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und damit realistisches – Bild über uns zu erzeugen. Nachhaltigkeitskontrolle kann aus dieser Sicht der Weisheit nie nur rational funktionieren, sie muss immer auch das menschliche Begehren und die Gier nach Wohlstand, Zufriedenheit, Macht und andere Begehrlichkeiten ins Auge fassen. Und es kann nie ein nur beobachtendes und kontemplatives, ein akademisches Spiel sein, das sich in der Theorie des Verstehens beruhigt, sondern das Nachdenken muss immer auch die Tatkraft, Willensstärke, den Mut einschließen, die Triebkräfte, nach denen gehandelt wird. Wenn wir heute diese Triebkräfte beobachten und immer wieder im Alltag erkennen, dann ist das hohe Alter dieser Erkenntnisse ein Beleg dafür, dass es um relativ konstante Verhaltensweisen in der Menschheitsgeschichte geht.

      Erst in der Neuzeit haben Psychologen wie Sigmund Freud diese Dreiteilung der Seele wieder aufgegriffen und sie durch die Begriffe »Es«, »Ich« und »Über-Ich« neu konstruiert, um darauf aufmerksam zu machen, dass der Mensch in seiner Individualisierung ein kompliziertes Wesen ist. Platon erhoffte eine Beherrschung der wilderen Seelenteile durch den menschlichen Teil der Seele. Dieser rationale, vernunftbestimmte Teil kann für ihn das Gute wollen, das, was vortrefflich ist, die Vermeidung des knechtischen Denkens, eine Anerkennung der Furchtlosigkeit, weil es hier um Wissen und Weisheit geht. Für Freud als Vertreter eines Zeitalters der Individualisierung ist dies nicht mehr so einfach, denn im Widerstreit der Anteile ist der Mensch nicht immer Herr im eigenen Haus. Er ist getrieben durch das Lustprinzip, das immer mehr für sich haben will, und wird zugleich gedemütigt durch das Realitätsprinzip, das der Lust die kulturell gegebenen Grenzen setzt. Auch Freud weist dem Ich in der Psyche die wesentliche Aufgabe zu, die Fäden kontrolliert in die Hand zu nehmen. Was also bei Platon noch als universale Erziehungsaufgabe von Staat und Familie als gemeinsame soziale Aufgabe erscheint, wird bei Freud gemäß der Moderne dem Individuum selbst überantwortet, das sein Seelenleben alleine intakt halten soll, weil dies die Aufgabe innerhalb einer relativ selbstbestimmten Freiheit geworden ist. Freud sieht dies eher pessimistisch und als eine Aufgabe der Leidverminderung, denn Lust als Wünschen und Realität als Tatsache scheinen ihm unvereinbar. Lust und die Realität der Klimakrise zeigen diesen Gegensatz heute in vielerlei Formen: So streitet die Freiheit, mobil zu sein, Treibhausgase zu produzieren, Fleisch zu essen, und immer mehr zu konsumieren, gegen den Verzicht, der notwendig wäre, um die Umwelt zu schonen. Beide Seiten bilden einen unüberbrückbaren Gegensatz, wobei es allenfalls eine bescheidene Hoffnung gibt, da der Mensch seit Freud als therapierbar gilt.

      Auch Nietzsche war durch die drei Seelenanteile inspiriert. In seinem Zarathustra zeigt er drei Seiten des Menschen: Zunächst ist der Mensch wie ein Kamel in der Wüste. Durch Erziehung und Bildung, Gesellschaft und Kultur, besonders aber durch religiös zugeschriebene Schuld und Abhängigkeit werden ihm so viele Lasten aufgeladen, dass er immer mehr in die Wüste geschickt wird und sich damit in einer wenig dem Überleben dienenden Vorstellungswelt niederlassen muss. Erst wenn der Mensch der Schlange, die in seinem Schlund steckt, den Kopf abbeißen kann, wenn er sein Selbstmitleid und seine religiösen Hirngespinste, seine Angst vor dem Tod ohne ein Himmelreich aufgeben kann, wird sich der Mensch befreien können und sich in einen Löwen verwandeln, der die Herrschaft über sein eigenes Leben zurückgewinnt. Dieser Löwe ist aggressiv gegen das Traditionelle, das Bekannte, das nach immer mehr desselben ruft, aber sich weigert, den tieferen Fragen der Welt und ihren Problemen ins Auge zu sehen. Nur mit Wagemut und Risikobereitschaft kann sich das Kamel in den Löwen verwandeln und so befreien. Erst wenn der Löwe das Selbstmitleid überwunden und durch seine Kraft eine Veränderung der Welt hervorgebracht hat, könnte sich der Mensch in ein spielendes Kind mit dem Niveau eines Erwachsenen verwandeln: neugierig auf die Welt, mit einem Willen zur Wahrheit, mit experimenteller Kraft und Güte für die Umwelt. Von diesem idealen Menschen sieht Nietzsche den Menschen der Neuzeit aber weit entfernt. Dennoch weist er einen Weg: Der Mensch ist in seiner Erziehung durch Schuldgefühle gegen seinen Gott geprägt, aber weniger von den Notwendigkeiten neuer Taten überzeugt. Er muss sein Selbstmitleid überwinden, wenn er neue Wege gehen will, wenn er die bisherigen Lösungen überwinden und sich neuen Situationen und Herausforderungen stellen will. Übertragen auf die Nachhaltigkeit wäre der notwendige Verzicht, den die Menschheit heute zu leisten hätte, eine typische Selbstmitleidsituation. Es geht uns so gut, wir wollen den Wohlstand, wir wollen immer mehr Konsum, sei es auch, dass das Hochwasser steigt und steigt. Im Überlebenskampf kämpfen wir zunächst für die Überwindung des Selbstmitleids, das uns hindert, persönliche Opfer zu bringen. Denn aus dem Selbstmitleid entstehen Gier und Ignoranz, weil wir unseren Lebensstandard auf keinen Fall verschlechtern wollen.

