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dem 19. Jahrhundert sind etwa der zweisprachigeZweisprachigkeitzweisprachig Briefwechsel von Lydia KoidulaKoidula, Lydia (1843–1886), der ersten estnischenEstland/Estoniaestnisch Lyrikerin, und Friedrich Reinhold KreutzwaldKreutzwald, Friedrich Reinhold (1817–1903), dem Verfasser des estnischenEstland/Estoniaestnisch Nationalepos Kalevipoeg (Kalews Sohn).

      2.3 Mit autorinternem Bilinguismus ist die Beteiligung eines Autors an zwei Literaturen gemeint, wie das etwa bei der Gelegenheitsdichtung des 17. Jahrhunderts nicht selten der Fall war. Der Autor schreibt in mehreren Sprachen, indem er seine SchriftspracheSchriftSchriftsprache entsprechend der Funktion, Gattung, dem Stil und Adressaten des Textes wählt, aber in einem Text durchgehend eine Sprache verwendet. Das allererste estnischsprachige Gedicht wurde im Jahre 1637 von dem gebürtigen Mecklenburger Reiner BrockmannBrockmann, Reiner (1609–1647), dem Professor des Revaler Gymnasiums, einem Freund von Paul FlemingFleming, Paul verfasst und trug den lateinischenLateinLateinisch Titel Carmen alexandrinum esthonicum ad leges Opitij poeticas compositum. Wie in der Barockdichtung üblich, hat Brockmann in mehreren Sprachen, u.a. auch auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian, gedichtet. Sein Plädoyer für die estnischeEstland/Estoniaestnisch Sprache auf DeutschDeutschlandDeutsch klingt wie folgt:

      Andre mögn ein anders treiben;

      Ich hab wollen Esthnisch schreiben.

      Esthnisch redet man im Lande/

      Esthnisch redet man am Strande

      Esthnisch redt man in der Mauren

      Esthnisch redden auch die Bauren

      Esthnisch redden Edelleute

      Die Gelährten gleichfalls heute

      Esthnisch redden auch die Damen

      Esthnisch, die aus Teutschland kamen,

      Esthnisch reden jung’ und alte.

      Sieh, was man von Esthnisch halte?

      Esthnisch man in Kirchen höret

      Da Gott selber Esthnisch lehret.

      Auch die klugen Pierinnen

      Jetzt das Esthnisch lieb gewinnen.

      Ich hab wollen Esthnisch schreiben

      Andre mögn ein andres treiben.

      (BrockmannBrockmann, Reiner 2000: 94–95.)

      Die Landprediger Gotthard Friedrich StenderStender, Gotthard Friedrich (1714–1796) und Johann Wilhelm Ludwig LuceLuce, Johann Wilhelm Ludwig (1756–1842) haben ihre aufklärerischen SchriftenSchrift auf DeutschDeutschlandDeutsch, ihre volksaufklärerischenVolkvolksaufklärerisch Werke auf LettischLettland/LatviaLettisch/Latvian bzw. EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian verfasst; der Dichter Kristian Jaak PetersonPeterson, Kristian Jaak (1801–1822) hat seine Arbeiten zur Sprache und Religion auf DeutschDeutschlandDeutsch geschrieben, sein dichterisches Werk ist aber in estnischer Sprache verfasst (mit Ausnahme von einigen deutschsprachigenDeutschlanddeutschsprachig Gedichten). Der Este (bzw. der estnischstämmige) Friedrich Robert FaehlmannFaehlmann, Friedrich Robert (1798–1850) verfasste seine berühmten EstnischenEstland/EstoniaEstnisch/Estonian Sagen auf DeutschDeutschlandDeutsch, der DeutscheDeutschlandDeutsche (bzw. der deutschstämmige) Georg Julius von Schultz-BertramSchultz-Bertram, Georg Julius von (1808–1875) wiederum sein Epos Ilmatar (1870) auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian. Das estnischeEstland/Estoniaestnisch Nationalepos Kalevipoeg (unter dem Titel: Kalewipoeg. Eine estnischeEstland/Estoniaestnisch Sage, 1857–1861) erschien zum ersten Mal parallel auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian und DeutschDeutschlandDeutsch. Die Wahl der SchriftspracheSchriftSchriftsprache war meistens abhängig von der angestrebten Funktion des Textes und von dessen Adressaten (Undusk 1999). Auch in gelehrten Kreisen des beginnenden 20. Jahrhunderts kam es noch vor, dass man die Sprache nach der Funktion und Gattung des Textes und nach dem Adressaten wechselte. Zum Beispiel dichtete Axel KallasKallas, Axel (1890–1922) sowohl auf DeutschDeutschlandDeutsch als auch auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian. Im Jahre 1912 veröffentlichte er seinen deutschsprachigenDeutschlanddeutschsprachig Lyrikband Am Moor (Dorpat 1912); im Jahre 1920 erschien noch ein deutschsprachigerDeutschlanddeutschsprachig „futuro-kubistischer“ Band Nervenvibrierungen im Tintengewande: Futuro-kubistsches. Ein Jahr darauf wechselte er seine Dichtungssprache und gab zwei Gedichtbände auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian heraus.

