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Die Sehnsucht der Kormorane. Silvija Hinzmann
Читать онлайн.Название Die Sehnsucht der Kormorane
Год выпуска 0
isbn 9783990471104
Автор произведения Silvija Hinzmann
Жанр Языкознание
Серия wtb Wieser Taschenbuch
Издательство Bookwire
»Mensch, pass auf«, knurrte Karlović, als Viktor auf einen trockenen Ast trat.
So ein schönes Haus hätte er auch gerne gehabt, dachte Viktor, während er die mit vier Marmorsäulen gesäumte halbrunde Treppe vor der Eingangstür betrachtete. Bis vor einem Jahr noch war es mehr oder weniger eine Ruine gewesen, an deren Mauern Eidechsen herumhuschten und Efeu und Flechten wucherten. Aber mit Geld lässt sich bekanntlich alles machen. Nicht, dass er neidisch gewesen wäre, aber manche Menschen schafften es einfach besser als andere, sich so etwas zu leisten. Und er gehörte eindeutig zu den anderen.
Karlović blieb abrupt stehen.
»Was ist da los?«
»Was meinst du?«
»Na da, im Erdgeschoss ist doch jemand, aber er kann uns nicht gesehen haben, wir sind zu weit weg«, flüsterte Karlović.
»Vielleicht solltest du die Sache lieber abblasen«, schlug Viktor vor.
»Kommt gar nicht infrage.«
Viktor drückte sich hinter eine Zypresse, die wie eine schwarze Lanze in den Nachthimmel ragte. Die Wolke löste sich auf und gab den Mond frei.
Im Haus ging das Licht aus.
»Ich gebe ihm zwei Minuten«, flüsterte Karlović.
»Ich warte aber unten.«
»Hast wohl Schiss, was?«
»Hab ich nicht.« Viktor gab sich Mühe, seine Stimme fest klingen zu lassen, aber sie bebte trotzdem. Er biss sich auf die Unterlippe und schwor sich, sobald diese Aktion vorbei war, würde er sich aus dem Staub machen. Karlović konnte ihn mal, mit dem wollte er nie mehr etwas tun haben. Der würde ihn noch tiefer in den Sumpf hineinziehen. »Das ist doch verrückt.«
»Ach, der Bub macht sich in die Hose«, höhnte Karlović.
»Blödmann«, murmelte Viktor.
Karlović fuhr herum und kam mit seinem nach Schweiß und Zigarettenrauch riechenden Schädel ganz dicht an Viktor heran.
»Was hast du gesagt?«
»Nichts. Ich mache so etwas zum ersten Mal.«
»Und? Da musst du durch. Und merkt dir eins: Erst wenn ich sage, dass du unten bleiben sollst, bleibst du unten, klar?«
»Ich bin ja nicht taub.«
Karlović murmelte etwas und schaute wieder zum Haus.
Als plötzlich die Tür aufging, hätte Viktor beinahe aufgeschrien.
»Wer zum Teufel ist das?«, fragte Karlović aufgebracht.
»Keine Ahnung«, erwiderte Viktor, doch er wusste, wer da zum Schuppen rannte.
»Miro ist es nicht«, sagte Karlović.
»Das war’s dann«, sagte Viktor und riss sich die Maske herunter.
Noch bevor Karlović etwas sagen konnte, fuhr ein dunkler Wagen so schnell vorbei, dass ihnen die Kieselsteine um die Ohren flogen.
»Mann, der haut mit Miros Wagen ab!«
»Wird wohl seine Gründe haben«, bemerkte Viktor trocken.
Karlović drehte sich zu ihm um.
»Zieh das Ding an!«
»Die brauche ich nicht mehr, außerdem krieg’ ich keine Luft.«
»Anziehen. Sofort!«
Viktor stülpte sich die Maske wieder über. Karlović zog die Waffe aus dem Hosenbund und schraubte den Schalldämpfer auf den Lauf.
Viktor wich erschrocken zurück.
»Was soll das? Ich dachte, du wolltest ihm eine Abreibung verpassen.«
»Das habe ich vor.«
Viktor spürte, wie seine Knie nachgaben.
