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Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie
Год выпуска 0
isbn 9788075836854
Автор произведения Georg Ebers
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Nemu küßte ihr Gewand und fragte leise:
»Und was wäre das Ziel?«
»Du weißt, was Ani erstrebt,« erwiederte die Wittwe. »Für mich wünsch' ich nur Eines.«
»Das wäre?«
»Paaker an Mena's Stelle zu sehen.«
»So begegnen sich unsere Wünsche,« sagte der Zwerg und verließ die Halle.
Katuti schaute ihm nach und murmelte:
»Es muß sein; denn wenn Alles beim Alten bleibt und Mena heimkehrt und Rechenschaft fordert, so – so, es ist nicht auszudenken, es darf nicht sein!«
Fünftes Kapitel
Als Nemu, von dem Statthalter heimkehrend, sich der Wohnung seiner Herrin näherte, wurde er von einem Knaben angehalten, der ihn aufforderte, ihm in das Fremdenviertel zu folgen.
Der Bote zeigte dem Zwerg, als er zauderte, den Ring seiner Mutter Hekt, welche in Geschäften zur Stadt gekommen war und ihn zu sprechen begehrte.
Nemu war müde, denn er war gewohnt zu reiten, aber sein Eselchen war todt und Katuti konnte ihm kein neues geben. Die Hälfte von Mena's Vieh war verkauft und das übrige genügte kaum zur Feldbestellung.
An den Ecken der belebtesten Straßen und auf den Märkten standen Knaben mit Grauthieren, welche sie gegen geringes Entgelt vermietheten, 130 aber Nemu hatte seine letzten Ringe für ein Kleid und eine neue Perrücke verausgabt, um würdig angethan vor dem Statthalter erscheinen zu können. In früheren Tagen war seine Tasche niemals leer gewesen, denn Mena hatte ihm manches Stück Silber oder Gold zugeworfen, aber seine unruhige und ehrgeizige Seele beklagte nicht das verlorene Wohlleben. Mit Ingrimm gedachte er an jene Jahre des Ueberflusses, und während er sich jetzt keuchend durch den Staub schleppte, fühlte er sich groß und befriedigt.
Der Statthalter hatte ihm zu reden gestattet und es war dem gewandten Männlein bald gelungen, sein Ohr zu fesseln. Bei seiner Schilderung der wahnsinnigen Leidenschaft Paaker's waren Ani vor Lachen Thränen über die Wangen gelaufen, und bei seinen übrigen Berichten und Forderungen hatte er sich ernst und entgegenkommend gezeigt.
Nemu fühlte sich wie eine auf dem Lande herangewachsene Ente, die man in's Wasser setzt, wie ein im Käfig erwachsener Vogel, dem es zum ersten Male gestattet ist, seine Schwingen auszubreiten und zu fliegen. Ohne Klage würde er sich zu Tode geschwommen und geflogen haben, wenn die Verhältnisse seinem Eifer und Thatendurst keine Grenzen gesteckt hätten.
In Schweiß gebadet und mit Staub bedeckt gelangte er zu dem bunten Zelt im Fremdenviertel, 131 wo selbst die Zauberin Hekt einzukehren pflegte, wenn sie nach Theben kam.
Weitsehende Anschläge ersinnend, Möglichkeiten erwägend, feine Pläne schmiedend, als überfein verwerfend und durch ausführbarere und weniger gefährliche ersetzend, hatte der kleine Staatsmann keinen Sinn für das bunte Treiben, welches ihn hier umgab. An dem Tempel, in dem die Leute von Kaft ihre Astarte 132 verehrten, und dem Heiligthum des Seth, bei dem sie ihren Baalen 133 opferten, war er vorbeigegangen, ohne sich von dem Geschrei der tanzenden Beter, dem Cymbelklang und Lautenspiel, das aus ihren Ringmauern an sein Ohr drang, stören zu lassen.
Die Zelte und leicht gebauten Holzhäuser der Tänzerinnen und Dirnen lockten ihn nicht. Ihre Bewohnerinnen, die am Abend mit buntem Flitterstaat behängt die Jugend von Theben zu mancherlei Lust und Thorheit verführten, ruhten ohnehin so lange die Sonne am Himmel glühte. Nur in den Spielhäusern ging es lebendig her und die Polizeimannschaften hatten Mühe, die Leidenschaft der Soldaten, welche ihren Beuteantheil verloren, oder die Wuth der Matrosen, die betrogen zu sein glaubten, im Zaum zu halten und Blutvergießen zu verhüten.
