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bewusst HochdeutschDeutschlandHochdeutsch verwendet (vgl. Lukas 2006: 494). Kommt die Varietät doch vor, so werden diese Stellen erklärt, manchmal tritt sie als ein ZitatwortZitatZitatwort im natürlichen Wortschatz des Autors auf (vgl. Bender 2017: 603). Lukas verbindet die Verwendung des HochdeutschenDeutschlandHochdeutsch mit dem Versuch „die durch die Sprache vermittelte kulturelle IdentitätIdentität/identity zu bewahren“ (2006: 494). Bei den analysierten Werken spielte es auch eine Rolle, dass als Zielgruppe der Werke die Leserschaft in DeutschlandDeutschland vermutet werden kann. Es muss daher angenommen werden, dass der implizierte Leser, der den Autoren vorschwebte, kein EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian oder RussischRusslandRussisch/Russian kann. Für diesen Leser wären also die entsprechenden Passagen nicht nur schwierig, sondern unmöglich zu verstehen. Die Funktion der Figurenrede, oder auch Namen und Ortsbezeichnungen auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian und (weniger) auf RussischRusslandRussisch/Russian ist daher einerseits in der Darstellung des Lokalkolorits zu vermuten, hat aber andererseits auch eine exotisierende Wirkung, insbesondere in der Kombination mit der Betonung der geringeren sozialen Position der Sprecher anderer lokaler Sprachen.

      Wie bereits erwähnt, waren die soziokulturellen und die politischenPolitik/politicspolitisch/political Rahmenbedingungen der analysierten Werke sowohl während des Schreibens als auch während der Perioden, in denen die dargestellte Handlung stattfindet, unterschiedlich. Diese Sprachsituationen reflektieren sich in den Werken, wo neben der deutschenDeutschlanddeutsch Grundsprache auch anderssprachigeanderssprachig Elemente zur Verwendung kommen, aber eben durch den Filter der persönlichen (Sprach-)Kenntnisse und -Einstellungen der Schreibenden. Wie die Analyse zeigt, war die MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit in EstlandEstland/Estonia zur Entstehungszeit der geschilderten Werke wesentlich vielfältiger als die obenerwähnte gesellschaftliche Sprachhierarchie – DeutschDeutschlandDeutsch, RussischRusslandRussisch/Russian, EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian. Daneben spielten auch FranzösischFrankreichFranzösisch, LateinLatein, SchwedischSchwedenSchwedisch, LettischLettland/LatviaLettisch/Latvian, FinnischFinnisch und andere Sprachen eine Rolle.

      In der Analyse wurde im ersten Schritt das Vorkommen der manifesten MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit aufgezeichnet. Es wird gezeigt, welche Sprachen in den Texten vorkommen, welche Funktion die anderssprachigenanderssprachig Textteile haben und ob es sich um SprachmischungSprachmischung oder SprachwechselSprachwechsel handelt. Darüber hinaus wird auch auf die latentelatent Erwähnung von Sprachen in den Texten hingewiesen.

      Da die literarische Widerspiegelung der lokal gesprochenen SprachenSprache, gesprochene bzw. VarietätenVarietät einen Großteil der MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit ausmacht, wurde dieses SprachmaterialSprachmaterial von der Gesamtdarstellung getrennt und separat betrachtet. Die Baltizismen wurden ausgeschrieben und kontextualisiert, das EstnischeEstland/EstoniaEstnisch/Estonian als die am stärksten hierarchisch markierte Sprache wurde detaillierter analysiert – sein Vorkommen in der Figurenrede, im Erzählerkommentar, bei den Namen und Ortsbezeichnungen.

      3.1 Manifeste und latentelatent MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit in den analysierten Texten

      3.1.1 Briefe eines baltischenBaltikumBaltisch Idealisten von Georg Julius von Schultz-Bertram Schultz-Bertram, Georg Julius von

      In den Briefen von Georg Julius von Schultz-BertramSchultz-Bertram, Georg Julius von (al Dr. Bertram) gibt es zahlreiche Beispiele der manifesten MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit. Die anderssprachigenanderssprachig Textteile markieren häufig kulturelle Kontakte zu anderen ethnischenEthnieethnisch Gruppen, sowie deren Akzent. Dies geschieht sowohl durch die SprachmischungSprachmischung wie auch durch den SprachwechselSprachwechsel. Ein schwedischesSchwedenschwedisch Beispiel des SprachwechselsSprachwechsel – „eine dienstfertige, sehr hübsche Flikka [SchwedischSchwedenSchwedisch: Mädchen]1 fragte vergnügt: ‚Ja sso! verstoh!‘“ (Schultz-Bertram 1934: 22).2 Das sprachliche Missverständnis, aufgrund dessen der Kunde statt Suppe Branntwein bekommen hat, wird folgend kommentiert: „Die Flikka hatte SchwedischSchwedenSchwedisch gesprochen und ich ihr auf DeutschDeutschlandDeutsch geantwortet.“ (ebd.) Ein Beispiel aus der Beschreibung einer Begegnung in Schottland – „Die Alte stampfte mit dem Stock heftig auf das Steinpflaster und sagte deutlich: ‚Archeanochranchran dhu Carhouzielostantegle!‘“ (162). Der Leser wird nicht aufgeklärt, wie man den Satz deuten sollte, wohl weil weder der Autor der Briefe noch der Herausgeber es verstehen konnten. Einfacher hingegen sind natürlich die Gespräche auf RussischRusslandRussisch/Russian, das zu den ,Ortssprachen‘ gehörte. Ein Gespräch mit einem russischenRusslandrussisch Bauern: „Prosto prelostj! i karol prußki ss tschornem kolpakom!“ (255).3 Oder eine Konversation mit einer französischen Dame, wo das gesamte Gespräch auf FranzösischFrankreichFranzösisch wiedergegeben wurde: „Monseigneur, Vous donnez des fêtes comme Néron!“ – „Pourquoi?“ – „Parceque [sic] Néron étouffait ses invités sous des amas de fleurs!“ (204).4

