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ist Robert der Erste, der mir so viele Freiheiten lässt. Es hat ein paar Monate gedauert, aber wahrscheinlich musste er sich erst daran gewöhnen, plötzlich einen Angestellten zu haben, der ihm Arbeit abnehmen kann. Wenn sich Viktor nicht eingemischt hätte, hätte Robert wahrscheinlich weiterhin Tag und Nacht gearbeitet, um travele dorthin zu bringen, wo es jetzt ist.

      Kev zuckt die Schultern. »Dann machst du dich eben selbstständig.«

      »Das ist...« Ich verstumme und schüttle den Kopf, bevor ich einen Schluck Sekt trinke. Den letzten. Großartig. »Diese ganze Diskussion basiert auf der Annahme, dass Robert Interesse an mir hat.«

      Ich schlucke. Normalerweise würde ich ihn einfach fragen. Mit ihm flirten. Ihn anmachen. Aber normalerweise arbeite ich auch nicht so eng mit meinen potenziellen Sexpartnern zusammen.

      »Aber was ist, wenn er keins hat?« Ich wende mich an Anton. »Selbst wenn er mich manchmal so anschaut« – ich setze Anführungszeichen in die Luft, als ich Antons Worte wiederhole – »vielleicht interpretieren wir da zu viel hinein. Vielleicht ist er gar nicht interessiert und es könnte für uns beide ziemlich unangenehm werden, wenn ich den ersten Schritt mache.«

      Kev legt den Kopf in den Nacken und stöhnt so laut auf, dass die anderen Co-Worker, die seit diesem Sommer zunehmend die Dachterrasse bevölkern, irritiert zu uns rübersehen.

      »Ich sag's ja, verkopft.«

      »Aber das ist eine reelle Möglichkeit.«

      »Bullshit. Der Mann hat dich fünf Tage die Woche über acht Stunden direkt vor seiner Nase. Hast du mal in den Spiegel geschaut, Joscha? Solange Robert nicht tot ist und dich manchmal so anschaut« – Kev äfft meine imaginären Anführungszeichen nach – »hat er dich in Gedanken garantiert schon hundertmal flachgelegt. Vertrau mir. Ich hätt's getan.«

      Kapitel 5

      »Was ist das für eine Unterkunft, sagtest du?«

      »Seilberger Alm im Bayerischen Wald.«

      Viktor schürzt die Lippen und greift nach seinem Espresso. Die winzige Tasse verschwindet beinahe in seiner riesigen Hand, als er mit nachdenklichem Gesichtsausdruck die Finger darum legt.

      Ich kenne niemanden, der sich so lange an einem einzigen Schluck Kaffee festhalten kann. Wenn ich nicht wüsste, dass Viktor es sich leisten kann, würde ich es auf die horrenden Preise dieser teuren Szenelocation mit überschaubarer Karte schieben, aber vermutlich ist es hier schlicht undenkbar, XXL-Cappuccinos mit Sirup und Sahnehaube anzubieten.

      Ein wenig unwohl rutsche ich auf meinem Stuhl herum, obwohl ich mich rein optisch ganz gut in die Klientel einfüge. Das heißt, solange ich mein Hemd anlasse und niemand mein Tattoo sieht. Abgesehen von dem sexy Kellner mit beachtlichem Bizeps ist niemand sichtbar tätowiert und selbst bei dem sieht man es nur, wenn der Ärmel seiner Arbeitskleidung ein Stück hochrutscht.

      Als ich noch mit Marvin zusammen war, habe ich mich in solchen Lokalitäten immer fehl am Platz gefühlt. Das hat sich seit der Trennung nicht geändert. Andererseits kann ich mir Viktor nur schwer in einem Studentencafé oder dergleichen vorstellen. Wenn wir also gelegentlich die Mittagspause zusammen verbringen, lasse ich ihn das Lokal aussuchen.

      »Das klingt nett und beschaulich. Ein sich selbst versorgender Berggasthof?«

      »Nein, luxuriöse Chalets.«

      In seinen Augen blitzt es überrascht auf. Im Gegensatz zu Roberts sind sie schwammig braun und auch sonst haben die beiden äußerlich nicht viel miteinander gemein.

      Wo Robert sehnig und schlank ist, scheint bei Viktor alles etwas zu groß geraten zu sein. Angefangen bei den Händen über die Nase bis hin zu seinen Füßen. Unter dem briefmarkengroßen, aber sicher sehr hippen Tisch kommen wir uns ständig in die Quere, was nicht zuletzt daran liegt, dass Viktor viel Platz für sich beansprucht.

