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aber für irre Abenteuer – danke!

      Richtig! sagte Prackwitz.

      Dann schwiegen beide. Aber Prackwitz sah weiter erwartungsvoll auf Studmann, den gewesenen Oberleutnant und jetzigen Hotelempfangschef. (Trug beim Rrrr’ment den Spitznamen ›das Kindermädchen‹.) Schließlich ein Mann mit neuerdings sehr merkwürdigen, eigentlich schon verdächtigen Ansichten über Geld und gottgewollte Armut. Sah auf ihn, als erwarte er von seiner Antwort Befreiung aus allen Zweifeln.

      Und schließlich sagte dieser Studmann auch langsam: Ich glaube, du solltest dir nicht solche Sorgen machen, Prackwitz. Du solltest einfach warten. Wir kennen das doch eigentlich aus dem Felde. Sorge und auch mal Angst hatte man nur, wenn man in Ruhe oder still im Graben lag. Aber wenn es dann hieß: Raus und vorwärts! – dann war man da und ging los und alles war vergessen. Du wirst das Signal schon nicht überhören, Prackwitz. Wir haben es im Felde doch schließlich gelernt, das ruhige Warten ohne Grübeln – warum soll man es jetzt nicht können?

      Recht hast du! sagte der Rittmeister dankbar, und ich will auch daran denken! Es ist komisch, daß man jetzt nicht mehr warten kann! Ich glaube, es macht dieser blöde Dollar. Laufe, renne, schnell noch was einkaufen, hetze, jage …

      Ja, sagte Studmann. Jagen und gejagt werden, Jäger und Wild zugleich, das macht so böse und ungeduldig. Aber man braucht beides nicht. Ja … lächelte er, aber nun muß ich wieder los, ganz bin ich ja auch nicht frei davon. Ich sehe da den Portier winken. Vielleicht jagt schon ein Direktor nach mir, wieso und warum ich denn eigentlich nirgendwo zu sehen bin. Und ich werde die Stubenmädchen wieder ein wenig jagen, damit die Zimmer der Abreisen um zwölf fertig sind. Also Weidmannsheil, Prackwitz! Und wenn du heute um sieben noch in der Stadt sein solltest und hast nichts vor …

      Dann bin ich schon längst wieder in Neulohe, Studmann, sagte von Prackwitz. Aber ich habe mich wirklich unsinnig gefreut, direkt unsinnig gefreut, dich wiederzusehen, Studmann, und wenn ich mal wieder in die Stadt komme …

      Das Mädchen saß allein, unbeweglich, beschäftigungslos, immer noch auf dem Bett in der Stube. Der Kopf war ein wenig gesenkt, die Linie, die aus dem Rücken über den Nacken zum Kopf führte, war nachgiebig, weich. Das kleine, klare, reinlinige Gesicht stand weich in der Luft, die Lippen waren halb geöffnet, der auf die verschabten Dielen gerichtete Blick sah nichts. Unter dem auseinander geglittenen Mantel schimmerte das nackte Fleisch, leicht bräunlich, sehr fest. Die Luft war stickig, voller Gerüche … Das voll erwachte Haus marschierte schreiend, rufend, weinend, Türen schlagend und Treppen polternd durch seinen Tag. Das Leben äußerte sich hier vor allem durch Geräusche, und weiter noch durch Zersetzung, durch Gestank. In der Blechstanzerei im Erdgeschoß schrie zerschnittenes Blech auf, es klang, als schrien Katzen oder gequälte Kinder. Dann war es wieder fast still, nur die Treibriemen schnurrten und surrten auf den Transmissionen. Das Mädchen hörte eine Uhr zwölf schlagen.

      Unwillkürlich hob es den Kopf und sah nach der Tür. Wenn er nach dem ›Onkel‹ noch einmal zu ihr hereinsah, etwa, um ihr etwas zu essen zu bringen, mußte er jetzt kommen. Er hatte so etwas von gemeinsamen Frühstück gesagt. Aber er kam nicht, sie hatte das bestimmte Gefühl, er kam nicht. Er fuhr sicher direkt zu seinem Freund. Wenn er dort Geld bekam, ging er vielleicht noch zu ihr, vielleicht auch direkt zum Spielen, und sie sah ihn erst gegen Morgen wieder, ausgebeutelt oder mit Geld in den Taschen. Gleichviel, sie sah ihn wieder.

      Ja, überfiel es sie plötzlich, war es denn so sicher, daß sie ihn wiedersah –? Sie hatte sich daran gewöhnt: er war immer fortgegangen, und er war immer wiedergekommen. Was er auch getrieben hatte, wo er auch gewesen war, stets hatte sein Weg hier bei ihr in der Georgenkirchstraße geendet. Er war über den Hof gegangen, die Treppen hinaufgestiegen – und er war bei ihr angelangt, freudig erregt oder völlig erschöpft.

      Aber, dachte sie zum erstenmal, zutiefst erschreckt: aber ist es denn sicher, daß er immer wiederkommt –?! Es war doch möglich, daß er einmal nicht wiederkam, vielleicht heute schon. Nein, heute kam er natürlich noch wieder, er wußte doch, wie sie dasaß, sehr hungrig, nackt in seinem schäbigen Sommerpaletotchen, ohne die einfachsten Lebensbedürfnisse, mit Schulden bei der Wirtin. Heute kam er bestimmt noch wieder – aber morgen vielleicht schon –?

