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bete gar nicht,« sagte Nebsecht, »denn das die Welt bewegende Gesetz läßt sich ebensowenig durch Bitten rühren, wie eure regelmäßig ablaufenden Sanduhren. Wer sagt Dir denn, daß ich dem Werden nicht auf die Spur zu kommen suche? Ich zeigte Dir ja schon, daß ich die Entstehungsweise der Scarabäen besser kenne als ihr. Ich habe manches Thier getödtet, und nicht nur um seinen Organismus kennen zu lernen, sondern auch um zu ergründen, wie es sich gestaltet hat. Aber gerade bei dieser Arbeit hat sich mein Organ für das Schöne eher verschlossen als eröffnet. Ich sage Dir, es ist ebensowenig reizend, der Entstehung, als der Vernichtung und Zersetzung der Dinge zuzusehen.«

      Pentaur schaute den Heilkünstler fragend an.

      »Ich will auch einmal,« fuhr der Letztere fort, »im Bilde reden. Da sieh' diesen Wein, wie rein er ist und wie duftig; und doch haben ihn die Winzer mit ihren schwieligen Füßen ausgetreten. Und diese volle Aehre! Goldig glänzt sie und schneeiges Mehl wird sie geben, wenn wir sie mahlen, und doch erwuchs sie aus einem verfaulenden Saatkorn. Neulich priesest Du mir die Schönheit des großen beinah vollendeten Säulensaales im Amonstempel drüben in Theben. 118 Wie wird ihn die Nachwelt bewundern! Ich hab' ihn entstehen sehen. Da lagen Quadermassen in wüstem Gewirr, der Staub in Haufen und benahm mir den Athem, und vor drei Monaten wurde ich hinübergeschickt, weil über hundert Arbeiter auf einmal beim Steineschleifen im Sonnenbrande zu Tode geprügelt worden waren. Wär' ich ein Dichter wie Du, ich wollte Dir tausend ähnliche Bilder zeigen, die Dir nicht gefallen würden. Einstweilen haben wir genug zu thun, das Seiende zu beobachten und das sie bewegende Gesetz zu ergründen.«

      »Ich habe Dein Streben niemals ganz verstehen und schwer begreifen können, warum Du Dich nicht der Wissenschaft der Horoskopen zuwandtest,« sagte Pentaur. »Glaubst Du denn, daß sich das wechselnde und von den Bedingungen ihrer Umgebungswelt abhängende Leben der Pflanzen und Thiere auf Gesetze, Zahlen und Maße zurückführen läßt, wie die Bewegungen der Sterne?«

      »Das fragst Du? Sollte nicht die furchtbar starke Riesenhand, welche die Leuchtenden da droben in ihren sorgsam abgesteckten Bahnen fortzusausen zwingt, auch fein genug gebildet sein, um dem Fluge der Vögel und dem Schlage des menschlichen Herzens seine Bedingungen vorzuschreiben?«

      »Da wären wir wieder bei dem Herzen,« lächelte der Dichter. »Bist Du Deinem Ziele näher gekommen?«

      Der Arzt wurde sehr ernst und sagte:

      »Vielleicht werd' ich schon morgen haben, was ich brauche. Da liegt Deine Palette mit rother und schwarzer Farbe, Papyrus und Schreibrohr; darf ich dieses Blatt benutzen?«

      »Natürlich; aber erzähle mir erst . . .«

      »Frage nicht; Du würdest mein Vorhaben nicht billigen und es gäbe neuen Streit.«

      »Ich denke,« sagte der Dichter, indem er seine Hand auf die Schulter des Arztes legte, »daß wir den Streit nicht zu scheuen brauchten. Er ist bisher der Kitt und erfrischende Thau unserer Freundschaft gewesen.«

      »So lange es sich um Ansichten gehandelt hat und nicht um Thaten.«

      »Du willst Dich eines menschlichen Herzens bemächtigen!« rief der Dichter. »Bedenke, was Du thust! Das Herz ist das Gefäß des in uns lebendigen Ausflusses der Weltseele.«

