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sie Raphael nie wiedersehen. Hemmungslos begann sie zu weinen.

      Als sie die Haustür aufriss und in den Flur lief, kam ihre Mutter gerade aus der Küche. Entsetzt sah sie Johannes tränennasses Gesicht.

      »Was ist geschehen, Kind?«, fragte sie aufgeregt.

      Johanne antwortete nicht. Sie warf sich in die Arme ihrer Mutter und ließ ihren Tränen freien Lauf. Ihr ganzer Körper bebte und zitterte, so dass Frau Giefner angst und bange wurde.

      »Nun red doch endlich!«, forderte sie.

      Johanne schluchzte und versuchte, etwas zu sagen. Immer wieder aber versagte ihre Stimme. Es vergingen Minuten, ehe sie in der Lage war, ihrer Mutter. zu erzählen, was passiert war. Frieda Giefner stöhnte gequält auf und bekreuzigte sich.

      »Oh, mein Gott«, seufzte sie. »Das hat ja einmal so kommen müssen. Nimmt das denn überhaupt kein Ende mit diesen verrückten Mannsbildern?«

      Sie streichelte ihrer Tochter über die Wangen. Es tat ihr unsäglich leid, dass Johanne jetzt auch unter dieser unsinnigen Fehde leiden musste.

      »Es wird schon alles wieder gut werden«, meinte sie sanft und führte Johanne zur Wohnstube hinüber. »Der Raphael findet bestimmt eine Möglichkeit. Er ist doch ein schlauer Bursche. Und ich werde auch noch mal mit dem Vater sprechen.«

      »Nix wird gesprochen«, herrschte eine Stimme hinter ihnen.

      Johanne zuckte wie unter einem Hieb zusammen und zitterte noch mehr als zuvor. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass der Vater ins Haus gekommen war. Er hatte ihre Unterhaltung gewiss mitbekommen. Entsprechend wütend musste er sein.

      »Geh auf dein Zimmer!«, schlug die Mutter leise vor und stellte sich wie ein Schutzengel zwischen Tochter und Vater. Die junge Frau gehorchte und nickte schluchzend. Sie wagte es nicht, aufzusehen. Sie kannte den bösen Ausdruck in Sebastian Giefners Augen zur Genüge, wenn er zornig war.

      Sie hatte ihr Zimmer noch nicht erreicht, als sie hörte, wie Vater und Mutter zu streiten begannen. Bald wurde es mehr als laut, als Frieda Giefner ihren Mann einen Tyrannen nannte. Kurz danach vernahm man heftiges Poltern und das Schlagen der schweren Haustür.

      Johanne wusste, dass der Vater das Haus verlassen hatte. Bestimmt machte er sich jetzt auf den Weg ins Dorf, um dort seinen Zorn zu ertränken.

      Hilflos wie ein Häuflein Elend saß sie auf ihrem Bett. Sie wusste weder ein noch aus. Vor wenigen Stunden hatte sie sich noch als die glücklichste Frau im ganzen Tal gefühlt. Nun schien alles zerbrochen und der Himmel über ihr eingestürzt zu sein.

      Die Tür wurde geöffnet. Das leise Quietschen ließ sie aufblicken. Es war ihre Mutter. Die geröteten Wangen bewiesen, wie sehr sie sich aufgeregt hatte. So sah man sie nur ganz selten, denn der letzte Streit zwischen den Eheleuten war schon sehr lange her, wenn man sich recht besann.

      »Er ist weg«, erklärte Frieda Giefner und setzte sich neben Johanne. Zärtlich legte sie einen Arm um die Schultern der Tochter. »Nun haben wir ein bisserl Zeit für uns. Wenn der Vater heut’ Abend betrunken nach Hause kommt, ist er morgen wieder ruhiger, denn dann plagt ihn der Kater. Danach wird er sich wohl wieder besinnen. Dann rede ich noch einmal mit ihm. Du wirst sehen, es wird alles gut werden.«

      »Ach, Mutter«, stöhnte Johanne und hauchte ihr einen Kuss auf die heißen Wangen. »Wenn du doch nur recht hättest ...«

      Frieda Giefner wusste, dass es nicht an der Zeit war, viele Worte zu machen. Ihre bloße Nähe und Anwesenheit war in dieser Situation wichtiger denn je. Johanne durfte nicht den Eindruck gewinnen, ganz allein mit ihrem Kummer zu sein.

      Lange saßen sie beieinander und sagten kein Wort. Allmählich fühlte die junge Frau, wie die schwere Last von ihrem Herzen fiel. Es tat immer noch weh, an die verloren geglaubte Liebe zu denken, doch es war nicht mehr ganz so schlimm.

