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hinfällig ist.« Er schmunzelte und freute sich scheinbar wie ein kleiner Junge über einen gelungenen Streich.

      »Wieso das?«, wollte Johanne entgeistert wissen. »Mein Vater würde so etwas nie und nimmer tun.«

      »Das stimmt zwar«, erwiderte Brauner, »doch gegen Beweise und Zeugenaussagen kann er nicht an. Der wahre Brandstifter, Peter Finkenthal, ist verhaftet und bereits geständig.«

      Raphael und Johanne glaubten, ihren Ohren nicht trauen zu dürfen. Ihre Ungläubigkeit aber schlug rasch in riesige Freude um. Die junge Frau lief auf den Beamten zu und umarmte ihn wie einen alten Freund.

      »Bitte, bitte«, meinte Brauner lachend, »ich bin im Dienst.«

      Dem jungen Harlander fiel ein Stein vom Herzen. Keinen Augenblick zweifelte er an den Worten des Polizisten, doch ein paar Fragen blieben noch offen.

      Wieso hatte sein Widersacher gestanden?

      »Was ist geschehen?«, wollte er wissen.

      Hauptwachtmeister Brauner räusperte sich und löste sich mit sanfter Gewalt aus Johannes stürmischer Umarmung. Solch eine Spontanität hätte er der eher als schüchtern bekannten jungen Frau niemals zugetraut. Mit einer ungelenken Bewegung richtete er seine Uniformjacke.

      »Vor zwei Stunden war der Hornauer Seppl bei mir und hat seine Aussage gemacht«, erzählte er. »Ihm kannst du verdanken, dass die Wahrheit ans Tageslicht gekommen ist. Sonst wär’s gewiss bös’ für dich geworden, Bub.« Er räusperte sich und murmelte eine zaghafte Entschuldigung, als er bemerkte, dass er im Eifer des Gefechtes, in ein persönliches Du verfallen war.

      »Der Hornauer?«, fragte Raphael verwirrt. »Was hat er mit der ganzen Sache zu tun?«

      Harlander kannte den Landstreicher schon seit Jahren. Die meiste Zeit hielt sich der Mann mit den grauen Haaren und dem uralten Wildledermantel, der ihn wie einen Menschen aus der Pionierzeit des Wilden Westens erscheinen ließ, im Tal auf. Keiner wusste genau, wo er wohnte. Mal schlief er in einer Scheune oder verkroch sich im Winter in einen warmen Stall. Alle kannten den harmlosen, etwas eigenartigen Mann, und sie ließen ihn gewähren. Längst war er in Hallgau und Umgebung zu einer Art Original geworden.

      »Er muss unterhalb vom Giefnerhof unter einer Wildkrippe Zuflucht vor dem Unwetter gesucht haben«, erklärte der Polizist. »Rein zufällig hat er Peter Finkenthal an diesem Abend kurz vor Ausbruch des Feuers auf dem Giefnerhof ins Tal rennen sehen. Daraufhin haben wir Finkenthal verhört. Lange hat er net geleugnet, als er hörte, dass es einen Zeugen gibt.«

      Raphael atmete erleichtert durch.

      Der Hornauer Seppl mochte ein Landstreicher und eigenartiger Einzelgänger sein, doch als Spinner stempelte ihn in Hallgau keiner ab. Jeder würde glauben, was er zu Protokoll gegeben hatte.

      »Dem lieben Gott sei Dank«, stöhnte Johanne und schloss kurz die Augen. »Das werd’ ich dem Seppl nie vergessen. Wo ist er jetzt? Ich möcht’ mich bei ihm bedanken.«

      Brauner zuckte mit den Schultern.

      »Ihr kennt ihn ja, den Hornauer«, meinte er bedauernd. »Er ist mal hier, mal da. Wer weiß schon Genaues über ihn. Gewiss streift er wieder irgendwo durch die Berge. Ein Mann wie er hält nix von großen Worten oder Dankeshymnen. Vielleicht hast einmal irgendwann in den nächsten Wochen Gelegenheit, ihm zu danken, wenn du ihn zufällig über den Weg läufst.«

      Johanne nickte. Brauner hatte recht.

      »Auf jeden Fall dank’ ich Ihnen schön, dass Sie mir meinen Raphael net verhaften müssen«, sagte sie erleichtert. »Oder kann mein Vater ihm noch etwas anhaben?« Ihre Frage klang plötzlich wieder voller Unsicherheit und unterschwelliger Furcht, die sie noch nicht ganz losgelassen hatte.