      »Weißt Du das so genau?« rief der Heilkünstler gereizt, »so liefere den Beweis! Hast Du jemals ein Herz untersucht, hat es Einer gethan unter meinen Berufsgenossen? Selbst des Verbrechers und Kriegsgefangenen Herz erklären sie für unantastbar, und wenn wir rathlos neben den Kranken stehen und unsere Medikamente ebenso oft Schaden bringen als Nutzen, woher kommt das? Nur davon, daß wir Aerzte gezwungen sind, zu arbeiten wie Astronomen, denen man zumuthet, die Sterne durch ein Brett zu beobachten. Zu Heliopolis bat ich den großen Urma Rahotep, den wahrhaft gelehrten Vorsteher unserer Zunft, der mich schätzte, das Herz eines verstorbenen Amu untersuchen zu dürfen; er aber weigerte mir's, denn die große Sechet 119 führe auch die tugendhaften Semiten in die Gefilde der Seligen ein, 120 und dann folgten die alten Bedenken; selbst das Herz eines Thieres zu zerschneiden sei sündhaft, denn auch bei ihm sei es der Träger der Seele, vielleicht einer getrübten und verurtheilten Menschenseele, die, ehe sie zu dem Einen zurückzukehren vermöge, den Läuterungsgang durch die Leiber der Thiere zu unternehmen habe. Ich beruhigte mich nicht und erklärte ihm, daß mein Urgroßvater Nebsecht, eh' er seinen Traktat vom Herzen geschrieben, 121 gewiß ein solches Organ untersucht habe. Da gab er zur Antwort, die Gottheit habe ihm offenbart, was er geschrieben, und deßwegen sei sein Werk in die heiligen Schriften des Toth 122 aufgenommen worden, die fest stünden und unantastbar wären wie die Weltenvernunft; er wolle mir Ruhe schaffen zu stiller Arbeit, ich sei erlesenen Geistes, vielleicht würden die Himmlischen auch mir mit Offenbarungen nahen. – Ich war damals jung und habe meine Nächte in Gebeten verbracht, aber ich magerte ab und mein Geist ward trüber statt klarer. Da schlachtete ich im Geheimen erst ein Huhn, dann Ratten, dann ein Kaninchen und zerschnitt ihre Herzen und folgte den Gefäßen, welche von ihnen ausgehen, und weiß nun wenig mehr als vorher, aber ich muß der Wahrheit auf den Grund kommen und ein Menschenherz haben.«

      »Was soll Dir das?« fragte Pentaur. »Du kannst doch nicht das Unsichtbare und Unendliche mit Deinen menschlichen Augen wahrzunehmen hoffen?«

      »Kennst Du den Traktat meines Urgroßvaters?«

      »Ein wenig,« gab der Dichter zurück. »Er sagt, daß, wohin er auch seine Finger lege, ob auf den Kopf, die Hände oder den Magen, er überall auf's Herz treffe, weil dessen Gefäße in alle Glieder ausgingen, und das Herz sei der Knotenpunkt all' dieser Gefäße. Dann gibt Nebsecht wohl an, wie dieselben auf die Glieder vertheilt sind, und zeigt – ist es nicht so? –, daß die verschiedenen seelischen Zustände wie Zorn, Kummer, Ekel und auch der Sprachgebrauch des Wortes Herz durchaus für seine Ansicht sprächen.«

      »Das ist's; wir haben schon davon gesprochen und ich glaube, daß er Recht hat, soweit es sich um das Blut handelt und die thierischen Empfindungen; aber die reine und leuchtende Intelligenz in uns, die hat einen andern Sitz,« und der Arzt schlug mit der Hand seine breite, aber niedrige Stirn. »Köpfe hab' ich beobachtet zu Hunderten, drunten beim Hochgericht, und auch lebenden Thieren die Schädeldeckel abgenommen. Doch nun laß mich schreiben, ehe wir gestört werden.« 123

      Der Arzt ergriff das Rohr, feuchtete die schwarze, aus Papyruskohle bereitete Farbe an und schrieb in zierlichen hieratischen 124 Lettern den Zettel für den Paraschiten, durch welchen er ihn zu dem Raube eines Herzens aufgefordert zu haben bekannte und bündigst erklärte, vor Osiris und den Todtenrichtern des Alten Schuld auf sich nehmen zu wollen.

      Als er fertig war, streckte Pentaur die Hand nach dem Zettel aus, Nebsecht aber kniff ihn zusammen, steckte ihn in ein Täschchen, worin ein Amulet ruhte, das ihm seine Mutter sterbend um den Hals gehängt hatte, und sagte aufathmend:

      »Damit wären wir fertig. Lebe wohl, Pentaur.«

      Der Dichter hielt den Freund zurück, sprach ihm mit warmen Worten in die Seele, und beschwor ihn, von seinem Unternehmen abzulassen. Nebsecht aber blieb ungerührt von den Bitten des Andern und suchte seine Finger gewaltsam den starken Händen Pentaur's, die sie wie Eisenklammern umfaßt hielten, zu entziehen.

      Der erregte Dichter ahnte nicht, daß er dem Freunde weh thue, bis dieser nach einem neuen und vergeblichen Befreiungsversuche schmerzlich ausrief:

      »Du zerquetschest meine Finger!«

      Da flog ein Lächeln über des Dichters Antlitz, er ließ den Heilkünstler los und sagte, indem er seine gerötheten Hände wie eine Mutter, die ihr Kind von einem Schmerz abzulenken versucht, streichelte:

      »Sei mir nicht bös, Nebsecht; Du kennst meine unglücklichen Fäuste und heute mußten sie Dich ordentlich festhalten, denn Du hast etwas gar zu Tolles vor.«

      »Tolles?« fragte der Arzt, indem er seinerseits lächelte. »Meinetwegen; aber weißt Du denn nicht, daß wir Aegypter alle an unseren Thorheiten mit besonderer Zärtlichkeit hängen und ihnen Haus und Hof zu opfern bereit sind?«

      »Unser eigenes Haus und den eigenen Hof,« rief der Dichter und fügte dann ernst hinzu. »aber

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