      Platon, Freud und Nietzsche sollte man nicht gegeneinander ausspielen, sie haben jeder für sich Denk- und Vorstellungswelten ergründet, die alle für die Frage der Nachhaltigkeit jeweils fundamental sind: Platon sieht schonungslos, dass die egoistischen Seelenanteile ohne Erziehung und Regulierung Lebensverhältnisse eher zerstören als erhalten. Freud erkennt, dass es ohnehin für den Menschen wesentlich ist, Strategien der Leidverminderung gegen die überbordende Lust zu entwickeln, was nicht nur den Umgang mit der Sexualität betrifft, sondern in der gegenwärtigen Konsumgesellschaft auch eine Begrenzung der äußerlichen Reize und Angebote meint, um zu sich selbst kommen und bewusst handeln zu können. Nietzsche schließlich dreht das Bild auf den Kopf, denn all das, was wir als Menschen durch Wissen und Bildung erwerben, ist immer auch die Last, die es uns unmöglich macht, tatsächlich so zu handeln, dass die Dinge sich grundlegend verändern. Spielerisch und wohlwollend mit der Welt umgehen könnten wir für Nietzsche erst, wenn wir die großen Veränderungen im Denken und Handeln durch das Abwerfen aller materiellen Lasten und die Überwindung der damit verbundenen Besitz- und Machtgelüste bereits geschafft hätten.

       Die Nachhaltigkeitsagenda des Abendlandes

      Für Platon hat nur jener Staat Bestand, der alle drei Seiten vereinigt, denn er sichert dem Menschen seine Überlegenheit gegen alle Dekadenz und selbst verschuldete Unmündigkeit, wie es später die Aufklärung formulieren wird. Der Mensch kann und soll tun, was er will, was Erfolg, vielleicht auch Erfolg für viele, bringt. Das ist die Nachhaltigkeitsagenda des Abendlandes. Auch hier ist die bildliche Begründung eindringlich. Der Mensch überwindet die Tiergestalten, um sein wahres geistiges Sein zu behaupten: Seht, hier bin ich, ich kann aus vernünftigen und guten Gründen mit der Welt machen, was ich will. Denn weil und wenn ich vernünftig bin, wird die gesamte Welt davon profitieren. So zumindest das Versprechen des Abendlandes.

      Der Neuhumanismus der bürgerlichen Welt, der dieses platonische Erziehungsideal im 19. Jahrhundert als allgemeinen Humanismus beanspruchte, um die gesamte Menschheit zu orientieren, überging allerdings gern den ausbeutenden Standpunkt der Herren. Die Freisetzung der Seelenanteile konnte geschichtlich gesehen immer nur auf Kosten einer arbeitenden Klasse geschehen, die für die geistig frei agierenden und Mut und Begierden auslebenden Herren den Reichtum schuf, den diese zu ihrer sehr umfassend gestalteten freien Existenz benötigen. Das wurde unmittelbar aus der Antike in die Moderne übersetzt und dennoch meist nie ausdrücklich so genannt.

      Platons Bilder sind sehr eindringlich, aber er konnte seinen Staatsentwurf nicht realisieren, die politischen Verhältnisse einer zunehmenden Warengesellschaft zerstörten die auf Tugenden gegründete Restauration, die Athener Gesellschaft zerrieb sich an dem Widerspruch einer Erhöhung der Individualitätschancen bei gleichzeitiger Notwendigkeit kriegerischer Expansion, um Menschen und Rohstoffe für den steigenden Wohlstand auszubeuten. Athen steht in einer Reihe mit vielen anderen untergegangenen Reichen, die an diesen wiederkehrenden inneren Widersprüchen zerbrochen sind. Auch dies ist für die gegenwärtige Nachhaltigkeitsagenda wegweisend: Die Erkenntnis über Wirkfaktoren oder Ursachen fehlender Nachhaltigkeit im eigenen Dasein allein reicht nicht aus, um eine Krise zu bewältigen und den Untergang zu verhindern.

      Im Nachdenken über die alten Ideen entdecken wir einen Grundsatz der Nachhaltigkeit. Gesellschaften, die ihren Erfolg auf bestimmten Prinzipien gründen, müssen diese immer an veränderte Bedingungen, die entweder von außen oder aus ihrer inneren Entwicklung kommen, anpassen. Sie müssen ihre eigene Nachhaltigkeit thematisieren können. Und dies gilt nicht allein für ihre Regierungen, sondern für alle Mitglieder der Gesellschaft. Schaffen sie dies nicht, dann sind sie über kurz oder lang dem Untergang geweiht, weil sie zwar über Widersprüche von außen oder von innen diskutieren mögen, aber ihre Auflösung nicht konsequent betreiben. Hier wird

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