      Des Weiteren sind anderssprachigeanderssprachig Textteile in den Erzählertext eingebaut und gewähren einen Einblick in die damalige Lebensart der gesellschaftlichen Schicht, der der Autor angehörte. Da es sich um Briefe handelt, kann man vermuten, dass die Elemente der Fingiertheit geringer sind als bei rein fiktionalenFiktionalitätfiktional Texten. Dennoch muss man vorsichtig sein, die abgebildete Sprechweise als historischehistorisch Wirklichkeit zu interpretieren, da die Einbeziehung der Elemente der MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit bei den autobiographischenBiographiebiographisch Texten auch zur Selbststilisierung vorgenommen worden sein kann. Zur Unterstreichung des lokalen Kolorits dienen viele russischeRusslandrussisch Wörter, die transliteriert und meistens mit einer ÜbersetzungÜbersetzung/translation versehen sind, z.B. „‚Kritschjom‘5, sagte er lustig.“ (45), „der alt Müller gehe oft nachts als Domowoi“ (47),6 „Am Dienstag landeten wir ‚sa graniza‘“ (138).7 FranzösischFrankreichFranzösisch verweist auf gute Manieren, Geselligkeitsformen oder Freizeitvergnügen: „Ella spielt jetzt à quatre mains mit Liszt“ (153). Oder „Man nennt das un bain des princes.“ (209), worauf die Bemerkung auf LateinLatein folgt: „Probatum est!“ (ebd.). Bei den französischen Textteilen wird unterschieden zwischen längeren Ausdrücken oder Sätzen, die in lateinischerLateinLateinisch SchriftSchrift gedruckt sind und den offenbar als Bildungsdeutsch empfundenen französischen Ausdrücken wie „magnifique“ (56) oder „affreuse“ (19), die wie der übrige Text in gotischer Schrift abgedruckt sind. Im ähnlichen Kontext kommen auch ItalienischItalienItalienisch „Felicissima notte!“ (289) und EnglischEnglisch/English „dem unvermeidlichen Keepsake-Gesicht“ (170) vor, jedoch sehr viel weniger als FranzösischFrankreichFranzösisch. Die besondere Stellung des FranzösischenFrankreichFranzösisch als ,BildungsspracheBildungssprache‘ wird dadurch unterstrichen, dass das FranzösischFrankreichFranzösisch der einfachen Leute in Paris karikiert wird: „Voyez la grosse bête cré coquine! V’là une belle honte! – honte!“ (83). Latein wird zur Unterstreichung des Bildungsstandes herangezogen, teils beiläufig „Er lachte: ‚Also ein mixtum compositum!‘“ (283),8 in vielen Fällen aber auch spaßhaft: „Nikolaus aber betrachtete die dicke Stange und sagte: ‚Viribus unitis!‘“ (239).9 GriechischGriechisch ist selten, wenn überhaupt, wird es ebenfalls im ,bildungssprachlichen‘ Kontext verwendet: „die ich ‚Andrein‘ (vom griechischenGriechischgriechisch „andres“ = Männer) benannt habe. Ebenso giebt es einen weiblichen Magnetismus, den ich ‚Gynäin‘ (vom griechischenGriechischgriechisch ‚gyne‘ = Weib) nenne“ (188). Zahlenmäßig prävalieren klar RussischRusslandRussisch/Russian, FranzösischFrankreichFranzösisch und LateinLatein, wie bereits erwähnt, kann man bei manchen Ausdrücken vermuten, dass es sich eher um Fälle unbewussten Translanguaging als bewusster Verwendung anderssprachigeranderssprachig Elemente handelt.

      Schultz-BertramSchultz-Bertram, Georg Julius von hatte starke linguistische und literaturtheoretische Interessen. Seine aufmerksame Betrachtung der grammatischenGrammatikgrammatisch, phonetischen und rhythmischen Eigenarten widerspiegelt sich auch in den Briefen. Er kommentiert den Akzent der Wiener bei der Aussprache der Diphthonge: „Soldaten sprechen DeutschDeutschlandDeutsch, aber sie sagen: ‚Taitsch‘; gegen Abend laufen viele Jungen durch die Straßen und schreien: ‚Taitsche Zai-tung! Taitsche Zai-tung!‘ – das ist sehr komisch.“ (280) und bringt Beispiele von Missverständnissen, die auf falscher Aussprache beruhen, wie aus einem Gespräch mit einer harthörigen Dame: „Sie verstand statt

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