»Sollten wir nicht lieber versuchen, den Typ einzuholen?«, fragte er, um das Entsetzen zu überspielen, das ihn beim Anblick der Waffe erfasst hatte.
»Um den kümmere ich mich später. Gib mir den Schlüssel.«
Viktor fingerte einen Schlüssel aus der Hosentasche.
Sie schlichen runter zum Haus. Karlović schloss die Haustür auf und ging hinein. Im fahlen Licht des Mondes, das durch die Küchenfenster fiel, zeichneten sich die Konturen der Schränke zu ihrer Rechten, der Garderobe und der Treppe ab, die nach oben führte. Die Tür des Wohnzimmers stand offen.
Auf einen Wink von Karlović drückte Viktor die Haustür zu und lehnte sich dagegen. Er würde keinen Schritt weitergehen. Dass bei dem Kerl ein paar Schrauben locker waren, wurde ihm mit jeder Sekunde klarer. So einer hatte ihm nichts zu befehlen.
»Warte hier«, zischte Karlović und schlich wie eine Katze die Treppe hinauf.
Als in der Küche der Kühlschrank zu brummen anfing, zuckte Viktor zusammen und löste sich aus der Erstarrung. Von oben waren undeutlich Stimmen zu hören, aber er verstand kein Wort. Dann hörte er ein Rumpeln, als wäre etwas zu Boden gefallen. Viktor war schon an der Treppe und wollte hinauf, um nachzusehen, was da vor sich ging, als er zwei dumpfe Geräusche hörte. Schüsse! Er taumelte zurück und knallte mit dem Rücken gegen die Tür.
Karlović kam hinunter und eilte ins Wohnzimmer. Sein Gesicht sah im Schein der Handylampe wie versteinert aus.
»So eine verdammte Scheiße!«, fluchte er durch zusammengebissene Zähne, als er wieder herauskam.
»Was ist passiert?«
»Frag nicht so blöd. Raus hier!« Karlović stieß Viktor beiseite, riss die Tür auf und lief zum Schuppen.
Viktor zerrte sich die Maske herunter und folgte ihm mit wild klopfendem Herzen.
Drei
Als die Böschung am Straßenrand höher wurde, schaltete sie die Scheinwerfer an. Weit unten funkelten die Lichter der Küstenstraße, als wären sie an einer Perlenschnur aufgereiht. Das Meer glänzte im Mondlicht gleichgültig gegenüber allen menschlichen Regungen, ihren Irrungen, Sehnsüchten und Wünschen; heute Nacht sanft wiegend wie eine Kinderwiege, doch manchmal tosend und alles verschlingend, seit Anbeginn der Zeit.
Nach zehn Minuten, in denen sie keinen klaren Gedanken fassen konnte, tauchte die Kreuzung auf, an der sie sich entscheiden musste, ob sie nach Rijeka und von dort ins Landesinnere oder in die entgegengesetzte Richtung fahren sollte. Ihre Hände zitterten, ihr war heiß und kalt, als hätte sie Fieber. Sie hielt in einer Einbuchtung an und stieg aus. Eine kalte Windböe griff nach ihren Haaren. Im Wald, den sie mehr ahnte als sah, rief ein Nachtvogel. Sie ging nach vorne, doch da gaben ihre Knie nach und sie stützte sich an der Motorhaube ab, um nicht umzukippen. Dann erbrach sie sich. Sie wartete, dass ihr Herz zu rasen aufhörte und die Krämpfe nachließen und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab. Auf der Hauptstraße raste ein Auto vorbei. Der Fahrer hatte sie bestimmt nicht gesehen. Und falls doch, war es jetzt auch egal. Sie war eine Mörderin. Ihr Schicksal war besiegelt.
Sie wollte nicht an ihre Mutter denken, die so viel durchgemacht hatte und die sie dennoch nie verstanden hatte. Und auch nicht an ihren Vater, der sie vor zehn Jahren wegen einer jüngeren Frau verlassen hatte. Sie wollte auch nicht an ihren Bruder denken, der sie immer zu beschützen versuchte. Nach der Scheidung der Eltern verlor er wie sie selbst für eine lange Zeit den Boden unter den Füßen. Als sie volljährig