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Die letzte Crew des Wandersterns. Hans-Arthur Marsiske
Читать онлайн.Название Die letzte Crew des Wandersterns
Год выпуска 0
isbn 9783947619443
Автор произведения Hans-Arthur Marsiske
Жанр Языкознание
Серия heise online Welten
Издательство Bookwire
Elektronisch oder biochemisch gespeicherte Informationen brauchten jedoch eine Anleitung zu ihrer Entschlüsselung, die ohne Hilfsmittel zugänglich sein sollte. An dieser Stelle kam das gute alte Papier ins Spiel und sorgte bei Nicks Vorträgen ebenfalls oft zunächst für Irritationen. Ein so archaisches Medium passte nicht in die Hightech-Umgebung der Raumstation. Dabei war es nach wie vor einer der dauerhaftesten und zuverlässigsten Informationsspeicher, über den die Menschheit verfügte. Geschriebene Texte ließen sich ohne weitere Hilfsmittel lesen und hatten auf Papier und Pergament schon Jahrtausende überdauert. Das Papier musste dafür allerdings sorgfältig gefertigt sein und schonend gelagert werden. Ob es auch zehntausend Jahre und länger halten würde, war dagegen fraglich.
Zu den Proben, die Nick gerade geborgen hatte, gehörten daher auch einige Seiten Papier, die mit verschiedenen Tinten beschrieben und bedruckt worden waren. Größere Hoffnungen lagen jedoch auf einem kleinen, modernen „Rosettastein“, der ebenfalls den Weltraumbedingungen ausgesetzt worden war.
Die runde Scheibe, die gut in eine menschliche Hand passte, war vor über zwanzig Jahren von der Long Now Foundation für langfristiges Denken entwickelt worden, inspiriert vom Original-Rosettastein, mit dessen Hilfe einst die ägyptischen Hieroglyphen entschlüsselt werden konnten, weil der gleiche Text in drei Sprachen eingraviert war. Die moderne Version enthielt jetzt über 13000 Seiten mit Informationen über mehr als 1500 menschliche Sprachen, außerdem alle bekannten Sprachversionen der biblischen Schöpfungsgeschichte, eingeritzt in reines Silizium, beschichtet mit Nickel.
Mit bloßem Auge ließ sich da zwar nicht viel entziffern. „Ein optisches Mikroskop mit 750-facher Vergrößerung“, hatte Nick versprochen, „reicht aber als Lesehilfe.“
Man durfte wohl davon ausgehen, dass jemand, der in der Lage war, auf dem Mond zu landen und das Archiv zu finden, über solche Hilfsmittel verfügte.
Zudem war auch ohne zusätzliche Hilfsmittel zu erkennen, dass die Scheibe eine Botschaft enthielt: Auf einer Seite waren Textanfänge in mehreren Sprachen für das bloße Auge lesbar aufgetragen, die sich spiralförmig zum Zentrum hin fortsetzten und dabei immer kleiner wurden.
„Die Lebensdauer dieser Scheibe wird von den Herstellern auf mindestens zehntausend Jahre veranschlagt“, hatte Nick gesagt und damit das Ende seines Vortrags erreicht. „Zukünftige Generationen oder Besucher aus dem All werden sie vielleicht als wertvolles Hilfsmittel zur Entschlüsselung unserer Botschaften aus der Vergangenheit zu schätzen wissen.“
An dieser Stelle machte er meistens eine Pause und ließ den Blick über sein Publikum schweifen.
„Es gibt also durchaus einige vielversprechende Ansätze zur Langzeitspeicherung von Informationen. Ich hoffe, das ist deutlich geworden. Falls etwas unklar geblieben ist, fragen Sie bitte. Eine Frage, die ich Ihnen nicht beantworten kann, ist allerdings die nach dem Inhalt unserer Botschaft. Was wollen wir der Zukunft mitteilen? Das würde ich gern von Ihnen erfahren.“
Danach folgten meist lebhafte Diskussionen, die sich völlig unterschiedlich entwickeln konnten, an denen sich aber immer viele Zuschauer beteiligten und die sehr offen ausgetragen wurden. Da konnte es um die aktuelle weltpolitische Lage ebenso gehen wie um antike Geschichte, Visionen zukünftiger Weltraumsiedlungen oder technische Detailfragen.
Die Idee eines Weltraumarchivs hatte offensichtlich einen Nerv getroffen. Sie war zu einem Kristallisationspunkt geworden, in dem sich viele aktuelle Probleme brachen und aus neuen Perspektiven betrachtet werden konnten. Etablierte politische Konfrontationslinien spielten dabei kaum eine Rolle, sie wurden unterlaufen. Man war sich nicht immer einig, aber man hörte einander aufmerksam zu und respektierte sich. Allein diese neue Gesprächskultur empfand Nick schon als großen Gewinn des Projekts, noch bevor er überhaupt ins All gestartet war.