      »Nein«, sagte der Hauptwachtmeister und hatte wieder sein Dienstgesicht aufgesetzt. »Die Anzeige verliert durch die Zeugenaussage automatisch ihre Wirkung. Es sei denn, Sebastian Giefner besteht auf einer Gerichtsverhandlung und schaltet einen Anwalt ein. Aber ich denk’, dazu wird’s net kommen, Johanne, wenn ich mich net täusche, oder?«

      Er zwinkerte ihr schmunzelnd zu.

      Johanne verstand und fühlte sich besser. Ihr Vater mochte verbohrt sein, wenn es darum ging, den Harlanders Ärger zu bereiten. Aber er war auch geizig. Einen Prozess, den er mit größter Wahrscheinlichkeit verlor, würde er niemals anzetteln. Dafür war ihm sein Geld zu schade.

      »Noch mal herzlichen Dank.« Mit einem festen Händedruck und dem schönsten Lächeln einer jungen Frau verabschiedete sie sich von Hauptwachtmeister Brauner.

      »Gute Besserung, Raphael«, wünschte der Beamte und nickte dem Verletzten freundlich zu. »Kopf hoch, Bub! Es wird schon wieder werden.«

      Wenige Augenblicke später hatte er das kahle Krankenzimmer verlassen.

      Johanne und ihr Liebster waren allein. Als sie sich neben Raphaels Bett setzte und ihn anschaute, durchströmte sie ein Gefühl von Glück, wie sie es lange nicht mehr empfunden hatte. Vertrieben waren die trüben Gedanken, obwohl sie wusste, dass der Streit der Väter noch lange nicht beendet war.

      »Ich liebe dich«, hauchte sie und beugte sich über Raphael.

      »Ich dich auch«, entgegnete er und ignorierte die Schmerzen n seinem Körper.

      Ihre Lippen fanden sich, und der Kuss, der sie vereinte, wollte nicht enden. Sie beide wussten, dass ihnen nur wenige Stunden blieben. Selbst die bewiesene Unschuld würde Sebastian Giefner nicht davon abhalten, auch weiterhin dafür zu sorgen, dass er Johanne nicht treffen durfte.

      13

      Die Tage zogen ins Land. Der Frühsommer präsentierte sich in tristem Grau und so nass wie schon seit Jahren nicht mehr. Es gab kaum sonnige Stunden, geschweige denn Tage, die sich warm und freundlich zeigten.

      »Ein Gräuel ist’s mit dem Wetter«, schimpfte Knut Harlander, als er triefend nass in die Wohnstube trat. Prustend wischte er sich über das Gesicht und zerrte sich das dunkelgrüne Ölzeug von den Schultern.

      »Kannst dich net draußen im Flur ausziehen«, meinte seine Frau genervt. »Schau, was du angerichtet hast. Der ganze Fußboden ist nass geworden.«

      Der Bergbauer reagierte nicht. Ohne ein Wort zu entgegnen, warf er den Umhang neben dem Kachelofen in die Ecke und setzte sich an den Tisch.

      »Mach’ mir eine Brotzeit, Frau!«, forderte er. »Ich habe Hunger, und in einer halben Stund’ muss ich rauf zur Hütte und nach dem Rechten schauen.«

      Helga Harlander stemmte ihre Hände in die runden Hüften. Sie war zornig, denn sie liebte es ganz und gar nicht, herumkommandiert zu werden. Trotzdem schluckte sie die spitze Bemerkung, die sie auf der Zunge hatte, hinunter.

      »Wann kommt der Raphael?«, wollte Harlander wissen, während seine Frau Brot, Wurst, Käse und einen Krug Bier vor ihm auf den Tisch stellte.

      Sein Sohn war seit Tagen die meiste Zeit in seinem Büro. Die eigentlichen Vermessungsarbeiten hatte man wegen des schlechten Wetters verschieben müssen. Trotzdem kam er immer seltener zum Berg hinauf und übernachtete nur selten auf dem Berghof.

      »Eigentlich müsste er längst hier sein«, entgegnete Helga Harlander. Sie war stets betrübt, wenn sie an ihren einzigen Sohn dachte. Sie wusste, was ihn quälte.

      Der Bergbauer machte sich über die Brotzeit her und schien mit der Antwort zufrieden zu sein.

      »Ich denk’, dass der Bub bald überhaupt net mehr kommen wird«, bemerkte seine Frau tonlos.

      Knut goss sich gerade ein Glas Weizenbier ein. Mitten in der Bewegung hielt er inne. Seine Stirn legte sich in tiefe Falten.

      »Was redest da«, murrte er. »Warum sollte er net mehr zu seinen Eltern herauf zum Hof kommen? Das ist doch ein Schmarr’n. Der Bub hat keinen Grund dazu. Oder meinst du, dass er sich als etwas Besseres fühlt?«

      Seine

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