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da der wachsende Wohlstand mit all seinen Folgen nur dem Menschen dienen soll und gleichzeitig den gesamten Planeten bedroht, gewinnt der Begriff der Nachhaltigkeit eine ganz andere, neue Bedeutung: Wie werden das Überleben und die Umwelt der Zukunft gegen die Bedürfnisse und Interessen der gegenwärtig lebenden Menschen gesichert?

      Menschen fällt es schwer, diese Paradoxie zu verstehen. Deshalb wenden sich viele den scheinbar einfachen Lösungen und Versprechungen zu.

       Populistische Zugehörigkeit bei geringen Verpflichtungen

      Insbesondere das Erstarken des Populismus in der heutigen Zeit lässt Politikwissenschaftler wieder auf Platon zurückgreifen. Fukuyama (2019) sieht das Aufkommen des Populismus und dessen Gefährdung der bestehenden westlichen Demokratien vor allem darin begründet, dass der erste Teil von Platons Seelenvorstellung, die Begierde, immer dominanter geworden ist und so die Würde des Menschen, seine Zugehörigkeit zu einer Nation mit höheren Idealen, einer Identität auch mit Verpflichtungen der Menschen füreinander und nicht bloß gegeneinander, immer mehr aufgegeben werden. Heute werden sie dem Konsum, Wohlstand und Egoismus geopfert. Die wachsende Schere zwischen Arm und Reich lässt die Menschen dann sehnsüchtig auf Forderungen hören, die eine neue Gerechtigkeit versprechen. Viele Menschen mögen in Erinnerung an die Arbeiterbewegung noch wünschen, dass sich Mehrheiten soziale Gerechtigkeit und eine Umverteilung der Gelder erkämpfen, aber noch entscheidender scheint für diese Menschen zu sein, sich wieder wichtig und zugehörig zu fühlen, die alten Eliten abzustrafen, die versagt haben, weil sie so viele vergessen haben. Viele Menschen wollen im heute erreichten Wohlstand, so begrenzt und relativ er für Benachteiligte auch sein mag, gern auf der Seite vermeintlicher Löwen stehen, da diese immerhin noch in der Lage zu sein scheinen, Dinge zu bestimmen und in die Hand zu nehmen. So sind Wahlsiege für Trump, Johnson und andere Populisten erklärbar, sie haben sich zu vermeintlichen Löwen erklärt und feiern dies medial, obwohl es nur eine Illusion mit unrealistischen Versprechen ist.

      Fukuyama trifft sicherlich einen Kern, wenn er darauf hinweist, dass die fehlende Zugehörigkeit und ein Mangel an Verpflichtungen in der Gegenwart zum Erstarken des Populismus führen. Zwar versprechen viele Regierungen die Zugehörigkeit zu einer Nation, zu einer Erfolgsgeschichte, und sie behaupten, dass die Reichen den Ärmeren sozial verpflichtet seien, aber die reale Politik straft sie allzu oft Lügen. So kommt es dann zu Wahlsiegern, die vermeintlich gegen ein gieriges Establishment ankämpfen, obwohl sie selbst eines repräsentieren und verschleiern.

      Auf den Aspekt solchen Erfolges, der auf den scheinbaren Mut zurückzuführen ist, geht Fukuyama nicht näher ein. Aber aus meiner Sicht ist auch dieser für den Populismus entscheidend geworden, weil gerade er solche Führungskräfte hervorbringt, die sich scheinbar mutig gegen hergebrachte Lösungen, das sogenannte Establishment, stellen. Trump als US-Präsident war hierfür ein Markensymbol. Er verbreitete eine Aura der schnellen Entscheidungen, Twitter-Botschaften, eine Willkür im politischen Denken, eine Sprunghaftigkeit in beabsichtigten und durchgeführten Interventionen, die schwer von außen nachvollziehbar waren. Zugleich aber gelang es ihm, sein Ego einem medial manipulierten Publikum als allzeit präsent und scheinbar stets wachsam zu präsentieren. Damit bot er Identifikationsflächen für jene an, die ansonsten nicht viel zu sagen haben oder meinen, ohne Stimme zu sein. Ein bescheidener Löwe in einem Freilaufgehege neoliberaler Bauart. Das kann sich dann schnell ändern, wenn dieser Pseudo-Löwe zum Beweis seiner Großartigkeit einen Krieg beginnt. Seine Abwahl hat die Menschheit zumindest davor noch mal bewahrt.

      Die Populisten fokussieren seit jeher auf eine imaginäre Zugehörigkeit, die Menschen eine Heimat und das Gefühl geben, gebraucht zu werden, sich gegen andere abgrenzen zu können, Sündenböcke zu finden, um einfacher in Gut und Böse teilen zu können, wobei Zugehörigkeiten dabei wichtiger sind als Verpflichtungen (vgl. als konkretes Beispiel Eribon 2016). Zugehörig ist man schnell selbst in flüchtigen Verhältnissen, man wird nicht festgelegt, bleibt frei in den Wahlen und Einstellungen, scheinbar offen in den Haltungen. Verpflichtungen hingegen würden auch die Populisten binden, aber genau das würde Forderungen und Verzichtsleistungen bedeuten, die auf der Suche nach Wählerinnen und Wählern möglichst nicht angesprochen werden. Warum sollte der Populist sagen, ihr werdet arm wie bisher bleiben, die Klimaveränderungen werden Verzicht bedeuten, wer mich wählt, wird am Ende noch mehr Schulden haben?