      »Vertrau auf den Herrgott!«, sagte Frieda Giefner leise. Sie war eine fromme Frau, die streng nach den Geboten lebte und dreimal wöchentlich zur Messe ging. »Er wird dir helfen. Da bin ich mir ganz sicher. Er lässt dich ebenso wenig im Stich wie ich.«

      Johanne nickte und versuchte ein Lächeln, das jedoch kläglich ausfiel.

      »Ich will’s versuchen, Mutter«, versprach sie.

      »Ruh’ dich ein bisserl aus«, meinte Frieda Giefner und erhob sich. »Dann geht’s dir gleich viel besser.«

      Johanne kam ihrer Aufforderung nach. Plötzlich fühlte sie sich wie leer und ausgelaugt. Die geistige Erschöpfung breitete sich über ihren gesamten Körper.

      Die Mutter hatte die kleine Kammer unter dem Dach noch keine zwei oder drei Minuten verlassen, als sie auch schon eingeschlafen war. Es wurde ein schwerer Schlummer voller Visionen und Alpdrücke. Sie sah Raphael vor sich, dann den wütenden Vater und dazwischen Peter Finkenthal, den Verursacher des neu aufgeloderten Streits zwischen den Harlanders und den Giefners. Er grinste schäbig und begann laut zu lachen, als würde ihn dies alles fürchterlich amüsieren.

      War es nur ein Traum oder das Spiegelbild der Zukunft im wahren Leben?

      Behielt Peter Finkenthal die Oberhand in diesem grässlichen Spiel von Gefühlen aller Art?

      9

      Die Tage vergingen.

      Anfang der Woche hatte Raphael den elterlichen Hof für ein paar Tage verlassen, ohne Johanne auch nur noch einmal zu Gesicht zu bekommen.

      Seine Sehnsucht wurde immer größer. Eines Nachts hatte er versucht, zum Hof der Giefners zu schleichen. Das Unternehmen war völlig unsinnig gewesen, denn der Hofhund hatte rasch seine Witterung aufgenommen und das ganze Haus geweckt.

      Auch ein zweiter Versuch, Johanne tagsüber heimlich anzutreffen und nur kurz zu sprechen, schlug fehl. Wie ein eifersüchtiger sturer Haremswächter rannte der alte Giefner mit dem Gewehr, einer alten Schrotflinte herum, wenn seineTochter nach draußen ging, um Wäsche aufzuhängen oder das Federvieh zu füttern.

      Wenn die Sache nicht zu ernst gewesen wäre, hätte man über diese Szenen lachen können.

      Aber es war kein Spaß, sondern blutiger Ernst.

      Aus diesem Grund hatte Raphael beschlossen, früher als geplant nach Sonnbach zu fahren und sich bei seiner neuen Firma zu melden. Die ersten Vermessungsarbeiten begannen zwar erst in ein paar Tagen, doch Arbeit lenkte ihn ab. Deshalb bereitete er die erforderlichen Unterlagen früher als nötig vor und suchte das zu vermessende Landstück zwischen »Sonnenberg«, »Krähenhorst« und »Zinne« auf.

      Als er am Abend des dritten Tages in sein Büro kam, erwartete ihn bereits die Sekretärin seines Chefs.

      »Sie kommen genau fünf Minuten zu spät, Herr Harlander«, begrüßte sie ihn und nahm ihre Brille ab. »Gerade war ein Bekannter von Ihnen hier. Er hat Ihnen diesen Brief hinterlassen.«

      Raphael stutzte und nahm das Kuvert entgegen.

      »Ein Bekannter?«, fragte er. »Hat er sich vorgestellt?«

      Die Sekretärin verneinte.

      »War ein ziemlich finster dreinblickender Bursche, vor dem man Angst bekommen konnte«, bekannte sie. »Irgendwie war er unheimlich.«

      Raphael ahnte, um wen es sich handelte, doch er schwieg. Mit einem Dankeschön verabschiedete er sich und ging in sein Büro. Erst dort öffnete er den Brief.

      Sein Verdacht bestätigte sich. Niemand anderes als Peter Finkenthal hatte diese Nachricht für ihn hinterlassen. Was aber mochte er von ihm wollen?

      »Hallo Raphael, wahrscheinlich wunderst du dich, das ich dir schreibe. Lass uns den Streit begraben! Ich will dich sprechen, aber allein, denn ich muss dir etwas wichtiges sagen. Komm heute abend rauf zum Falkeneck. Hinter der etwas apseits gelegenen Scheune beim Giefnerhof warte ich um 9 Uhr auf dich. Es ist ganz dringent. Peter.«

      Raphael

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