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Die letzte Crew des Wandersterns. Hans-Arthur Marsiske
Читать онлайн.Название Die letzte Crew des Wandersterns
Год выпуска 0
isbn 9783947619443
Автор произведения Hans-Arthur Marsiske
Жанр Языкознание
Серия heise online Welten
Издательство Bookwire
Klaras Antwort kam etwas verzögert. Offenbar war es Mark gelungen, sie für eine halbe Sekunde träumen zu lassen, bevor sie wieder auf die gegenwärtigen Aufgaben zu sprechen kam.
„Schön und gut“, sagte sie. „Aber dafür müssen wir noch Einiges tun. Ab morgen also die Trainingseinheit mit wechselnden Flüssigkeiten. Da dürfte der Vergleich mit realem Schwimmen nicht mehr so nahe liegen. Oder bist du schon mal durch Sirup oder Öl geschwommen?“
„Nein, zum Glück nicht. Klingt anstrengend und unappetitlich.“
„Alles geruchs- und geschmacksneutral. Außerdem sind auch dünnere Flüssigkeiten dabei. Du wirst in den Methanseen des Titan baden und unter das Eis von Europa und Ganymed tauchen. Die Programmierer haben sich für dich mächtig ins Zeug gelegt. Lass dich überraschen.“
Das Schwimmtraining in unterschiedlich zähflüssigen Umgebungen hatte Mark natürlich schon am Boden erprobt. Aber das Team im Astronautenzentrum arbeitete ständig daran, neue und abwechslungsreiche Welten zu konstruieren, in die er eintauchen konnte. Es gehörte zum Forschungsprogramm, ihn mit Situationen zu konfrontieren, die er noch nicht kannte, etwa mit Tauchgängen unter der dicken Eisdecke eines Mondes von Jupiter oder Saturn. Niemand wusste, was sich in dem Wasser verbarg und ob sich dort womöglich Lebewesen tummelten.
Roboter, die sich durch das Eis schmelzen und die subglazialen Ozeane direkt untersuchen sollten, hatten sich bei ersten Tests auf irdischen Gletschern schon bewährt. Doch es würde noch Jahrzehnte dauern, bis sie tatsächlich zum Jupiter fliegen würden. Bis dahin konnten die Designer der virtuellen Welten ihrer Fantasie freien Lauf lassen.
„Muss ich mich auf Attacken außerirdischer Haie einstellen?“, fragte Mark.
„Lass dich überraschen“, wiederholte Klara nur.
„Du machst mich neugierig“, sagte er. „Ich würde am liebsten sofort mit dem Training weitermachen. Aber in neunzig Minuten wartet eine Schulklasse auf mich. Und bis dahin muss ich noch ein wenig n-Pentan verbrennen, statt darin zu schwimmen.“
Sie besprachen noch kurz den Trainingsplan für die nächsten Tage. Dann verabschiedeten sie sich und beendeten die Verbindung. Mark deaktivierte das Trainingssystem, nahm die Datenbrille ab und begann, das Exoskelett abzulegen.
Wie eine mittelalterliche Ritterrüstung bestand es aus mehreren Teilen für Brust, Arme und Beine, die voneinander gelöst und nacheinander ausgezogen werden mussten. Dabei musste er sorgfältig und vorsichtig vorgehen, um die Gelenkverbindungen und Motoren nicht zu beschädigen. Reparaturen waren an Bord der Raumstation nur begrenzt möglich und kosteten wertvolle Zeit.
Zwar war diese Version schon deutlich robuster als die früheren. Aber es war eben immer noch ein experimentelles System. Ein wirklich weltraumtauglicher, aktiver Bordanzug, der eines Tages Menschen auf dem Weg zum Mars oder anderen längeren Reisen unterstützen könnte, sollte erst noch daraus hervorgehen. Aber es würde gelingen, davon war Mark überzeugt. Die Sportwissenschaftler in Köln waren auf dem richtigen Weg.
Immerhin ging das Ablegen des kosmischen Trainingsanzugs schneller als das Anziehen. Bis alles richtig am Körper befestigt war, die einzelnen Elemente miteinander verbunden und das System kalibriert war, verging bis zu einer halben Stunde. Jetzt hatte er das Exoskelett schon nach siebzehn Minuten von seinem Körper gelöst, die Akkus an die Ladestation angeschlossen und die übrigen Teile sorgfältig verstaut.
Wie das Packen des Koffers für die Heimreise am Ende eines Urlaubs, dachte Mark. Das fiel ihm auch immer viel leichter als beim Aufbruch. Es gab kein Nachdenken mehr, was er mitnehmen sollte und was nicht. Es musste nur alles irgendwie hinein – kam ja auch nicht mehr darauf an, schließlich wurde die Kleidung zuhause ohnehin erst einmal in die Waschmaschine gesteckt.
