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ohne dass eine Neuprogrammierung nötig gewesen wäre. Wenn er wollte, konnte er sich sogar auf den Rücken drehen oder kurz abtauchen.

      „Sport muss Spaß bringen“, hatte seine Fitnesstrainerin Klara bei der Vorbereitung auf die Mission immer wieder betont. Nur, wie sollte das gehen in einer gerade mal vier Meter weiten Röhre mit künstlich aufbereiteter Luft, in der ständig irgendwelche Geräte surrten, rauschten und piepten?

      Viele Astronauten absolvierten das tägliche mehrstündige Bewegungsprogramm daher zumeist als reine Pflichtübung, ein Gebot der Vernunft, um den Verlust an Muskelmasse und Knochensubstanz durch die Schwerelosigkeit möglichst gering zu halten.

      „Besser als gar nichts“, sagte Klara dazu, „aber da ist noch viel Luft nach oben.“

      Einmal hatte sie ein Tierexperiment erwähnt: Mäuse, die frei nach Lust und Laune ihr Laufrad besteigen konnten, erzielten demnach höhere Leistungssteigerungen, als wenn sie das gleiche Laufpensum nach vorgegebenen Zeiten absolvierten. Als Mark sich daran erinnerte, schmunzelte er. Jetzt war er die Maus. Mit einem Luxuslaufrad.

      Um die Enge der Raumstation zu überwinden, setzten Astronautentrainer auf virtuelle Umgebungen. Auf dem Fahrradtrainer hatten sie sich schon bewährt. Datenbrillen und Kopfhörer versetzten die Astronauten in hügelige Landschaften oder machten sie zu Piloten pedalgetriebener Flugzeuge, die sich Verfolgungsjagden mit Vögeln oder Flugdrachen lieferten. Astronauten, die sich auf diese Weise fit hielten, hatten nach der Rückkehr zur Erde deutlich weniger Anpassungsprobleme, als wenn sie beim Training ständig in die Röhre schauten.

      Jetzt testete Mark erstmals ein Exoskelett, das den gesamten Körper umfasste und mit Motoren in den Gelenken seinen Bewegungen gezielt Widerstand entgegen setzte.

      Er überquerte gerade das Karibische Meer und wechselte dabei vom Schwimmen zum Fliegen. Der Computer projizierte ihm weiterhin das Bild, das sich beim Blick von der Raumstation nach unten zur Erde bot.

      Doch vor ihm erschien jetzt ein Albatros, der ihm den weiteren Weg wies. Und Mark selbst wuchsen virtuelle Flügel. Während er darauf achtete, möglichst konstanten Abstand zu dem Leitvogel zu halten und dessen Flugmanöver nachzumachen, musste er immer wieder auf Windböen reagieren. Er spürte sie nicht nur in den Armen, sondern im ganzen Körper. Mark machte sich eine gedankliche Notiz, wie gut die Motoren des Exoskeletts das Flugerlebnis simulierten. Dann ließ er sich ganz auf die Simulation ein und machte sich mit der neuen Umgebung vertraut.

      Nach einer Weile wandelte sich der Albatros zu einer Wolke aus Spatzen, die in alle Richtungen davon flatterten. Mark ging in den Sturzflug über, tauchte steil in die Atmosphäre ein und fing sich dicht über der Wasseroberfläche ab. Das hatte er jedenfalls vor.

      Doch hier unten war die Luft dichter, er hatte den Kraftaufwand unterschätzt, schaffte die Kurve nicht und stürzte in den Atlantik. Der Computer übernahm die Kontrolle, leitete ihn in einem eleganten Bogen durchs simulierte Wasser, schleuderte ihn wie einen fliegenden Fisch in die Luft, wo er sich wieder mit Flügelschlägen fortbewegen konnte.

      Er steuerte auf eine mit Palmen bewachsene Insel zu, in deren Mitte ein Vulkan aufragte. Als er den Waldrand erreicht hatte, stiegen von dort große schwarze Viecher auf, zu schnell, um sie genauer zu erkennen. Sie flogen ihm in die Quere, versuchten ihn anzurempeln, wegzudrängen. Den meisten konnte er ausweichen, doch mit einigen stieß er zusammen (mentale Notiz: ausgesprochen realistisch, tut fast weh).

      Mark stieg höher und umrundete den Vulkan in einer Spirale. Mit langsamen, kräftigen Flügelschlägen näherte er sich dem Gipfel und drehte über dem Krater eine Runde, bevor er sich erneut senkrecht hinunter stürzte.

