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auf: neben EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian wurde zu Hause auch LettischLettland/LatviaLettisch/Latvian und DeutschDeutschlandDeutsch gesprochen. Unter dem Einfluss von Rainer Maria RilkeRilke, Rainer Maria schrieb der 16-jährige seine ersten Gedichte in deutscherDeutschlanddeutsch Sprache. Vor der sowjetischenSowjetunionsowjetisch/Soviet Besatzung floh er 1944 nach DeutschlandDeutschland, erhielt seine akademische Bildung als Germanist in Marburg, wurde später Professor für vergleichende LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft an der University of Oklahoma und Chefredakteur der angesehenen Fachzeitschrift World Literature Today. Auf seine Initiative geht auch der renommierte Neustadt International Prize for Literature zurück. Ivask schrieb seine Lyrik auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian, EnglischEnglisch/English und DeutschDeutschlandDeutsch (die nichtestnischen Werke sind Gespiegelte Erde (1967) und Baltic elegies (1987)).

      Im Vorwort zu IvasksIvask, Ivar deutschsprachigem Gedichtband schreibt Herbert Eisenreich, dass Ivar Ivask mit seinem Gedichtband der deutschsprachigenDeutschlanddeutschsprachig Lyrik etwas Neues brachte und erklärt das wie folgt: Ivasks deutscheDeutschlanddeutsch Gedichte gewinnen, sagt er,

      ihre Eigentümlichkeit und ihren doppelten Wert, den des Gefühlten und den des Gesagten, offensichtlich in dem Prozess und durch den Prozess der Aneignung: da, in dem doch fremdenFremdheitfremd IdiomIdiom, wurde einem nichts geschenkt, man musste es teuer erkaufen, verzweifelt erobern – und gelangte just dadurch weit über das Konventionelle hinaus (mit den geradezu unverfroren zusammengesetzten Hauptwörtern, zum Beispiel, oder in der naiven Wiedergewinnung der Anschaulichkeit von scheinbar verbrauchten Wort-Bildern). Oder anders ausgedrückt: Ich merke, dass da jemand Fremder meine MutterspracheMuttersprache/mother tongue spricht, und in dieser winzigen FremdheitFremdheit klingt sie, im allergenauesten Wortsinn, unerhört, in dieser winzigen Fremdheit hat sie nun wieder jungfräuliche Reinheit. Und mit dem fremdenFremdheitfremd Akzent sagt sie, diese Sprache, mir mehr, als sie’s in meinem eignen, gleichsam routinierten Gebrauch vermag. […] In diesen Versen [ist] fortgebildet, wie man im andern, im Fremden, zu sich kommt. Und vice versa.

      (Eisenreich 1967: 7.)

      Die im ExilExil geborene Generation schrieb allerdings (fast) nicht mehr auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian, ihre Schaffenssprache wurde meistens die Sprache ihrer jeweiligen Wahlheimat.

      In Sowjet-EstlandEstland/Estonia gelang es gleichzeitig, allen RussifizierungsversuchenRussifizierung zum Trotz, die estnischsprachige Bildung auf allen Ebenen – eine Errungenschaft der Vorkriegszeit –aufrechtzuerhalten, auch wenn gelegentlich die Verwendung russischerRusslandrussisch Sprache von den Autoritäten stark bevorzugt und gefördert wurden. Der westliche Teil der SowjetunionSowjetunion ist ein aufschlussreiches Untersuchungsfeld für all diejenigen, die sich für die Frage interessieren, wie Sprachen auf historischhistorisch-politische Umstände reagieren und ihrerseits darauf Einfluss nehmen können. Im Fall Sowjet-EstlandsEstland/Estonia folgte auf den politischPolitik/politicspolitisch/political und bildungspolitisch mit allen Mitteln geförderten Sprachwechselkurs zum RussischenRusslandRussisch/Russian hin als Reaktion eine verstärkte Pflege der estnischenEstland/Estoniaestnisch Sprache, bis hin zur Konservierung, eine von der Mehrheit der Urbevölkerung wohl als Selbstverständlichkeit empfundene Verwendung der estnischenEstland/Estoniaestnisch Sprache in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen. Man erwarb bis zum Ende der SowjetzeitSowjetunionSowjetzeit zwar relativ gute Kenntnisse der russischenRusslandrussisch Sprache, aber die Übernahme von Sprachelementen aus dem RussischenRusslandRussisch/Russian blieb trotzdem eher recht gering und oberflächlich.

      EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian-russischerRusslandrussisch BilingualismusbilingualBilingualismus kam und kommt im Alltag zwar vor (siehe Verschik 2005; Verschik-Bone 2018), ExophonieExophonie gibt es in der Literatur trotzdem nur vereinzelt.

