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der Umwelteroberung, auch der Unterwerfung anderer Menschen, und der Beschränkung der dabei erzeugten Zerstörung oder Übernutzung zu beachten ist. Gleichzeitig aber war und ist die Religion auch dafür zuständig, Ungläubige zu unterwerfen, Kolonialisierung, Versklavung, Kriege und Glaubenskriege anzutreiben und grausam durchzusetzen, weil nur die jeweils eigenen höheren Götter als die wahren Götter verherrlicht werden.

      Die in der Religion übliche Trennung von Mensch und Natur, so vermutet White (1967), hat es beispielsweise dem Christentum ermöglicht, die Natur auszubeuten, ohne zugleich einen Ausgleich als erforderlich anzusehen. Andere meinen, dass es durchaus christliche Ansätze gäbe, sich für eine gute und gesunde Umwelt einzusetzen. Aber alle Untersuchungen aus diesem Feld bleiben inkonsistent und gelangen zu entgegengesetzten Schlüssen und Behauptungen (Gifford & Nilsson 2014, 147 f.). Den Zusammenhang von Religion und Nachhaltigkeit zu erforschen, bildet einen eigenen Forschungszweig (vgl. etwa Liege 2018). Die großen Werke der Weltreligionen lassen viel Spielraum in der Interpretation, wobei Nachhaltigkeit meist eher um das menschliche Leben und moralisierende Kräfte kreist, die eine große Offenheit und Bandbreite aufweisen, wenn es um die Folgen menschlichen Handelns auch für die Natur und Umwelt geht. Die Götter sind für die Nachhaltigkeit der Gegenwart nur dann von Nutzen, wenn die Kirchen die Nachhaltigkeit als Schutz der Welt, auf der alle leben, stärker in den Fokus rücken würden. Umgekehrt könnten aber auch die größten Umweltsünden vergeben werden, wenn sie nicht vor dem irdischen, sondern vor einem jenseitigen Richter stehen, der ohnehin erst dann kommt, wenn die Welt zugrunde gegangen ist. Insofern mögen die Religionen weniger geeignete Ratgeber in Nachhaltigkeitsfragen sein, als viele Gläubige vielleicht erhoffen, weil das göttliche Urteil immer zu spät kommen wird. Wollen die Menschen ein eigenes Urteil fällen, dann sind sie auf die weltlichen Angelegenheiten angewiesen, von denen nun gesprochen werden soll.

       Individualität und Autorität im Dauerkonflikt

      Nachhaltigkeitsfallen – vor allem die Falle, die sich auftut zwischen dem, was Menschen vermeintlich wollen, und dem, was sie tatsächlich tun – sind durch das Vorstellungsvermögen und die daraus resultierenden Handlungen bedingt. Sie wurzeln seit der Moderne immer stärker im Freiheitsdrang der Individuen, um die je individuellen, persönlichen Interessen gegen den Rest der Welt durchzusetzen. Auch hier können wir uns an die Antike erinnern, um zu sehen, wie alt das Problem ist.

      Denn klassisch sind die menschlichen Tragödien seit der Antike, die aus Konflikten zwischen bestehender Autorität – menschlich realer oder auf Götter projizierter – und individuellen Handlungen und Haltungen mit einem Eigenleben entstehen. Es gibt immer wieder den Gegensatz zwischen den verallgemeinerten Normen, Werten, gesellschaftlichen Regulierungen und Herrschaftsansprüchen und individuellen Bedürfnissen, Wünschen und Verpflichtungen. Klassische griechische Tragödien zeigen etwa handelnde Akteure, die in bestimmten Situationen entweder die Normen und Gebote der Familie oder die des Staates verletzen. Ödipus und Antigone sind Prototypen einer Verstrickung, die in eine ausweglose Lage führt, in der sie – unabhängig von ihrer Entscheidung – schuldig werden: Entweder werden sie ihren persönlichen Beziehungen und daraus entstehenden Verpflichtungen nicht gerecht, oder sie verletzen eine höhere Ordnung und Autorität, die gesellschaftlich zwingend oder erwartet ist.

      Auf die Frage nach der Nachhaltigkeit in der Gegenwart bezogen heißt das: Soll ich aus Verpflichtung für die Zukunft meiner Kinder den Kohlebergbau in seinen Zufahrtswegen blockieren, mich der Staatsgewalt widersetzen, meinen Job durch Kriminalisierung meines Widerstandes riskieren und dadurch meiner Familie den Lebensunterhalt entziehen? Oder soll ich tatenlos zusehen, wie die Emissionen nach leeren Versprechungen der Politik doch erst später sinken sollen, obwohl dies dann zu spät geschieht? Wen werden wir in 50 Jahren als die Helden der Vergangenheit in der Tragödie der Gegenwart betrachten?

