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Wolf unter Wölfen. Ханс Фаллада
Читать онлайн.Название Wolf unter Wölfen
Год выпуска 0
isbn 9783985223411
Автор произведения Ханс Фаллада
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Gewiß, Eva war ein bißchen sehr lebenslustig, die Art, wie sie tanzte und mit den Offizieren in Ostade flirtete, wäre früher ganz unschicklich gewesen, und Weio hatte sich auch einen reichlich rüden Ton angewöhnt (ihre Großmutter kam wohl manchmal eine Ohnmacht an!) – aber was war das gegen dieses Elend, diese Schamlosigkeit, diese Sittenverderbnis, die sich am hellerlichten Tage in Berlin breit machten?! Der Rittmeister Joachim von Prackwitz war so und er blieb auch so, er hatte gar nicht die Absicht, in dieser Hinsicht sich zu ändern: eine Frau war aus feinerem Stoff gemacht als ein Mann, etwas Zartes, zu Verwöhnendes. Diese Mädchen da auf der Friedrichstraße – ach, das waren doch keine Frauen mehr. Ein wirklicher Mann konnte nur mit Schaudern an sie denken!
In Neulohe hatten sie einen Garten, sie saßen abends in diesem Garten. Der Diener Hubert brachte Windlichter und eine Flasche Mosel, allenfalls sandte noch das Grammophon mit ›Bananen, ausgerechnet Bananen!‹ eine großstädtische Welle in das Blättergeriesel und Blütengedufte. Aber die Frauen waren bewahrt. Rein, sauber.
Man konnte doch wahrhaftig nicht mehr mit einer Dame über die Friedrichstraße gehen, besonders dann nicht, wenn die Dame die eigene Tochter war! Und zu denken, daß ein herrlicher Kerl wie Studmann dieses Pack da von der Straße irgendwie beglücken wollte, sich irgendwie mit ihnen gleichstellen, und sei es nur, weil er wie die Geld verdienen mußte! Nein, danke schön. Daheim in Neulohe konnte man es vielleicht übertrieben finden, wenn die Deutsche Tageszeitung Berlin ein Sündenbabel, einen Asphaltsumpf, ein Sodom und Gomorra nannte. Aber roch man nur einmal hinein, fand man, alles war noch viel zu schwach. Nein, danke! –
Und der Rittmeister hatte sich so weit beruhigt, daß er sich eine Zigarette ansteckte und zufrieden über das vollbrachte Geschäft und die baldige Heimkehr dem Bahnhof zufuhr.
Freilich trank er dort erst einmal im Wartesaal ein paar kräftige Cognacs, denn er hatte das ziemlich sichere Gefühl, daß die Besichtigung seiner neugeworbenen Schnitter kein reines Vergnügen sein werde. Aber dann war es gar nicht so schlimm. Eigentlich das übliche, die Gesichter vielleicht noch ein bißchen frecher, roher, schamloser als sonst – aber was hieß das? Wenn sie nur arbeiteten, die Ernte reinbrachten! Sie sollten es nicht schlecht bei ihm haben, anständiges Deputat, alle Woche einen Schlachthammel, einmal im Monat ein Fettschwein!
Nur der Vorschnitter war genau die Sorte Mensch, die dem Rittmeister völlig verhaßt war – Marke Radler: unten treten, oben buckeln. Er schwänzelte um den Rittmeister, sprudelte einen Schwall halb deutscher, halb polnischer Worte heraus, die Kraft und Tüchtigkeit seiner Leute priesen, und trat dabei unversehens ein Mädchen in den Hintern, das nicht schnell genug mit seinem Packen durch die Tür kam.
Übrigens stellte es sich, als der Rittmeister den Sammelfahrschein lösen wollte, heraus, daß der Vorschnitter nicht fünfzig, sondern nur siebenunddreißig Leute gebracht hatte. Aber auf eine Frage des Rittmeisters schüttete er wieder eimerweise wirre Redensarten aus, die immer polnischer und unverständlicher wurden (›Natürlich hat Eva ganz recht, ich hätte Polnisch lernen sollen, aber ich denke nicht daran –!‹). Der Vorschnitter schien etwas zu beteuern, er spannte den Oberarmmuskel und funkelte den Rittmeister lachend, schmeichlerisch mit kleinen, mäuseflinken schwarzen Augen an. Schließlich zuckte Prackwitz die Achseln und löste den Schein. Siebenunddreißig waren besser als nichts, und jedenfalls waren es gelernte Landarbeiter.