      Eventuell haben sie verschiedene Väter. Oder verschiedene Mütter. Auch wenn Viktor mir den Job bei Robert vermittelt hat, sind wir nicht so gut miteinander befreundet, dass wir einander unsere Familiengeschichten erzählt hätten.

      Im Gegenteil. Seit der Freundschaft mit Kev und Anton frage ich mich manchmal, was genau uns außer der Verbindung über meinen Ex eigentlich zusammenhält. Ein bisschen wie eine liebgewonnene Jeans, die jedoch immer öfter ungetragen im Schrank liegt, weil sie nicht mehr so richtig zu einem passen will. Viktor würde es hassen, als Jeans bezeichnet zu werden.

      »Dann ist das ein neuer Kandidat für euer geplantes Luxuskundensegment.«

      »Genau.« Ich trinke einen Schluck von meinem Cappuccino, der in einer vornehmen Tasse schwimmt. Vornehm wie in vornehme Größe. Meinem Augenmaß nach dürfte der Inhalt von Viktors Espressotasse genau zweimal hineinpassen.

      »Deshalb fahrt ihr da zusammen hin.« Er lacht. »Um euch mal anzusehen, wie richtige Leute Urlaub machen. Die meisten wollen in ihrer Freizeit eben doch nicht ihr eigenes Huhn zum Abendessen schlachten oder für etwas Strom auf einem Fahrrad strampeln.«

      Das ist so ein falsches Bild von dem, was sanfter Tourismus und nachhaltiges Reisen bedeuten, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll, ihn zu korrigieren.

      Stattdessen sage ich nur: »Um ein bisschen mehr als das geht es schon. travele zählt inzwischen zu den Top 5-Portalen für nachhaltiges Reisen. Letztes Jahr war der Name noch nicht viel mehr als ein Schriftzug auf einem Blatt Papier. Das müsstest du doch am besten wissen. Die Leute leben achtsamer und reisen bewusster.«

      Er neigt den Kopf. »Ich habe ganz vergessen, wie sehr du mittlerweile in deinem Job aufgehst. Du hörst dich schon an wie Robert.«

      In meinen Augen nichts Schlechtes, daher zucke ich die Schultern. »Die Arbeit macht mir Spaß und ich stehe hinter allem, wofür travele steht.«

      Ein dünnes Lächeln. »Zahlt mein Bruder inzwischen wenigstens besser?«

      Interessant, dass er sich darum sorgt, mich aber trotzdem 3,40 Euro für meinen Cappuccino zahlen lässt. Undenkbar, hier etwas zu essen. Ich nehme mir auf dem Rückweg irgendwo was mit.

      »Wir sind nach wie vor ein Start-up, auch wenn travele nicht erst gestern gegründet wurde. Große Sprünge sind da nicht drin.«

      Zumindest nicht ohne Investor oder ohne dass Robert privat Geld hineinsteckt. Da er das während meiner Zeit bei travele noch nie getan hat, gehe ich davon aus, dass er entweder kein Interesse daran hat oder kein verfügbares Kapital.

      »Das heißt dann wohl Nein.« Als ich den Kopf schüttle, fährt er halb im Scherz fort: »Und da bist du dir sicher? Ich meine, eins der Top 5-Portale für nachhaltiges Reisen... Wenn ich da an den Umsatz von Ferienwunder denke...«

      »Da bewegen wir uns in völlig verschiedenen Dimensionen, auch wenn der Markt wächst und zukunftsträchtig ist. Außerdem kenne ich traveles Finanzen.«

      »Ah, dann ist es endlich so weit, ja? Robert vertraut dir sein Heiligstes an.«

      Der spöttische Unterton nervt mich. »Wenn du damit den Zugriff auf sämtliche Konten meinst, ja. Inzwischen besitze ich sogar eine eigene Firmenkreditkarte.«

      Besänftigend lächelt Viktor mich an. »Entschuldige, das sollte nicht so herablassend klingen. Ich bin froh, dass sich Robert endlich Unterstützung holt. Seit ihm travele gehört, arbeitet er ununterbrochen. Eine Pause würde ihm guttun. Etwas Ablenkung.« Er deutet mit seiner Espressotasse auf mich. »Vielleicht ist diese Alm da genau das Richtige.«

      »Wir fahren nicht zum Vergnügen hin, sondern um den persönlichen Kontakt herzustellen.«

      »Aha. Warum, wenn ich fragen darf?«

      »Damit uns niemand mehr kommentarlos abspringt.«

      »Stimmt. Ich erinnere mich.« Er leert seine Espressotasse, in der unmöglich noch mehr als ein paar Tropfen Kaffee sein können. »Dieses Hotel an der Ostsee, oder?«

      »Nordsee. Ja. Und die Ferienhäuser im Schwarzwald.« Nachdenklich sehe ich ihn an.

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