      Moderne Tragödien beschreiben stärker die individuelle Tugend und das nach außen gelebte Beziehungsverhalten einer Person. Je individualisierter die Weltbilder werden, desto stärker treten die sozialen Konsequenzen der Handlungen hervor, die etwas zerstören und großes Leiden erzeugen. Die Heldengeschichten der Moderne sind voller Beispiele von Menschen, die etwas Gutes wollen, obwohl sie wissentlich großes Leid durch ihre Taten auf sich nehmen. Die tragischen Fragen im Verhalten in Kriegs- oder Notsituationen sind wiederkehrend: Sollen Hunderte sterben, wenn ich nur einen retten kann? Oder ist es richtig, das eigene Kind zu opfern, um viele unbekannte andere zu retten? Oder auf die Nachhaltigkeit bezogen: Sollen wir ganze Regionen im Kohlebergbau untergehen lassen und so viele Menschen in die Arbeitslosigkeit treiben, um die CO2-Emissionen deutlich zu senken? Können wir auf das Auto oder Flugzeug verzichten, wenn die Wirtschaft stark von der Mobilität abhängt? Sollen viele Menschen leiden, damit wir ein Klimaziel erreichen, das vielleicht unerreichbar ist, weil andere Länder nicht mitmachen?

      Die Zuspitzung des Dramas kann heute so weit gehen, dass aus der vermeintlichen Tragödie eine Komödie wird. Die gegenwärtige Satire der Klimapolitik oder des menschlichen Verhaltens zeigt hinlänglich, wie »komisch« der Mensch argumentiert oder geworden ist. Er treibt auf seiner eigenen Eisscholle in Raum und Zeit und beobachtet erstaunt, dass die Eisbären keine Eisschollen mehr finden. Aber was gehen uns auch die Eisbären an?

      Die Autorität, die in früheren Zeiten herrschte, vermochte zu sagen, was zu tun ist, weil sie konkrete Regeln setzte und einforderte; Traditionen, nicht hinterfragte Herrschaftsverhältnisse, Gewalt und Angst konnten dies verstärken. In der Moderne verliert die Autorität nach und nach an Kraft, weil sie demokratisiert wird. Was aber, wenn sie in einer Krise Ansagen macht? Das mag uns heute wie Bevormundung scheinen, als Begrenzung der Freiheit und Individualität, Individualität meint aber heute vor allem, dass alle möglichst frei bestimmen können, was möglich ist. Solche Freiheitswünsche stehen den Herausforderungen der Nachhaltigkeit eher im Wege. Benötigen wir also vielleicht eine neue Autorität, um die Individualität wieder zu begrenzen? Dazu müssen wir zunächst fragen, wie es überhaupt um die Geschichte der Autorität steht: Ist sie noch vorhanden, verschwunden oder ersetzt worden? Oder kann sie vielleicht reformiert werden?

      Autorität und Individualität stehen in der Menschheitsgeschichte schon sehr lange in einem Spannungsverhältnis. Seit dem Beginn der Moderne scheint das Bewusstsein über dieses Spannungsverhältnis besonders ausgeprägt zu sein und bis heute einer starken Veränderung zu unterliegen. Es ist für Fragen der Nachhaltigkeit von ausschlaggebender Bedeutung. Blicken wir kurz auf die zwei Seiten:

      (1) Gibt es eine Autorität, die es geboten scheinen lässt, Nachhaltigkeit auf diesem Planeten zu leben? Und wer oder was soll diese Autorität sein? Eine bestimmte Herrschaft, die Wissenschaft, eine demokratische Gesellschaft? Wirkt die Autorität stärker als Fremdkontrolle und Fremdherrschaft oder als Selbstkontrolle und innere Einsicht? Und wie soll diese Autorität das Gebot der Festlegung, der Einsicht, einer Aufklärung, eines Wissens um Nachhaltigkeit dann auch noch tatsächlich nicht nur als Vorstellung, sondern als nachhaltige Handlung durchsetzen?

      (2) Macht das Streben nach Individualität nicht alle Autorität stets zunichte oder schafft sich eine eigene? Im Heranwachsen überwinden die Kinder die Eltern, sie schaffen ihre eigene Welt, sie müssen sich neu an eine veränderte Umwelt anpassen und ihr eigenes Leben führen, was stets die vorhandene Autorität untergräbt. Zugleich werden die Kinder selbst zu Eltern, sie bauen auf einer Autorität auf, um die Wiederkehr des ewig Gleichen in neuen Mustern durchzuführen. Je stärker die Individualität mit ihren Zielen, Wünschen, einem stets wachsenden Konsumverhalten angewachsen ist, desto unwahrscheinlicher wird Nachhaltigkeit.

      Gibt es aus dieser Wiederkehr der sich umkreisenden Gegensätze einen Ausweg? Der jeweilige Ausweg kann offenbar nur gelingen, wenn keine der beiden Seiten aus den Augen verloren wird. Zu lange und zu konstant scheinen diese Kräfte zu wirken. Sie lassen sich nicht vollständig unterdrücken. Alle Lösungen bleiben Kompromisse. Wie ist diese Denkweise entstanden?

      Seit der Antike ist klar, eine wichtige Voraussetzung für die Reflexion unseres inneren, individuellen Zustandes ist zunächst,

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