      4 ExophonieExophonie der heutigen Literatur(en) EstlandsEstland/Estonia

      Von den Fällen der ExophonieExophonie in der zeitgenössischen estnischenEstland/Estoniaestnisch Literatur hängt keiner mit der deutschenDeutschlanddeutsch Sprache zusammen. Paradoxerweise hat das Ereignis, das man gemeinhin mit der Absicht DeutschlandsDeutschland, OsteuropaOsteuropa sowohl politischPolitik/politicspolitisch/political als auch kulturell und sprachlich zu unterwerfen, assoziiert, die UmsiedlungUmsiedlung (fast) aller DeutschbaltenDeutschbalten 1939 (und 1941) aus dem BaltikumBaltikum „heim ins Reich“, mehr oder weniger abrupt und wohl auch unwiederbringlich die estnisch/lettisch-deutscheLettland/Latvialettisch-deutsch ZweisprachigkeitZweisprachigkeit beendet. Jenes Ereignis hat innerhalb kürzester Zeit die deutscheDeutschlanddeutsch Sprache ihres bisherigen kaum umstrittenen Status als erster FremdspracheFremdsprache und erster Wissenschaftssprache der baltischenBaltikumBaltisch Region beraubt.

      Im heutigen EstlandEstland/Estonia kann es in folgenden Fällen zu ZweisprachigkeitZweisprachigkeit kommen: Die möglichen Sprachpaare sind EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian und EnglischEnglisch/English, EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian und RussischRusslandRussisch/Russian, EstnischeEstland/EstoniaEstnisch/Estonian StandardspracheStandard und lokale MundartenDialekt/Mundart (Setukesisch, Werro-, Mulgi-, Kihnuestnisch usw.). DeutschDeutschlandDeutsch wird in den Literaturen des BaltikumsBaltikum heutzutage nicht mehr verwendet (allenfalls als Stilmittel (Lokalkolorit) in historischenhistorisch Romanen und Erzählungen, z.B. von Jaan KrossKross, Jaan (1920–2007); oder Mati UntUnt, Mati (1944–2005) in seinem estnischsprachigen Brecht-Roman, der den deutschsprachigenDeutschlanddeutschsprachig Titel hat: Brecht bricht ein in der Nacht (1997).

      In welcher Form (textintern, autorintern, sprachintern) äußert sich also ZweisprachigkeitZweisprachigkeit in der zeitgenössischen estnischenEstland/Estoniaestnisch Literatur? Obwohl der sprachinterne BilingualismusbilingualBilingualismus inzwischen aufs Neue ein alltägliches Phänomen geworden ist (in der estnischenEstland/Estoniaestnisch Umgangssprache vor allem jüngerer Leute wimmelt es von Elementen aus dem EnglischenEnglisch/English, die Umgangssprache der Russen EstlandsEstland/Estonia kommt aber darüber hinaus, so scheint es, nicht mehr ohne estnischeEstland/Estoniaestnisch Worte aus), trifft man diese Art von Zweisprachigkeit in der Literatur eher selten an.

      Auch textinterne ExophonieExophonie ist eine seltene Erscheinung und lässt sich an unerwarteten Orten entdecken, z.B. in der Lyrik von Øyvind RangøyRangøy, Øyvind, eines Norwegers, der in EstlandEstland/Estonia seine Wahlheimat gefunden und angefangen hat, auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian zu dichten.1 Sein Gedicht „Kodeveksling. Koodivahetus“ (Rangøy 2019) ist zweisprachigZweisprachigkeitzweisprachig:

      Eg er norsk. I det er eg heime, slik ein er heime som legg frå seg

      Sekken. Ser at bislaget er der som før, med lukter av barndom.

      At kjeledressen er min no, for nokon er død. Olen eesti keeles ka

      olemas.

      Kui õunapuule poogitud pihlakaoks. Kunagine teine puu on

      Praegu minugi väikeste õunte mahlas. Lugu, mis kunagi kaugel

      Mere ja okastraadi taga vaid virvendas, on nüüd ka minu. [---]

      Am häufigsten kommt die (autorinterne) ExophonieExophonie in der Literatur EstlandsEstland/Estonia vor und es lassen sich folgende Fälle unterscheiden:

      1 ExophonieExophonie zwischen EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian und EnglischEnglisch/English (estnischer Autor fängt auf EnglischEnglisch/English zu schreiben an). Das hat weniger mit der persönlichen IdentitätIdentität/identity bzw. einem sprachlichen Hintergrund des Autors zu tun, vielmehr ist hier wohl von einem Versuch auszugehen, auf diese Art und Weise ein breiteres, internationales Publikum zu erreichen. Unter Liederautoren in der estnischenEstland/Estoniaestnisch Popmusik ist das seit den 1990er Jahren schon fast ein Normalfall.

      2 RussischRusslandRussisch/Russian-estnischeEstland/Estoniaestnisch ExophonieExophonie wird vertreten von estnisch-russischenRusslandrussisch AutorInnen, die gelegentlich auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian schreiben. Das kommt immer noch eher selten vor. Die Literatur der Russen EstlandsEstland/Estonia ist meistens in russischerRusslandrussisch Sprache geschrieben. Eine Ausnahme, die die Regel bestätigt, wäre Igor KotjuhKotjuh, Igor, der seine Texte vorwiegend auf RussischRusslandRussisch/Russian schreibt, im Jahre 2007 aber auch einen

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