      Unter dem Vulkan gelangte er in ein komplexes, düsteres Höhlensystem, in dem unvermittelt auftauchende Hindernisse und scharfe Kurven höchste Konzentration erforderten. Mark hielt sich ganz gut, aber gelegentlich kollidierte er doch mit einem hervorstehenden Felsen oder einem plötzlich auftauchenden Monster (beobachten, ob sich Blutergüsse entwickeln). Es schien in den Höhlengängen immer enger zu werden, als er in einen großen Hohlraum gelangte, über sich ein blaues Licht. Die Krateröffnung.

      An der Innenwand eine Spirale nach oben zu fliegen, erwies sich als anstrengender als zuvor außen. Die Luft war hier offenbar viel dünner. Mark musste kräftig mit den Flügeln schlagen, um Höhe zu gewinnen. Er drehte Runde um Runde, näherte sich nur langsam dem Kraterrand. Da war das Ziel, dort oben musste er hin. Marks Arme wurden müde, er atmete schwer. Komm schon, noch ein paar Meter, dachte er.

      „Hier ist Klara. Mark, hörst du mich?“

      Gleich. Gleich war es geschafft. Noch ein Flügelschlag. Und noch einer.

      „Hier ist Klara, EAC, Köln, für Mark. Melde dich bitte.“

      Er war draußen, ging an der Außenwand des Vulkans in den Gleitflug über.

      „Hallo Klara“, sagte er keuchend. Der Berg löste sich auf, mitsamt der Insel, Mark sah wieder hinunter auf die Erde. Sie überquerten gerade Europa.

      „Hier kommt … dein Albatros.“

      „Alles in Ordnung mit dir?“

      „Ja.“ Er holte tief Luft. „Keine Sorge.“ Sein Atem beruhigte sich. „Der Flugsimulator ist genial. Ein absoluter Wahnsinn!“

      „Hast du gerade noch trainiert? Wir waren verabredet.“ Ihr Zeitfenster für das heutige Gespräch war auf fünfzehn Minuten beschränkt, die Marks Trainerin nicht mit Sprüchen vergeuden wollte.

      „Ich habe pünktlich begonnen, bin dann aber länger geschwommen als geplant“, sagte er. „Wir waren schon ein ganzes Stück durch den Pazifik und ich dachte: Die Chance bekommst du nie wieder. Einmal durch den Ozean schwimmen. Jetzt oder nie.“

      „Dann kann die Simulation ja nicht so schlecht sein.“ Klara klang gleich wieder versöhnt.

      Wenn Mark das Training so viel Freude bereitete, dass er Gesprächstermine verpasste, waren sie auf dem richtigen Weg.

      Außerdem war er sofort wieder bei der Sache.

      „Nein, auf keinen Fall“, stimmte er zu. „Sie ist hier oben in der Schwerelosigkeit auch noch einmal überzeugender als auf der Erde. Aber das Schwimmen vergleiche ich natürlich unwillkürlich mit der Realität. Ich weiß, wie es sich eigentlich anfühlen müsste. Beim Fliegen fehlt mir der Vergleich. Da kann ich die Simulation leichter akzeptieren.“

      „Das haben wir ja auch so erwartet. Die Muskelbelastung hat sich in der Schwerelosigkeit bei beiden Trainingsprogrammen auf ähnliche Weise geändert, beim Flugtraining allerdings deutlicher. Wir brauchen noch eine Weile, um die Daten genauer auszuwerten. Aber ich denke, wir können jetzt damit beginnen, andere Flüssigkeiten zu simulieren. Was meinst du?“

      „Auf jeden Fall. Lass uns wie geplant weitermachen. Ich glaube, ihr seid gerade dabei, die Raumfahrt zu revolutionieren.“

      „Klingt so, als wärest du noch im Endorphinrausch.“ Klara bemühte sich um einen nüchternen Tonfall, aber es gelang ihr nicht ganz. „Komm mal wieder runter.“

      Mark wusste, wie viel Klara diese Experimente bedeuteten. Viele Jahre Forschung und Entwicklung waren in das Exoskelett geflossen, das jetzt seine Weltraumpremiere erlebte.

      „Wenn’s recht ist, bleib ich noch ein wenig hier oben“, entgegnete er.

      Er befand sich noch immer im Trainingsmodus, schien im Segelflug über Europa zu schweben und bewegte nur ab und zu seine virtuellen Flügel. „Und ich meine es völlig ernst. Das System ist sensationell. Es könnte Kubrick in einem weiteren Punkt widerlegen.“

      „Kubrick? Ich fürchte, ich kann dir nicht ganz folgen.“

      „Wir haben beim Frühstück vorhin über ‚Odyssee im Weltraum’ gesprochen und was sich seitdem verändert hat. Juri meinte, dass man die Szene am Anfang, als ein Affe zum Menschen wird, indem er einen Knochen als Keule verwendet, heute anders drehen müsste. Das müsste eigentlich ein brennender Ast sein, sagt Juri.“

      „Und?“

      „Ich

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