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erschien, huschte eine Katze vorbei und verschwand im Schatten eines Hauseingangs.

      Endlich hörte sie Schritte hinter der Tür.

      »Wer ist da?«, fragte Alma mit leiser Stimme.

      »Ich bin’s, Marina, bitte, mach schnell auf.«

      »Ich kenne keine Marina.«

      »Tante Alma, ich bin Maja, die Tochter von Emilia.«

      Die Tür ging einen Spalt auf. Das Gesicht der alten Frau, die Marina misstrauisch musterte, war blass. Ihre Augen lagen tief in ihren Höhlen, die weißen Löckchen standen ihr nach allen Seiten vom Kopf ab. Über ihren schmalen Schultern, die sich unter dem Morgenrock abzeichneten, hatte sie sich ein Wolltuch gelegt.

      »Maja?«

      »Ja, darf ich hereinkommen?«

      »Mein Gott, aber natürlich. Ist denn wer gestorben?«

      »Ja, ich meine, nein, ich erzähle es dir gleich, ich muss nur dringend auf die Toilette.«

      Alma öffnete die Tür ganz und ging einen Schritt zur Seite.

      »Da drüben, die zweite Tür links.«

      »Danke.« Marina lächelte, drückte sich an Alma vorbei und verschwand im Badezimmer.

      Was sollte sie ihr bloß erzählen? Die Wahrheit auf keinen Fall, überlegte sie, während sie sich die Hände und das Gesicht wusch. Aus dem Spiegel starrte sie ein kreidebleiches Gespenst mit geschwollenen Augenlidern und einer blutigen Schramme an der Unterlippe an, die beim Sprechen immer noch weh tat.

      Als sie wieder herauskam, war Alma in der Küche und deckte wie in Zeitlupe den Tisch, da ihre Hände immer noch zitterten.

      »Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe, ich wollte dich nicht so erschrecken«, sagte Marina und küsste Alma auf die Wange.

      »Ach was, das macht doch nichts, es ist nur mein Kreislauf.« Sie lächelte verlegen und strich sich eine Strähne aus der Stirn. »Aber bitte, setz’ dich doch, ich mache uns einen Kaffee.«

      Marina legte den Rucksack auf die Eckbank in der Küche und setzte sich.

      »Ich wollte dich anrufen, dass ich vorbeikomme, aber dann habe ich in der Eile deine Telefonnummer nicht gefunden.« Marina hoffte, dass Alma ihre kleine Lüge nicht bemerkte.

      »Ach, ist doch kein Problem. Ich freue mich, dass du da bist. Wie geht es dir?«

      Alma nahm ein rotes Emailkännchen aus der Kredenz und tastete nach den Streichhölzern, die auf dem Fensterbrett lagen. Dann schaltete sie den Gasherd ein und zündete nach mehrmaligen Versuchen ein Streichholz an.

      Sie ist ja fast blind, dachte Marina. Und jetzt belästige ich sie auch noch, ich hätte nicht herkommen sollen, hätte mich schon irgendwie nach Italien oder Österreich durchgeschlagen, es wäre besser, nach einer höflichen halben Stunde zu gehen, aber damit würde ich sie wahrscheinlich noch mehr irritieren.

      Marina lehnte sich zurück und wäre am liebsten auf der Stelle eingeschlafen. Sie war so müde, gleichzeitig aber aufgekratzt, auf sich selbst und vor allem auf den Mann wütend, der sie so weit gebracht hatte, dass sie alle Vernunft vergessen und ihn in die Hölle befördert hatte.

      Ich sollte mich stellen, sagte sie sich immer wieder. Dann würde sie der Polizei alles sagen, was sie über Miro und seine Machenschaften wusste. Wenn die anderen sie aufspürten, war sie verloren.

      Und jetzt musste sie hier ganz ruhig und normal wirken und sich eine einigermaßen plausible Geschichte ausdenken. Oder eine verrückte, Hauptsache, Alma wurde nicht misstrauisch.

