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preisgegebene Menschenherz.

      Auf Minuten hing er wissenschaftlichen Betrachtungen nach; aber immer und immer störte ihn die Besorgniß um den Paraschiten und Uarda's ihn tief erregende Nähe.

      Stundenlang war er mit ihr allein geblieben, denn ihr Vater und die Großmutter hatten sich den Anforderungen ihres Berufes nicht länger entziehen können.

      Der Erstere mußte Kriegsgefangene nach Hermonthis geleiten und die Alte gehörte, seitdem ihre Enkelin erwachsen war und dem kleinen Hausstande vorzustehen vermochte, zu den Klageweibern, welche mit aufgelösten Haaren und indem sie Stirn und Brust mit Nilschlamm bestrichen, jammernd und wehklagend die Leichen auf ihrem Wege zur Nekropole zu begleiten hatten.

      Uarda lag, als die Sonne sich neigte, noch immer vor der Hütte.

      Sie sah bleich und müde aus.

      Ihr volles Haar hatte sich wiederum aufgelöst und das Stroh ihres Lagers vermischte sich mit demselben. Wenn Nebsecht sich ihr nahte, um ihren Puls zu fühlen oder ihr zuzusprechen, so wandte sie geflissentlich ihr Antlitz von ihm ab.

      Als die Sonne hinter den Bergen verschwand, neigte er sich abermals über sie und sagte:

      »Es wird kühl; soll ich Dich nicht in die Hütte tragen?«

      »Laß mich,« sagte sie verdrossen. »Mir ist heiß; rück' mir ferner! Ich bin nicht mehr krank und könnte allein in die Hütte, wenn ich nur wollte; aber die Großeltern kommen ja gleich.«

      Nebsecht stand auf, setzte sich auf einen Hühnerkorb nieder, der mehrere Schritte von Uarda entfernt stand, und fragte stotternd:

      »Soll ich noch weiter rücken?«

      »Thu' was Du willst,« gab sie zurück.

      »Du bist unfreundlich,« entgegnete er traurig.

      »Du siehst mich immerfort an,« sagte Uarda, »das mag ich nicht leiden und ich bin voller Unruhe, denn der Großvater war heute Morgen anders wie sonst und hat seltsame Reden geführt vom Tode und dem hohen Preis, der für meine Genesung von ihm gefordert werde. Dann bat er mich, ihn nicht zu vergessen, und war so bewegt und so seltsam. Wo er nur bleibt; ich wollte, er wäre wieder bei mir.«

      Nach diesen Worten begann Uarda still zu weinen, Nebsecht aber erfaßte eine namenlose Angst um den Paraschiten und es fiel ihm schwer auf's Herz, daß er als Preis für eine bloße Pflichterfüllung ein Menschenleben verlangt habe. Er kannte genau das Gesetz und wußte, daß man den Alten ungesäumt zwingen würde, den Giftbecher zu leeren, wenn man ihn beim Raube eines Menschenherzens ertappte.

      Es wurde dunkel. Uarda hörte auf zu weinen und fragte den Arzt:

      »Kann er vielleicht in die Stadt gegangen sein, um die hohe Summe zu borgen, die Du oder Dein Tempel für eure Arzneien gefordert? Aber da ist ja der goldene Reif der Prinzessin und die halbe Beute des Vaters und in der Truhe dort liegt unangetastet der Lohn, den Großmutter in zwei Jahren als Klagefrau heimtrug. Ist euch das Alles noch nicht genug?«

      Die letzte Frage des Mädchens klang ingrimmig und vorwurfsvoll und der Arzt, dem strenge Wahrhaftigkeit zur Lebensgewohnheit geworden, schwieg, weil er sich nicht »ja« zu sagen getraute. Er hatte mehr für seine Hülfe verlangt als Gold und Silber. Jetzt erinnerte er sich an Pentaur's Warnung und als die Schakale zu bellen begannen, ergriff er den Feuerbohrer 146 und zündete einige bereit liegende Pechstücke an. Dabei fragte er sich, was wohl Uarda's Schicksal sein würde ohne ihre Großeltern und ihn, und ein abenteuerlicher Plan, der ihm seit vielen Stunden nebelhaft vorschwebte, gewann jetzt in seiner Seele scharfe Umrisse und erkennbare Gliederung. Er wollte, wenn der Alte nicht heimkehrte, die Kolchyten oder Balsamirer, die ihn um seiner Geschicklichkeit willen schwerlich abgewiesen hätten, um Aufnahme bitten in ihre Zunft, 147 dann wollte er Uarda zu seinem Weibe machen und mit ihr, abgeschieden von der Welt, seinem neuen Berufe, bei dem er Vieles zu lernen hoffen durfte, und seinen Studien leben. Was fragte er nach Bequemlichkeit und Behagen, Anerkennung der Mitmenschen und eine bevorzugte Lebensstellung!