Koffer packen, Wäsche waschen. Das war alles so weit weg. Dabei war er noch keine zwei Monate an Bord und die Erde gerade mal 400 Kilometer entfernt, fast so weit wie Köln von Hamburg. Dennoch war das hier eine völlig andere Welt.
Hier wurde keine Wäsche gewaschen, dazu war das Wasser viel zu kostbar. Ihre Unterwäsche trugen die Astronauten drei bis vier Tage, die T-Shirts bis zu vier Wochen, dann wurden sie weggeworfen. Gebrauchte Kleidung gehörte zu den Dingen, mit denen die Versorgungsraumschiffe nach der Entladung wieder befüllt wurden, bevor sie von der Station abkoppelten und in der Atmosphäre verglühten.
Es hatte Experimente mit biologisch abbaubarer Unterwäsche gegeben, die sich als ganz brauchbarer Pflanzendünger erwies. Es gab auch Ideen, die Kleidung mithilfe von Bakterien zu zersetzen und daraus Methan für die Energieversorgung zu gewinnen. Aber das waren Konzepte für die nächste Generation von Raumstationen oder für Langzeitmissionen zum Mars und anderen Planeten.
Wie das Exoskelett. Raumfahrer der Zukunft würden es gewiss eines Tages so selbstverständlich tragen wie einen Overall. Es könnte zu einer intelligenten Roboterhaut werden, die sich selbstständig ihrem Träger anpasste, mit ihm sprechen konnte und ihn in der Schwerelosigkeit ebenso unterstützte wie auf Planeten. Mark befestigte das letzte Modul der aktuellen Version, prüfte noch einmal, ob es ausreichend gesichert war. Ob er noch erleben würde, wie Menschen so ausgestattet zum Mars flogen?
Gegenwärtig sah es nicht danach aus. Für einen so großen Sprung hätten sich viele, eigentlich sogar alle Nationen zusammentun müssen. Stattdessen versuchte jede, ihr eigenes Süppchen zu kochen. Dreißig Jahre lang hatten sie gemeinsam diese Raumstation aufgebaut und betrieben, hatten ein fantastisches Laboratorium im Orbit eingerichtet, größer und leistungsfähiger als alles, was ein einzelnes Land schaffen konnte. Dieser Forschungskomplex im All war der sichtbare Beweis, dass sich mit Kooperation mehr erreichen ließ als mit Konfrontation. Sichtbar mit bloßen Augen für alle Menschen, jedenfalls alle, die zwischen den Polarkreisen lebten.
Dennoch hatten sich die Partner nicht auf eine Fortsetzung der Zusammenarbeit verständigen können. In Zukunft würde es wohl keine neue Internationale Raumstation mehr geben, sondern mehrere nationale Vorposten im All. Die Chinesen, die von den USA aus dem gemeinsamen Projekt herausgehalten worden waren, hatten ohnehin ihren eigenen Weg verfolgt und bereits vor einigen Jahren mit dem Aufbau ihrer Station begonnen. Die Amerikaner waren entschlossen, es ihnen gleichzutun, stritten aber noch um die Details und hatten bisher noch nichts in die Umlaufbahn gebracht. Die Russen hatten die letzten Module, die sie der Internationalen Raumstation hinzugefügt hatten, von vornherein so gestaltet, dass sie als Bausteine eines eigenen zukünftigen Orbitalkomplexes dienen konnten.
Es war Juris Aufgabe, ihre Abtrennung und den Transport in den neuen Orbit vorzubereiten. Das Treibhausmodul sollte morgen den Anfang machen.
Mark konnte sich glücklich schätzen, dass er hier war. Es war vielleicht auf lange Sicht die letzte Gelegenheit für einen Europäer, ins All zu fliegen. Auf der Internationalen Raumstation würde es jedenfalls nach ihnen keine weiteren Besuche mehr geben. Über bemannte Missionen zu anderen Zielen wurde zwar nach wie vor viel geredet und nachgedacht, doch solide Planungen oder gar Budgets gab es nicht.
Politiker sprachen von Raumfahrt gerne als einer „Zukunftstechnologie“. Wenn Mark mit einem von ihnen auf einer Bühne stand, war er stets diszipliniert genug, zu solchen Äußerungen freundlich zu lächeln und nicht zu widersprechen. Es war eine Maske, die ihm zur Routine geworden war.
Tatsächlich war die Zukunft für Astronauten in Europa gerade so unklar wie nie zuvor. Noch bevor dieses Jahr zu Ende ging, würde das Leuchtfeuer der Völkerverständigung, das dreißig Jahre lang über den Abend- und Morgenhimmel gewandert war, erloschen sein.
5
Von ihrem Aussichtspunkt auf einem Felsen aus konnte Jaiya gut beobachten, wie sich die Schildkröte ihrem Fangnetz näherte. Das Wasser war hier völlig ruhig und klar, durch eine Landzunge abgeschirmt von der Brandung. Die Pflanzen und Kleintiere, die sich an dieser Stelle sammelten,