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Zarenblut - Ein Fall für Julia Wagner: Band 4. Tanja Noy
Читать онлайн.Название Zarenblut - Ein Fall für Julia Wagner: Band 4
Год выпуска 0
isbn 9788726643091
Автор произведения Tanja Noy
Жанр Языкознание
Серия Ein Fall für Julia Wagner
Издательство Bookwire
„Du weißt, was zu tun ist, du bist der Richtige.“
Die Worte verstärkten die Anspannung in Max nur noch zusätzlich. „Sie wissen selbst, dass das nicht stimmt. Und wer sagt mir überhaupt, dass sie mich finden wird? Dass sie überlebt? Und dass ich überlebe.“
Wieder rauschte einen Moment lang das Schweigen in der Leitung, als der Angerufene offenbar über das Gesagte nachdachte. Dann: „Niemand.“
„Das erfüllt mich nicht gerade mit Zuversicht.“
„Sie wird geleitet werden. Pastor Jordan ist ein guter Lehrer. Ihr verstorbener Vater hat ihn wegen genau dieser Qualitäten dafür ausgewählt.“
„Aber wie soll sie mich finden?“
„Wie ich gerade sagte, sie wird geleitet werden.“
„Sie kann dabei sterben. Wir können alle dabei sterben.“
„Ja. Aber wir haben keine andere Wahl. Ich weiß es, und du weißt es auch. Möge Gott mit dir sein.“
Einen Moment später war die Leitung tot.
Ganz langsam legte Max den Hörer auf die Gabel zurück und verließ die Telefonzelle. Er spürte, wie schon wieder Übelkeit in ihm aufstieg. „Keine Wahl“, sagte er leise, rang nach Luft und verharrte in der Bewegung. Dann wirbelte er herum und starrte gebannt den farblosen Mann an, der langsam näher kam. War das wirklich ein Mensch? Max blinzelte. Es musste ein Mensch sein, aber er sah nicht so aus. Kälte kroch sein Rückgrat hinauf, als er in die kalten, durchsichtigen Augen blickte. Nein, das war kein Mensch, das war ein Dämon. Ein Dämon mit einem blutigen Schwert in der Hand.
Genau in dem Moment, in dem Max sich in Bewegung setzte, um davonzulaufen, durchbrach die lange Klinge des Schwertes die Dunkelheit und verfehlte seinen Hals nur um Haaresbreite.
Gott im Himmel, hilf mir!
Max rannte, und die bleiche Gestalt folgte ihm, jedoch ohne Eile. „Du kannst mir nicht entkommen! Das weißt du doch.“
Todesangst pulsierte schmerzhaft durch Max’ Adern.
„Du weißt, wo der Schlüssel ist, nicht wahr?“ Als würde er es ihm direkt ins Ohr flüstern. „Und du weißt, dass wir ihn haben wollen.“
Weiter!
In Max’ Kopf pochte es, sein Atem ging rasselnd. Gab es hier noch mehr, die auf ihn warteten?
Dort drüben! Eine Bewegung!
Kaltes Entsetzen presste Max die Luft aus den Lungen, aber er wollte auch nicht aufgeben und sich dem Unabwendbaren fügen, also rannte er in die andere Richtung. Er stolperte und fiel, schrammte sich das Gesicht auf, verlor die Brille, suchte sie verzweifelt mit den Händen, fand sie, stand wieder auf und rannte weiter. Sein Herzschlag dröhnte wie eine Glocke. Plötzlich wusste er nicht mehr, wo er war. Schatten verwandelten sich in Bäume und Bäume in Schatten.
Max stolperte erneut und fiel hin. Ein heftiger Schmerz fuhr in seinen linken Arm. Mit dem gesunden Arm hielt er ihn fest und rannte weiter.
Mit letzter Kraft erreichte er die Hauptstraße, schluchzend vor Todesangst.
Er sah die Scheinwerfer eines Autos auf sich zukommen. Hell und gleißend.
Ohne noch einmal darüber nachzudenken, warf Max sich auf die Straße.
Hannover
Langsam ließ Walter Wendt sich in seinen Sessel sinken. Dann legte er die Kassette in seinen Schoß und faltete die Hände darüber. Er zerbrach sich den Kopf, wie er die ihm übertragene Aufgabe lösen sollte, eine Aufgabe, für deren Lösung er eigentlich gar nicht die Mittel besaß. Vermutlich auch nicht den Verstand. Er war doch nur ein einfacher Mann.