      Marina schaute sich um. Die alte Kuckucksuhr, die angeblich aus dem Schwarzwald stammte, tickte an der Wand neben der Kredenz mit der abblätternden hellblauen Farbe. Auf dem Kühlschrank stand eine Vase aus venezianischem Glas mit roten Plastiknelken, auf dem Esstisch lag eine abwaschbare Tischdecke mit Rosenmuster, an der Wand hing ein Kirchenkalender. Auf dem Foto war der Papst inmitten einer Menschenmenge zu sehen. Er küsste ein weinendes Kleinkind, das ihm eine Frau entgegenhielt.

      Hier hatte sich nichts verändert.

      »Wie lange haben wir uns eigentlich nicht gesehen? Zehn Jahre?«, fragte Alma und riss Marina aus ihren Gedanken.

      »Ja, so ungefähr. Ich war fünfzehn oder sechzehn.«

      »Deshalb habe ich dich auch nicht gleich erkannt. Du bist so dünn geworden. Wie geht es deiner Mutter und den anderen?«

      »Wie immer, nehme ich an«, erwiderte Marina und hoffte, dass sie nicht über ihre Familie reden musste.

      Alma ging zur Spüle, füllte das Kännchen mit kaltem Wasser, wobei die Hälfte daneben lief, und stellte es vorsichtig auf den Herd.

      »Ja, es ist nicht einfach. Ich habe deine Mutter immer ganz besonders gemocht. Sie ist meiner Schwester, also deiner Großmutter, Gott hab sie selig, wie aus dem Gesicht geschnitten.«

      »Ja, ich weiß.«

      »Der Kaffee ist gleich fertig. Dann erzählst du mir, was passiert ist.« Sie nahm ein Päckchen Kaffee aus der Kredenz und einen kleinen Löffel.

      Marina stand auf.

      »Ja, aber lass mich das bitte machen.«

      »Na gut.«

      Alma setzte sich und erzählte von Marinas Großmutter und anderen längst verstorbenen Verwandten.

      »Stört es dich, wenn ich rauche?«, fragte Marina, als der Kaffee fertig war. »Ich mache auch das Fenster auf.«

      Alma schüttelte den Kopf. Oder es kam Marina so vor, denn als Alma ihre Tasse an den Mund hielt, wurde Marina klar, dass das Zittern nicht aufgehört hatte.

      »Nein, mach nur.«

      »Geht es dir gut? Ist dir kalt?«

      Alma lächelte, als sie Marinas besorgten Blick bemerkte.

      »Nein, ich muss erst meine Tabletten nehmen.«

      »Wo sind sie? Ich hole sie dir.«

      »Im Schlafzimmer auf dem Nachttisch.«

      Nach dem Kaffee hatte Marina gerade noch so viel Kraft, um Alma zu erzählen, warum sie in aller Herrgottsfrühe bei ihr hereingeschneit war.

      Sie habe sich nach einem Streit von ihrem Freund endgültig getrennt und sei mit seinem Auto weggefahren. Er sei eigentlich nicht ihr richtiger Freund, aber die Geschichte sei zu kompliziert. Er habe sie nicht gut behandelt und sie habe sich nicht gewehrt. Doch irgendwann sei es einfach zu viel für sie gewesen, und sie habe ihn verlassen müssen. Alma solle sich keine Gedanken machen, sie werde sie nicht lange stören.

      »Aber Kind, was redest du da? Du störst mich nicht, ganz im Gegenteil. Vielleicht solltest du mit deinem Freund reden.«

      »Da gibt es nichts mehr zu sagen, es ist aus, ein für alle Mal! Und ich bin froh, dass ich ihn verlassen habe.«

      »Wenn du meinst, dass es besser ist. Ich möchte dir da nicht dreinreden.«

      Dann hatte Marina sich hingelegt und war auf der Stelle eingeschlafen.

      Sieben

      Als Prohaska den Laden in der Via Carrera betrat, blickte Ivo vom Laptop auf und beugte sich über den Tresen, um Prohaska die Hand zu schütteln.

      »Guten Morgen, der Herr, hast du heute etwas vor?«

      »Nein, wieso?«

      »Du siehst aus wie aus dem Ei gepellt.«

      Prohaska grinste. »Die Konkurrenz schläft nicht und ab einem gewissen Alter sollte der Mann von Welt mehr auf sein Äußeres achten als in der Blüte der Jugend.«

      »Ich wusste nicht, dass dir das Älterwerden Probleme macht.«

      »Tut es auch nicht, ich habe nur

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