Dann kam der lärmende, schreiende Auszug auf den Bahnsteig; die Verfrachtung in den schon bereitstehenden Zug; der schimpfende Schaffner, der ein die Tür sperrendes Bündel in den Wagen stopfen wollte, während es samt seiner Trägerin von drinnen wieder herausgeschoben wurde; der Streit zweier Burschen; die wilden Gestikulationen und Rufe des Vorschnitters, der dazwischen ununterbrochen auf den Rittmeister einredete, um seine dreißig Dollar bat, forderte, bettelte …
Der Rittmeister meinte zuerst, zwanzig genügten, da ja ein Viertel der Leute fehle. Sie fingen an, hitzig zu rechnen, und schließlich zählte, müde der Streiterei, der Rittmeister dem Vorschnitter drei Zehndollarscheine in die Hand, nachdem auch der letzte Mann seinen Platz gefunden hatte. Jetzt floß der Vorschnitter über vor Dank, verbeugte sich, trat hin und her und brachte es schließlich wirklich fertig, die Hand des Rittmeisters zu erhaschen und inbrünstig zu küssen: Marjosef! Heiliger Wohltäter!
Etwas angeekelt suchte sich der Rittmeister einen Platz ganz vorne im Zug in einem Raucherabteil Zweiter, er setzte sich bequem in eine Ecke und brannte sich eine neue Zigarette an. Alles in allem: es war ein gutes Tagewerk, das er vollbracht hatte. Morgen konnte die Ernte richtig anfangen.
Rumpelnd und pustend kam der Zug endlich in Gang, fuhr aus der traurigen, verrußten, verlotterten Halle mit ihren zerschlagenen Scheiben. Der Rittmeister wartete nur, daß der Schaffner vorbei war, dann wollte er ein Schläfchen machen.
Schließlich kam der Schaffner, knipste die Karte und gab sie dem Rittmeister zurück. Aber er ging noch nicht, wie wartend blieb er stehen.
Nun? fragte der Rittmeister schläfrig. Ein bißchen heiß draußen, was?
Sind Sie nicht der Herr? fragte der Schaffner, mit den polnischen Schnittern?
Jawohl! sagte der Rittmeister und richtete sich grader auf.
Dann wollte ich Ihnen nur melden, sagte der Schaffner (eine Spur schadenfroh), daß die Leute alle gleich wieder auf dem Schlesischen Bahnhof ausgestiegen sind. Ganz klammheimlich.
Was? schrie der Rittmeister und sprang an die Abteiltür.
6
Der Zug fuhr schneller und schneller. Er tauchte in den Tunnel, der erleuchtete Bahnsteig blieb hinten.
Wolf Pagel saß auf dem Löschkasten des überfüllten Raucherwagens, brannte sich eine Lucky Strike aus dem Päckchen an, das er eben aus dem Erlös für ihr ganzes Hab und Gut erstanden. Er tat einen tiefen Zug.
Oh, schön, schön! Die letzte Zigarette hatte er in der vergangenen Nacht auf dem Heimweg vom Spiel geraucht, um so besser schmeckte diese, fast zwölf Stunden später. Lucky Strike hieß ja wohl, wenn ihn sein Schulenglisch nicht ganz im Stich ließ, soviel wie Glücksschlag, Glückstreffer – diese glückverheißende Zigarette sollte für den ganzen Tag von prophetischer Bedeutung sein!
Der Dicke da schnauft cholerisch, raschelt mit der Zeitung, schießt unruhige Blicke – das hilft dir alles nichts, wir wissen es allbereits auch schon: der Dollar kommt heute mit 760 Tausend, über fünfzig Prozent Aufschlag. Der Zigarettenonkel wußte es gottlob noch nicht, sonst hätten wir uns diese Zigarette nicht leisten können. Du hast auch falsch gelegen, Dicker, dein Schnaufen verrät dich, du bist empört! Aber das hilft dir nichts. Dies ist eine ganz großartige, völlig moderne Nachkriegserfindung: man stiehlt dir die Hälfte des Geldes, das du in der Tasche hast – und rührt die Tasche und das Geld doch nicht an – ja, Köpfchen! Köpfchen! Nun fragte sich, ob Freund Zecke richtig oder falsch gelegen hatte. Hatte er falsch gelegen, würde er etwas schwer hören (obwohl nicht einmal das sicher war); kam ihm die neue Entwertung aber zupaß, würde es ihm auf eine Handvoll Millionenscheine nicht ankommen. Seit ein paar Tagen gab es sogar Zweimillionenscheine – Pagel hatte sie im Spielklub gesehen. Sie waren mal wieder richtig auf beiden Seiten bedruckt, sahen aus wie Geld, nicht diese einseitig bedruckten, weißen Fetzen – die Leute sagten schon, das solle nun für ewig der höchste Schein bleiben. Sagten – wegen solcher Sage schnauft der Dicke, hatte an Sagen geglaubt.
Es war kaum anzunehmen, daß Zecke falsch gelegen hatte. So lange Pagel denken konnte, hatte Zecke stets richtig gelegen. Nie hatte er sich in der Beurteilung eines Lehrers geirrt. Er hatte gradezu eine Vorahnung dafür gehabt, was für Fragen gestellt werden würden, welche Themen bei der Examenarbeit ›dran‹ kamen. Im Kriege war er der erste gewesen, der ein großartiges Urlaubersystem zur Verteilung von Salvarsan auf dem Balkan, in der Türkei eingerichtet hatte. Und als dies Geschäft faul zu