Nachdenklich starrte er aus dem Fenster.
Es gab keine Alternative, das wusste er. Dies war seine Aufgabe auf Erden.
Man hatte ihm gesagt, dass die Kassette alles enthalte, was sie irgendwann bräuchte, um die Gegner ein für alle Mal zu besiegen. Wendt sah auf den silbernen Kasten hinab, betrachtete die eingravierten Zeichen und Symbole, deren Bedeutung niemand verstand, der die Sprache nicht kannte. Er selbst verstand sie auch nicht. Aber er wusste, dass sie alles verstehen würde, wenn die Zeit gekommen war.
Wenn die Zeit gekommen war.
Wendt seufzte leise. Die Aufgabe würde alles von ihm fordern, und er hoffte von ganzem Herzen, dass er den Mut und die Kraft finden würde, bis zum Ende durchzuhalten.
Während er seine eigenen Augen betrachtete, die sich im Fenster spiegelten, nickte er leicht.
Dann erhob er sich wieder und machte sich daran, die Kassette vor den Feinden zu verstecken. So, wie es ihm aufgetragen worden war.
Wittenrode
Nach dem Abendbrot und dem Gebet, wenn die Kinder des Waisenhauses in ihren Betten lagen und eingeschlafen waren, wenn endlich alles still war, dann saßen sie in Pastor Jordans Büro. Er trug selbst zu dieser späten Stunde immer noch seinen schwarzen Anzug, und vor ihm auf dem Tisch lag ein ebenso schwarzes Notizbuch.
„Erzählen Sie mir von ihm“, bat Julia, während feine Staubteilchen wie aufgewirbelter Goldstaub in der Luft schimmerten. „Erzählen Sie mir von meinem Vater.“
Jordan sah sie einen Moment lang an, dann sagte er mit ruhiger und ernster Stimme: „Er war ein guter Mann. Ein tapferer Mann.“
„Ein Held.“
„Ja. Ein Held, der sich vor keinem Kampf scheute.“
Julias Augen schimmerten im dämmrigen Licht. „Er hatte keine Angst.“
„Oh doch“, sagte Pastor Jordan. „Er hatte Angst. Aber man kann auch ein Held sein, obwohl man Angst hat. Vielleicht gerade dann. Verstehst du, was ich meine?“
„Dass man weitermacht, auch wenn man Angst hat?“
„Richtig. Und genau das hat dein Vater getan. Er tat, was er für richtig hielt, obwohl er sehr viel Angst hatte. Und das macht ihn zu einem wahren Helden.“
Für einen kurzen Moment sah Julia aus dem Fenster, suchte nach den Sternen am Himmel, die kaum zu sehen waren. Dann wandte sie sich Jordan wieder zu. „Er hat gesagt, dass ich ein Engel bin. Ein guter Engel.“
„Oh ja, das bist du“, antwortete Jordan. „Du bist ein guter Engel. Dein Vater hat dich sehr geliebt, und deshalb tat er das Tapferste, was es gibt. Und er tat es für dich.“
„Und was war das?“
„Das wirst du erfahren, wenn du etwas älter bist.“
Es war Julia anzusehen, dass sie mit dieser Antwort nicht zufrieden war, und so fügte Jordan hinzu: „Was wir hier tun, ist ein Geschenk deines Vaters an dich. Was du später damit machen wirst, ist dein Gegengeschenk an ihn.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Ein Jegliches hat seine Zeit, Julia. Und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde. Es ist noch nicht so weit, aber wenn es so weit ist, wirst du vorbereitet sein.“
„Aber …“
„Lass uns anfangen.“ Jordan schlug das Notizbuch auf.
Auf den ersten Seiten war die einst schwarze Tinte im Laufe der Jahre zu einem trüben Braun verblasst, und es war eine schwierige Aufgabe, die Kreise, Striche, Kreuze und Punkte zu erkennen. Die Schrift war krakelig und völlig fremd, geschrieben in einer Sprache, die man nicht in der Schule lernte. Nicht Griechisch, nicht Hebräisch, nicht Arabisch.
Es war schwer, sich alles zu merken. „Warum müssen die anderen Kinder das nicht lernen?“, fragte Julia. „Warum nur ich?“
Jordan war einen Moment lang verblüfft. Nicht über die Frage selbst, die stellte sie fast jeden Abend, nein, er war überrascht