      3 PostkolonialeKolonialismuspostkolonial MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit in EstlandEstland/Estonia und LettlandLettland/Latvia

      Erst durch die Geburt der neuen selbständigen Staaten EstlandEstland/Estonia und LettlandLettland/Latvia im Jahre 1918 haben EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian und LettischLettland/LatviaLettisch/Latvian den Status einer Staatssprache erreicht. Damit einher ging auch die Möglichkeit, die Sprache in allen Lebensbereichen zu verwenden, auf dem Gebiet der Wissenschaft etwa bedeutete das großteils das Betreten von Neuland.

      In EstlandEstland/Estonia wurde vom neuen Staat allen nationalenNationnational MinderheitenMinderheit (8 % Russen und 1,7 % DeutscheDeutschlandDeutsche, SchwedenSchweden, IngermanländerIngermanländer und WotenWoten) eine damals weltweit beispiellose Kulturautonomie gewährt und auch die staatliche Kulturförderung war nicht explizit auf die Staatssprache beschränkt (Hasselblatt 1997: 37–46). Obwohl die deutscheDeutschlanddeutsch Bevölkerungsgruppe EstlandsEstland/Estonia immer kleiner wurde (im Jahre 1881 machte sie 5,3%, im Jahre 1887 3,5%, im Jahre 1922 1,7 und im Jahre 1934 nur noch 1,5% der gesamten Bevölkerung aus), spielte sie immer eine grosse Rolle auf politischemPolitik/politicspolitisch/political, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet. Neben estnischsprachigen Schulen existierten in EstlandEstland/Estonia während der Zwischenkriegszeit auch deutschsprachigeDeutschlanddeutschsprachig und russischsprachige, es erschienen Zeitungen und sonstige Periodika in einer Reihe von Sprachen (DeutschDeutschlandDeutsch, RussischRusslandRussisch/Russian, JiddischJiddisch, SchwedischSchwedenSchwedisch). Im Universitätsunterricht wurde in den 1920er Jahren noch DeutschDeutschlandDeutsch und RussischRusslandRussisch/Russian verwendet (estnischsprachige Fachliteratur gab es zunächst noch kaum), aber der Übergang zum EstnischenEstland/EstoniaEstnisch/Estonian vollzog sich konsequent und letztlich auch erfolgreich.

      Obwohl zur Zeit der Republik EstlandsEstland/Estonia die Intellektuellen und viele Staatsbürger und Einwohner des Landes faktisch mehrsprachigMehrsprachigkeitmehrsprachig waren, imstande, sich auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian, DeutschDeutschlandDeutsch und RussischRusslandRussisch/Russian, in „den drei lokalen Sprachen“, wie es hieß, auszudrücken, nahm in der Literatur MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit allmählich ab.

      Nach dem Zweiten WeltkriegWeltkriegZweiter Weltkrieg zerfiel die estnischeEstland/Estoniaestnisch Literatur in zwei Teile, und da das Schicksal viele SchriftstellerInnen als Exilierte ins Ausland – nach SchwedenSchweden, Kanada, Australien, in die Vereinigten Staaten oder sonstwohin – verschlagen hatte, wurde ExophonieExophonie in der estnischenEstland/Estoniaestnisch Literatur zu einem Phänomen, das vor allem für die Textproduktion von ExilautorInnen charakteristisch war. Während die erste Generation estnischer ExilautorInnen vorwiegend auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian geschrieben hat, konnten die im Kindesalter aus dem estnischenEstland/Estoniaestnisch Sprachraum Herausgerissenen gelegentlich bereits in zwei Sprachen schreiben. Elin ToonaToona, Elin (1937) hat ihren im schwedischenSchwedenschwedisch Lund 1969 erschienenen Roman Lotukata auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian und EnglischEnglisch/English (unter dem Titel In Search of Coffee Mountains) verfasst. Karin SaarsenSaarsen, Karin (1926–2018) hat auf SchwedischSchwedenSchwedisch und EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian geschrieben. Ihr letzter Lyrikband Lõvi ja orhidee (Löwe und Orchidee) enthält Gedichte auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian, SchwedischSchwedenSchwedisch, EnglischEnglisch/English, DeutschDeutschlandDeutsch und FranzösischFrankreichFranzösisch.

      Auf DeutschDeutschlandDeutsch haben die estnischenEstland/Estoniaestnisch ExilautorInnen allerdings nur noch selten geschrieben. Fast eine Ausnahme bildet das Werk von Ivar IvaskIvask, Ivar (1927–1992). Ivask wurde 1927 in Riga (man könnte sagen: auf der größten deutschenDeutschlanddeutsch Sprachinsel des BaltikumsBaltikum) als Sohn eines estnischenEstland/Estoniaestnisch

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