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der menschlichen Tätigkeiten zunehmen. Dies schließt eine widersprüchliche Bewegung ein: Einerseits entfaltet sich die menschliche Produktivkraft durch mehr und bessere Produkte, und die freie Entfaltung der Menschen nimmt zu, andererseits steigen die Anforderungen an Selbstdisziplin, Selbstkontrolle und die Disziplinierung der eigenen Selbstwirksamkeit an.

      (2) Moderne Gesellschaften differenzieren die gesellschaftliche Struktur. In der Verwaltung der Kooperation und Kommunikation wachsen bürokratische Systeme. Sowohl die Arbeitsteilung innerhalb der Nationen als auch das Zusammenwirken unterschiedlicher nationaler Gesellschaften nehmen zu, was einerseits über Märkte und andererseits über internationale Beziehungen geregelt wird. Hierbei entstehen wachsende Widersprüche in der Ungleichverteilung zwischen Ländern und innerhalb der Länder zwischen Armen und Reichen.

      (3) Prägend für moderne Gesellschaften ist eine Rationalisierung des Handelns, ein Kalkül nach Nutzen und Wirkung, das als vernünftig und antreibend erscheint. Nicht mehr vorwiegend Autorität nach Tradition oder Herrschaft, sondern nach wissenschaftlicher Einsicht und Vernunft scheint bestimmend zu sein. Aber auch dies ist widersprüchlich, denn der kapitalistische Markt bildet einen Referenzrahmen für alle Rationalisierungen und lässt keine Unabhängigkeit der Menschen, auch nicht der Wissenschaften in neutraler Position, zu.

      (4) Schließlich steigt mit der Moderne die Individualisierung an, indem das Individuum aus den Traditionen und engen Verhältnissen persönlicher Abhängigkeiten und Zugehörigkeiten entlassen wird. Die Vergrößerung der Mobilität geht mit einer Erweiterung der Handlungsspielräume einher; Arbeitsmigration und Bildungsexpansion sind zwei wesentliche Erscheinungsformen hiervon, die allerdings ebenfalls die Risiken des Erfolgs oder des Scheiterns ins Individuum verlegen.

      Die Vormoderne war sehr stark durch kollektive Bindungen und Handlungen geprägt. Allein auf sich gestellt war der Überlebenskampf zu gefährlich und konnte nicht hinreichend das Überleben sichern. In der Moderne konnte der Mensch eine Sorge um sich entwickeln, weil die Arbeitsteilung und die Verteilung des erarbeiten Überflusses dies ermöglichte. Diese Sorge hat sich in Denk- und Ordnungsvorstellungen niedergeschlagen, von denen ich nachfolgend diejenigen nennen werde, die mir für die Diskussion um Nachhaltigkeit zentral erscheinen. War es bis in die neuere Zeit vor allem die Religion, die hier Maßstäbe und Grenzen setzte, ist es seit der Aufklärung und dem Wirtschaftsliberalismus vor allem das politische und ökonomische Verständnis für das Verhalten und die Gewohnheiten von Menschen, das bis heute die Ideen und Konzepte über gelingende oder fehlende Nachhaltigkeit bestimmt. Mit Hobbes, Locke und Rousseau will ich nach einer kurzen Überlegung zum Verhältnis von Religion und Nachhaltigkeit diese Denk- und Vorstellungsräume diskutieren, von denen wir bis heute sehr viel stärker beeinflusst sind, als es den meisten Menschen bewusst ist.

       Religionen: »Macht euch die Welt untertan«

      Autorität ist bis in die Neuzeit der Kern jeder Ordnung, eine Grundstruktur unserer Lebensweise. Sie beginnt in der Familie als Kern mit dem autoritären Charakter – in der Regel des Vaters –, der darüber bestimmt, wie eine nachfolgende Generation aufwachsen soll. Dieser Charakter ist auf höherer Stufe durch eine lokale Herrschaft ausgedrückt, die Angelegenheiten vor Ort regelt, und reicht bis in die weltlichen Herrschaftsformen, die jeweils bestimmen, was als Staat und Nation in unterschiedlicher Regierungsform aufgefasst wird. Religionen waren bis ins Mittelalter äußerst einflussreich, männlich dominiert und von Autorität geprägt, und auch in der Moderne sind sie zunächst noch der gedankliche Kitt, der aller Autorität einen Sinn gibt, indem er sie als Modell eines großen Ganzen mit einem patriarchalischen Gott als obersten Herrscher legitimiert. Die »Herrschaft über die Erde« (dominium terrae) wird in der christlichen Theologie auf das Alte Testament bezogen und enthält den aus Genesis 1,28 überlieferten Auftrag Gottes an die Menschen: »Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie und waltet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen!« Dieser Auftrag wurde von den Menschen so konstruiert, als könnte dies niemals zu einem Problem werden.