In Urbana-Champaign hatte sich die Diskussion im Anschluss an seinen Vortrag ausführlich mit dem Umfang der Botschaft beschäftigt. Dabei war es zunächst um die Kapazitäten der verschiedenen Speicherverfahren gegangen, die nach oben eine Grenze setzten. Richtig spannend aber wurde es, als jemand die Frage nach einer Mindestgröße aufgeworfen hatte, unterhalb derer ein Archiv keinen Sinn ergeben würde. Man könne doch nicht die Menschheitsgeschichte in zehn Sätzen erzählen, hatten die einen gemeint. Warum nicht, hatten andere eingewandt. Selbst ein Satz sei doch besser als gar nichts.
Es ging dann eine Weile darum, wie der Umfang des Wissens das Wissen selbst beeinflusste, wie es strukturiert und wie oft es aktualisiert werden musste. Sollte das Archiv auf dem Mond gepflegt und mit der Zeit verändert und erweitert oder einfach nur dort abgelegt werden?
Schließlich hatte jemand den Vorschlag gemacht, statt über ein irgendwo hinterlegtes Archiv über eine Botschaft nachzudenken, die ausgestrahlt würde und als elektromagnetisches Signal Kunde von der menschlichen Zivilisation gäbe. Es war, als hätte er den Kristall ein wenig gedreht, sodass sich die Antwort auf einmal ganz klar in ihm spiegelte: Natürlich war selbst eine Botschaft, die nichts weiter verkündete, als dass es die Menschheit gab, es wert, ausgestrahlt zu werden. Wenn dann noch mehr hinzu kam, umso besser.
Aber allein die Gewissheit, dass noch andere technologische, zur interstellaren Kommunikation bereite Zivilisationen existierten, musste für alle intelligenten Lebewesen im All, die wie die Menschen auf der Erde die Sterne beobachteten, von großer Bedeutung sein.
Damit war eine Frage beantwortet, aber zugleich viele neue aufgeworfen worden. Wie sollten wir uns den Empfängern unserer Botschaft verständlich machen? Welchen Sinn hatte ein Dialog, bei dem zwischen dem Senden einer Nachricht und dem Empfang der Antwort mehrere Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte vergingen?
Die Teilnehmer waren sehr bewegt gewesen und hätten womöglich noch stundenlang weiter diskutiert, wenn der Gastgeber, Professor Campbell, nicht eingeschritten wäre und die Veranstaltung beendet hätte. Viele waren hinterher noch mit ins nahe gelegene Lokal gekommen, wo sie sich an mehreren Tischen verteilt hatten. Als Nick sich nach zwei Gläsern Bier in sein Hotel zurückgezogen hatte, waren die Räume immer noch von der Energie der Menschen erfüllt gewesen.
Inzwischen hatte der Transportbehälter mit den Materialproben die Luftschleuse passiert und war sicher im Innern der Raumstation angekommen. Eine weitere Etappe war geschafft, eigentlich ein guter Anlass für eine Pause und ein frisch gezapftes Bier, dachte Nick. Doch das musste warten, bis er zur Erde zurückgekehrt war. Abgesehen davon, dass alkoholische Getränke auf der Raumstation natürlich streng verboten waren: Wie hätte man in der Schwerelosigkeit das Bier überhaupt ordentlich einschenken können? Wie sollte sich hier eine schöne Schaumkrone bilden?
Eines Tages, davon war Nick überzeugt, würde es Weltraumhotels geben, die um eine Zentralachse rotierten und dadurch an den Außenwänden eine künstliche Schwerkraft erzeugten. Dort würden die Hotelgäste aus richtigen Gläsern trinken, während sie vielleicht auf ihren Anschlussflug warteten oder einfach nur für ein paar Tage die Aussicht auf die Erde genossen. Er war sich nur nicht sicher, ob er mit seinen 46 Jahren jung genug war, um das selbst noch erleben zu können.
4
Der Pazifik, größter Ozean der Erde, die ultimative Herausforderung für jeden Wassersportler. Mark durchquerte die riesige Wasserfläche zwischen Asien und Amerika diagonal, kraulte an Neuseeland vorbei und erreichte eine halbe Stunde später den Panamakanal. Die gut 80 Kilometer lange Wasserstraße war eine Sache von wenigen Sekunden. Nun lag der Atlantik vor ihm.
Mark war ein guter Schwimmer und hatte als junger Mann bei Wettbewerben häufig vordere Plätze belegt, gerade auf Langstrecken. Aber dass er eines Tages in fantastischen Rekordzeiten durch ganze Ozeane schwimmen würde, hätte er sich damals gewiss nicht träumen lassen.
Wie eine Rüstung hatte er sich das Exoskelett umgeschnallt, das nun den Widerstand simulierte, den er beim Schwimmen mit Armen und Beinen überwinden musste. Das