atmete flach, denn er konnte weder die Feuchtigkeit noch den Geruch nach modrigem Stein leiden. Sein Kreislauf sackte ab und er kniff sich in den Unterarm, um den Schwindel zu vertreiben.

      »Kalinika!«, rief er, noch bevor er die Türschwelle erreicht hatte.

      Ein Schatten erschien am offenen Fenster. Der Tod erkannte den unverwechselbaren Umriss der Hexe.

      »Tilonn!«, rief sie.

      Augenblicklich entspannte er sich. Ihre Stimme tat das, sie löste alle harten Stellen, wie der Anblick des Meeres.

      Die Tür öffnete sich und Lert, Kalinikas Mann, bat ihn herein. Die Miene des Todes verdüsterte sich. Anfangs hatte er gedacht, er wäre ihr Diener. Er war klein und schmal mit hervortretenden Augen, der Tod konnte sich nicht vorstellen, dass eine elegante Hexe wie Kalinika ihn wählen würde.

      Trotzdem musste er zugeben, dass daraus vor allem die Eifersucht sprach. Lert war ein warmer Mensch und ein guter Gesprächspartner. Doch der Tod war gut aussehend und nicht weniger interessant. Seit der ersten Begegnung mit der Hexe hatte es eine unbestreitbare Anziehung zwischen ihnen gegeben. Der Tod fragte sich oft, was gewesen wäre, wenn er sie zuerst getroffen hätte.

      »Mein Freund!«, rief Lert und lächelte.

      Mit dem gemütvollen Funkeln in seinen Augen verlor er größtenteils den Schrecken, den sein Äußerstes verbreitete. Der Kerzenschein im Haus untermalte das rötliche Braun seiner Haut. Ein kadmiumroter Fleck zwischen Kinn und Mund verriet, dass er zu den Sonnenhaltern gehörte.

      »Du hast dich gar nicht angekündigt. Ich befürchte, die Suppe reicht nicht für uns drei.«

      Der Tod winkte ab. Er hatte schon gegessen, aber Lerts Kochkünste waren auch bescheiden. Kalinika konnte gut kochen, vor allem mit Algen und Fisch, aber sie hasste es, weswegen sie sich meistens drückte.

      »Mein lieber, lieber Tilonn«, sagte seine alte Freundin und kam auf ihn zu, ihre Bewegungen wie sanfter Wellengang.

      Der Tod spürte, wie sich ihre Muskeln zusammenzogen, als sie ihn umarmte. Das Licht der Pilze verstärkte den dunkelblauen Schimmer ihrer Haut.

      »Ich brauche deine Hilfe«, sprach er in ihre dichten, dünnen Zöpfe.

      »Natürlich, warum sonst solltest du dich blicken lassen? Das letzte Mal warst du doch auch hier, weil du ein Pferd statt seinem Reiter geholt hast. Was ist daraus geworden?«

      Sanft drückte sie ihn in einen Stuhl am Esstisch. Lert stellte ihm einen Becher Ehinwein hin, der beim Gären anders als die Pilze aus Jui seine Leuchtkraft verlor.

      »Den hab ich bei den Drachen-Sonnenhaltern wiedergefunden, bei denen er sich versteckt hat. Er dachte, sie würden ihn beschützen, aber natürlich haben die mich sofort gerufen. Dummkopf. Überall sonst hätte er noch ein paar Jahre als Geist existieren können. Das ist das Problem, wenn man sich zu wichtig nimmt. Als ob ich eine Suchaktion wegen ihm gestartet hätte.«

      »Na ja, du warst schon recht aufgewühlt«, sagte Kalinika.

      »Ich wollte dich doch nur sehen«, sagte der Tod und blickte sie über den Becherrand hinaus an.

      »Und mich!«, sagte Lert und teilte Karten aus.

      Bei jedem Besuch spielten sie ein paar Runden Merr-papa, was man aus der ausgestorbenen Sprache der Sonnenhalter übersetzen konnte mit Todesspiel oder auch Todeskampf.

      »Und dich«, bestätigte der Tod und er meinte es sogar ehrlich.

      Zwar wünschte er sich regelmäßig, mal mit Kalinika allein zu sein, doch hatte er in dem hässlichen Lert einen schönen Freund gefunden. Seit Jahren besuchte er die beiden schon.

      Die Hexe füllte seinen Becher auf und setzte sich zu ihnen. Der Ehinwein schmeckte schal, wie alles, das mit

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