      Auf dem neuen steinigen Pfade konnte er schneller vorwärts zu kommen hoffen, als auf dem alten, schön geglätteten Wege. An dem Bedürfnisse, sich auszusprechen und seine Errungenschaften Anderen mitzutheilen, fehlte es ihm ohnehin; das Wissen an sich genügte ihm völlig. An seine Verbindlichkeiten gegen das Setihaus dachte er nicht mehr. Drei Tage lang hatte er das Gewand nicht gewechselt, war kein Scheermesser an sein Angesicht und seinen Scheitel gekommen, hatte kein Tropfen Wasser seine Hände und Füße benetzt. Er fühlte sich halb verwildert, halb zum Balsamirer und, war es so bestimmt, zum verachtetsten unter den Menschen, zum Paraschiten, geworden. Dieses Herabsteigen reizte ihn wunderbar, denn es machte Uarda ihm ebenbürtig, und sie, die da mit wirrem Haar, krank und geängstigt neben ihm lag, paßte gerade so in die Zukunft, die er sich ausmalte.

      »Hörtest Du nichts?« fragte plötzlich das Mädchen.

      Er lauschte mit ihr in das Thal hinaus, Hunde schlugen an und bald stand der Paraschit mit seinem Weibe vor der Hütte und nahm Abschied von der alten Hekt, die ihm bei ihrer Heimkehr aus Theben begegnet war.

      »Ihr seid lange geblieben,« rief Uarda, als ihre Großeltern endlich vor ihr standen, »ich habe mich so geängstigt.«

      »Der Arzt war ja bei Dir,« sagte die Alte und ging in die Hütte, um ein einfaches Mahl zu rüsten, während der Paraschit neben seiner Enkelin niederkniete und sie innig, aber doch so achtungsvoll, als sei er nicht ihr naher Blutsverwandter, sondern nur ihr treuer Diener, liebkoste.

      Dann stand er auf und reichte Nebsecht, dessen Glieder vor Erregung bebten, die Tasche von grobem Linnen, die er an einem schmalen Tragbande mit sich zu führen pflegte.

      »Da drinnen liegt das Herz,« flüsterte er dem Arzte zu, »nimm es heraus und gib mir den Sack zurück, denn meine Messer liegen noch darin und ich brauche ihn.«

      Nebsecht nahm mit zitternden Fingern das Herz aus dem Beutel, entfernte einige Büchsen ans seinem Arzneikasten und legte es sorgfältig hinein, griff dann in seine Brusttasche, näherte sich dem Paraschiten und flüsterte ihm zu:

      »Da nimm die Verschreibung, hänge sie an Deinen Hals und wenn Du stirbst, so laß ich Dir wie einem Großen ein Buch vom Hinaustreten in den Tag 148 in die Binden wickeln. Aber damit ist es nicht genug. Das Vermögen, das ich ererbte, verzinst mir mein geschäftskundiger Bruder und seit zehn Jahren rührte ich nicht an den Einkünften. Die werd' ich Dir senden und Du sollst mit Deiner Frau ein sorgloses Alter genießen.«

      Der Paraschit hatte das Säckchen mit dem Papyrusstreifen in Empfang genommen und dem Arzte bis an's Ende zugehört. Jetzt wandte er sich von ihm ab, indem er gelassen, aber entschieden sagte:

      »Behalte Dein Geld, wir sind quitt. Das heißt,« fügte er bitter hinzu, »wenn das Mädchen gesund wird.«

      »Sie ist halb genesen,« stotterte der Arzt. »Warum willst – willst Du aber mein Geschenk . . .«

      »Weil ich bis heute niemals geborgt oder gebettelt habe,« unterbrach ihn der Paraschit, »und in meinem Greisenalter nicht damit anfangen möchte. Leben gegen Leben; aber das, was ich heute gethan, das könnte selbst Ramses mit all' seinen Schätzen nicht zahlen!«

      Nebsecht schaute zu Boden und wußte dem Greise nichts zu erwiedern.

      Jetzt erschien die Alte, setzte eine Schüssel mit gekochten Linsen, die sie rasch gewärmt hatte, Rettige und Zwiebeln 149 vor die Männer nieder, führte Uarda, die nicht mehr getragen zu werden wünschte, in die Hütte und forderte den Arzt auf, an ihrem Mahle Theil zu nehmen. Nebsecht folgte ihrer Einladung, denn er hatte seit dem gestrigen Abend keinen Bissen genossen.

      Nachdem die Alte wiederum in der Hütte verschwunden war, fragte er den Paraschiten:

      »Wessen Herz brachtest Du mir und wie ist es in Deine Hände gekommen?«

      »Erst sage mir,« entgegnete der Alte, »warum Du mir eine so schwere Sünde zu begehen auferlegtest?«

      »Weil ich mich von der Beschaffenheit des menschlichen Herzens überzeugen will,« gab Nebsecht zurück, »damit ich,

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