      Das menschliche Handeln ist in allen Religionen stets Teil und Ausdruck übersinnlicher göttlicher Bestimmungen, die keiner rationalen Ableitung entsprechen, sondern auf einen Wunderglauben setzen. Wiedergeburt, unbefleckte Empfängnis, Paradiese und Jüngste Gerichte sind wesentliche Elemente solcher Konstruktionen. Sie entsprechen den jeweiligen Herrschaftsformen besonders patriarchalischer Prägung und treiben diese zugleich an. Aber diese Bestimmungen lassen in den Weltreligionen auch eigenständige Handlungen des Individuums zu, die sich entsprechend der göttlich überlieferten Gebote und Verbote mehr oder minder abweichend verhalten können. Das religiöse Verhaltensspektrum lässt Spielraum auch für Sünden, abweichendes Verhalten, Konflikte zwischen Geboten, Verboten und menschlich erwarteter Hilfe, etwa innerhalb der Familie. Religionen bieten hinreichend Anlass für persönliche Tragödien oder scheinbare Heldentaten. Sie sind – das liegt in ihrer historischen Entstehungszeit begründet – nicht in erster Linie dazu erfunden worden, damit sich die Menschen angemessen und nachhaltig in ihrer Umwelt verhalten, sondern um das Überleben insbesondere bei wachsendem materiellem Wohlstand jenseits von Sippenverbänden und animistischer Weltdeutung zu regeln und mit einem höheren Sinn zu versehen. Sie entstehen als Weltreligionen auch erst dort und dann, wenn es größere Herrschaftsgebilde über die lokale Gemeinschaft hinaus gibt. Heute fragt die Forschung konkret danach, inwieweit die menschlichen Lebensformen und besonders die Religionen durch die jeweils vorherrschende Umwelt beeinflusst wurden, in denen sie entstanden sind. Haben sich menschliches Verhalten und Religiosität als ein konkreter Ausdruck in Abhängigkeit zur Umwelt und den Umweltbedingungen entwickelt?

      Botero et al. (2014) sind der Auffassung, dass sich in der Menschheitsgeschichte deutlich zeigt, welchen Vorteil höhere, moralisch wirkende Götter bieten. Sie können das kooperative menschliche Verhalten fördern und dadurch menschliche Gemeinschaften stärken. Auch im Tierreich lässt sich beobachten, dass harte Umweltbedingungen ein kooperatives Verhalten positiv beeinflussen. In ihrer Studie weisen Botero et al. für unterschiedliche Gesellschaften auf, dass in Zeiten von härteren Umweltbedingungen und damit verbundener Überlebenskämpfe eher moralisierende höhere Götter auftauchen, als es unter Bedingungen der Fall ist, die ein leichteres Leben unter einem reich verfügbaren Angebot der Natur ermöglichen. Allein dadurch unterscheiden sich die Götterbilder stark innerhalb der verschiedenen Gesellschaften. Je härter die Lebensbedingungen sind, desto strenger werden die Götter konstruiert. Zudem fanden sie heraus, dass Religiosität leichter in komplexen Gesellschaften entsteht, die das übertragbare Privateigentum rechtlich anerkennen und die eine ausgewiesene Agrarproduktion haben. Je mehr Rechte und Besitz innerhalb einer Gesellschaft vorhanden sind, desto deutlicher tritt eine hierarchisch gegliederte Religion mit klaren Geboten, Verboten und einem Jüngsten Gericht am Ende hervor. Zusätzlich sind ein gemeinsamer sprachlicher Hintergrund und eine räumliche Nähe erforderlich, wobei die Religion wichtige verbindende Narrationen liefert, um sowohl die Zugehörigkeit zu einer Gruppe als auch die Verpflichtungen in dieser auszudrücken und verbindlich zu machen. Religionen mit höheren moralischen Göttern (bis hin zu einem Gott) ergänzen die weltliche Autorität in der Führung der Gruppe und sind zugleich eine Konstante in der Gesellschaft, denn die führenden autoritären Personen mögen wechseln, aber die Götter oder der eine Gott samt Stellvertretern auf der Welt bleiben. Selbst bei Veränderungen in der weltlichen Herrschaft wirken die höheren Gebote fort und sind scheinbar nicht an eine persönliche Abhängigkeit von Menschen gekoppelt, sondern an die Sehnsucht jedes Individuums nach einem höheren Sinn des Daseins und insbesondere an die Hoffnung, den Tod irgendwie zu überdauern.

      Diese von Anfang an gesetzten Aufgaben der Religionen und des übersinnlichen Glaubens zielt also nicht in erster Linie darauf ab, die Welt oder Umwelt über den Menschen hinaus zu erhalten, sondern vorrangig, das menschliche Überleben mittels hierarchischer Vorstellungen, einer Abhängigkeit der Frauen von den Männern, einer Morallehre aus Geboten und Verboten im Zusammenhang mit herrschenden Ordnungen zu sichern. Dabei kommt allerdings die Umwelt durchaus vor, denn der Mensch soll nicht das zerstören, was ihn am Leben erhält. Außerdem soll er seine Begierden, seine Triebe, die sich gegen andere Menschen richten können, zügeln, weshalb alle Religionen Gebote der Selbstbeherrschung, des Fastens,

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