Vor den Schenken lagen trunkene Leute und andere bemühten sich, fleißig die Becher füllend und leerend, sich den Geistern des Weines und Bieres gefangen zu geben. Von den mancherlei Musikanten, Taschenspielern, Feuerfressern, Jongleuren, Schlangenbändigern und Possenreißern, welche hier am Abend ihre Künste zum Besten gaben, war jetzt nichts zu sehen und doch glich auch so das Fremdenviertel einem niemals aufhörenden Jahrmarkt.
Aber diese Genüsse, denen Nemu tausendmal begegnet war, hatten ihn niemals angelockt. Die Liebe der Dirne und der Gewinn beim Spiele galten ihm nichts; das mit plumpem Zugreifen leicht und mühelos zu Erreichende konnte ihm keinen Reiz gewähren; den Spott der Tänzerinnen und ihrer Besucher fürchtete er nicht, ja er suchte ihn gelegentlich auf, denn das Wortgefecht behagte ihm und er glaubte, daß Niemand in Theben lebe, der ihm gegenüber das letzte Wort zu behalten vermöge. Auch Fremde theilten diese seine Ansicht, denn erst vor Kurzem hatte Paaker's Haushofmeister von Nemu gesagt:
»Unsere Zungen sind Stöcke, aber die des Kleinen ist ein Dolch.«
Das Ziel des Zwerges war ein sehr großes, buntes Zelt, durch nichts unterschieden von vielen ähnlichen in seiner Nähe. Das in den Innenraum führende Thor war breit, jetzt aber durch ein die Thür vertretendes grobes Stück Leinwand verschlossen.
Nemu drängte sich zwischen der Zeltwand und der beweglichen Pforte hindurch und trat in den beinahe kreisrunden vielseitigen Innenraum, dessen kegelförmiges Dach auf einem säulenartigen Stabe ruhte.
Auf dem staubigen Boden des Zeltgemaches lagen abgenutzte Teppichstücke und auf diesen hockten einige bunt gekleidete junge Weiber, mit deren Ausschmückung sich eine alte Frau emsig beschäftigte. Sie färbte die Fuß- und Fingernägel der Schönen mit orangefarbener Hennah, schwärzte ihre Wimpern und Augenlider mit Mestem, 134 um ihrem Blick einen hellern Glanz zu verleihen, legte ihnen weiße und rothe Schminke auf die Wangen und salbte ihr Haar mit duftigem Oel.
Es war sehr heiß in dem Zelt und keines der Mädchen redete ein Wort. Sie hielten der Alten still ohne sich zu rühren. Nur dann und wann griff Eine oder die Andere nach einem der am Boden stehenden porösen Thonkrüge, um zu trinken, oder öffnete ein Schächtelchen, um eine neue Kyphipille 135 auf die geschminkten Lippen zu legen.
An der Zeltwand lehnten musikalische Instrumente: Handtrommeln, Flöten und Lauten, vier Tambourine lagen auf dem Boden. Auf dem Kalbfelle des einen schlief, von dem Schellenreifen umgeben, eine Katze, deren zierliche Junge mit den Glöckchen an einem andern Tambourin spielten.
Durch die kleine Hinterthür des Zeltes ging ein altes Negerweib aus und ein, um, von Fliegen und Mücken umschwärmt, irdene Schüsseln mit Speiseresten, Granatäpfelschalen. Brodkrumen und Knoblauchstengel fortzuräumen, welche auf einem der Teppiche seit der vor mehreren Stunden beendeten Mahlzeit der Mädchen gestanden und gelegen hatten.
Die alte Hekt saß weitab von den Dirnen auf einer buntbemalten Kiste, holte ein Päckchen aus der Tasche und rief der Dienerin zu:
»Da nimm dieß Rauchwerk und verbrenne sechs Körner, dann wird das Ungeziefer« – und sie wies auf die Fliegen, welche den Teller in ihrer Hand umflogen, – »verschwinden. Wollt ihr, so vertreib' ich auch die Mäuse und locke die Schlangen aus ihren Löchern, besser noch als die priesterlichen Aerzte.« 136
»Behalte Deine Zaubereien für Dich,« sagte eines der Mädchen mit heiserer Stimme. »Seit Du die Worte über mich gesprochen und mir den Trank gegeben hast, um mich wieder schlank zu machen und geschmeidig, stört mir ein schlimmer Husten die Nächte und Mattigkeit überfällt mich beim Tanze.«
»Aber schlank bist Du doch geworden,« erwiederte Hekt, »und bald wirst Du auch nicht mehr husten.«
»Weil sie todt sein wird,« flüsterte die Dienerin der Alten zu. Ich kenne das. So enden die meisten.«
Nemu's Mutter zuckte die Achseln und erhob sich von der Kiste, als sie den Zwerg in das Zelt schlüpfen sah.
Auch die Mädchen bemerkten den Kleinen und erhoben jenen unbeschreiblichen, dem Gackern der Hühner ähnlichen Schrei, den die Weiber