      ›Ich habe nie etwas von ihm verlangt‹, denkt sie. ›Warum soll er nicht wiederkommen? Ich war nie eine Last für ihn!‹

      Dann fällt ihr ein, daß sie doch etwas von ihm verlangt hat, daß sie es immer weiterverlangt, nicht mit Worten, aber sie verlangt es darum nicht weniger: daß er nämlich zurückkommt zu ihr.

      ›Auch das kann einmal eine Last für ihn sein‹, denkt sie, von einer grenzenlosen Traurigkeit erfüllt. ›Auch meine Liebe kann einmal eine Last für ihn sein, und dann kehrt er nicht heim.‹

      Es wird heiß und heißer. Sie steht mit einem Ruck von der Bettkante auf, geht zum Spiegel und bleibt vor ihm stehen. Ja, das ist sie – Petra Ledig –, aber auch das kann ihn nicht halten. Haar und Fleisch, ein eiliger Ruch, Begehren, Erfüllen – aber die Welt ist voll davon. Flüchtig fallen ihr die tausend Zimmer ein, in die um diese Stunde wieder das Vormittagsbegehren einkehrt: Küsse werden getauscht, Frauen langsam entkleidet, Bettstätten knarren, der flüchtige Seufzer der Lust wird laut und entflieht. Es wird angeknüpft und vollendet, man trennt sich – zu jeder Stunde, in jeder Minute – in tausend Zimmern.

      Hat sie geglaubt, sie sei sicher davor? Es könne so weitergehen? Zutiefst weiß sie, hat sie immer gewußt, es würde nicht dauern.

      Sie rannten so auf den Straßen, sie hatten alle Eile, liefen, den Zug noch zu fassen, das Mädchen zu treffen, diesen Schein noch vor seiner völligen Entwertung auszugeben. Was dauerte denn –? Und Liebe sollte dauern –?!

      Plötzlich begreift sie, daß alles Unsinn ist, woran sie ihr Herz gehängt. Diese standesamtliche Trauung, die ihr heute früh noch so wichtig erschien, daß sie ihm darum eine Szene machte – was änderte die schon? Vorbei! Dahin! Und daß sie hier ohne alles, halbnackt sitzt, überhungrig, mit Schulden – deswegen sollte er heute wiederkommen?! Aber wenn er nicht wiederkommt, ist es doch ganz gleich, wie sie sitzen bleibt – meinethalben mit einem Auto und einer Villa im Grunewald –, er kommt nicht wieder, das ist das einzig Wichtige! Und was sie dann anfängt, ob sie aus dem Fenster springt oder wieder Schuhe verkauft oder auf den Strich geht – das ist dann auch gleich, er kommt nicht wieder!

      Sie steht noch immer vor dem Spiegel und sieht sich an, als stehe dort eine gefährliche Fremde, auf die man gut aufpassen muß. Die dort im Spiegel ist sehr blaß, ein von innen verzehrtes, bräunliches Blaß, die dunklen Augen brennen, das Haar hängt mit ein paar losen Strähnen in die Stirn, seufzt noch einmal schläfrig auf und verstummt. Sie atmet noch. Sie schließt die Augen, ein fast schmerzender Glücksschauer überrieselt sie. Sie fühlt, wie Wärme ihr in die Wangen steigt, sie wird heiß. Eine gute Wärme, eine schöne Hitze! O Leben, Lust zu leben! Es hat mich geführt, von da über dort hierher. Häuser, Gesichter, Schläge, Gezänk, Schmutz, Geld, Angst. Hier stehe ich – süßes, süßes Leben! Er kann nie wieder von mir gehen. Ich habe ihn in mir.

      Es schnurrt, es saust. Es läuft unermüdlich treppauf, treppab. Es regt sich in jedem Steinwürfel. Es quillt aus den Fenstern. Es schielt und es schilt. Es lacht, ja, es lacht auch. Leben, süßes, herrliches, unvergängliches Leben! Er kann nicht wieder von mir gehen. Ich habe ihn in mir. Nie gedacht, nie gehofft, nie gewünscht. Ich habe ihn in mir. In der hohlen Hand lagen wir, und das Leben lief, lief mit uns. Nie kamen wir irgend an. Alles entglitt. Alles vorbei. Alles dahin. Aber es blieb etwas. Nicht über alle Fußstapfen wächst Gras, nicht jeder Seufzer verweht. Ich bleibe. Und er bleibt. Wir.

      Sie sieht sich an. Sie hat die Augen wieder geöffnet und sieht sich an. Das bin ich! denkt sie zum erstenmal in ihrem Leben, ja, sie zeigt mit dem Finger auf sich. Sie ist ohne jede Angst. Er wird schon wiederkommen. Auch er wird eines Tages begreifen, daß sie ›Ich‹ ist, wie sie es begriff. Sie begriff es, seit sie nicht mehr ›Ich‹, sondern ›Wir‹ ist.

      Sooft

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