      Der Populismus in seinen Varianten reicht von übertriebenen Versprechungen bis hin zu rassistischen und faschistischen Vorstellungen. Die populistisch-faschistische Variante unter Hitler bedeutete Massenvernichtung: Ich werde dem Volk seinen Raum zurückgeben, sein Recht auf gesunde Abstammung, die Ordnung, die sonst nur versprochen wurde, als Diktatur einrichten. Heute dramatisieren Populisten eher Bedrohungen von außen, sie fixieren sich deshalb auf die Migration, setzen auf Gefühle und Wut, die angesichts vielfach beobachtbarer staatlicher Unfähigkeit in der Regelung des Lebens immer vorkommen mögen.

      Warum sind Populisten immer strikt gegen die Nachhaltigkeit? Sie müssten sich der Wissenschaft zuwenden, sie können kein Feindbild gegen die Natur und Umwelt plausibel konstruieren, sondern nur gegen Personen und ein Establishment. Zudem ist Nachhaltigkeit ein Thema für den Verzicht, der Menschen zugemutet werden muss. Das ist nicht massenwirksam. Alle, die Nachhaltigkeit wollen, eignen sich als Feindbilder, die die Populisten dann für die eigene Macht nutzen können. Wenn Populisten aber in die Regierung kommen, dann zerplatzen alle ihre Versprechungen wie Seifenblasen, und auch die versprochene Zugehörigkeit entschwindet schnell. Dies ist eine besondere Gefahr, weil sich der Populismus in solchen Situationen nur dann in der Macht behaupten kann, wenn er zu diktatorischen Mitteln im eigenen Überlebenskampf greift.

      Platon erkennt, dass die jüngere Generation, wenn sie hinreichend wissend und gebildet ist, ihren Kampf gegen eine Bequemlichkeit führen muss, in die der Mensch sich gern begibt, wenn die Begierden individuell halbwegs erfüllt sind und die Gerechtigkeit zumindest Hoffnung darauf gibt, dass es irgendwann vielleicht noch einmal besser wird. Interessant ist, dass Platon selbst an einer historischen Bruchstelle seinen idealen Staat deshalb als Neuanpassung konstruierte, gleichsam seither eine Aufforderung an jede Generation bietet, auf kreative Weise gegen die bestehende Autorität neue Konstruktionen zu setzen. Es war das Schicksal der Antike, trotz solcher Ideen unterzugehen, so wie auch unterschiedliche Zeitalter sich immer wieder dem hier beschriebenen Konflikt zu stellen haben, ohne dass je eine Lösung auf Dauer funktionierte. Da die Maßlosen, die Ungerechten und Gierigen über die Zeitepochen hinweg so erfolgreich wirken, stellt sich die Frage, ob ihnen je Grenzen gesetzt werden können.

      Auch hier ist Platons Schrift besonders, denn er verschweigt nicht den positiven Einfluss, den die Ungerechten auf die Erfolgsgeschichte der Menschheit ausübten, obwohl sie zunächst immer nur auf die eigenen Vorteile schauen: Eigeninitiative, Wagemut, Durchhaltevermögen, Kraft, Macht- und Expansionsstreben, um den Reichtum zunächst für sich und vielleicht auch für andere zu vergrößern, Stolz auf Leistungen, auf Erreichtes, auf Errungenschaften – lokal und national –, Wohlstand und Überfluss, was Künste und Ästhetik, Architektur, Wissenschaft und Akademien antreiben kann; dies alles sind immer wieder beschworene Leistungen der erfolgreichen Menschen. Vor allem aber und immer wieder der Mut der Tat, des Handelns, des Machens. Dies schafft Zugehörigkeiten. Dies stellt die Erfolgsgeschichte der Moderne, den Fortschritt, dar.

      Die Nachteile, die aus dem Wirken der Ungerechten entstehen, sind ebenfalls wiederkehrend: Wenige profitieren besonders, andere werden abgehängt, ausgebeutet, müssen in die vermeintlich »großartigen« Kriege ziehen, werden als Erste geopfert und immer wieder als faul, bequem, unwert, feige, arm verspottet. Sie sollen allein sehen, wo sie ihren bescheidenen Platz in der Verteilung des Wohlstandes und der Großartigkeit der Nationen finden. Sie sind zugehörig, aber unbedeutend.

      Die Erfolgsgeschichte der Menschheit und einzelner Gesellschaften teilt die Menschen vor dem Hintergrund solcher Vor- und Nachteile in Gewinner und Verlierer auf. Dies war schon zu Platons Zeiten so. Und der Trost, den auch Platon sieht, kann darin bestehen, die Menschen insgesamt damit zu bestärken, als »Volk« bedeutsam zu sein, im Nationalen und im Patriotismus an einer gemeinsamen Größe teilzuhaben. Platons größter Wunsch war es, dass dies nicht nur eine Täuschungsgeschichte der Erfolgreichen ist, sondern einer Wahrheit entspricht. Aber dazu müssten die Vor- und Nachteile der Ungerechten

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