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Читать онлайн.»Und so geben wir Löwen ihr den Bissen, den wir auf einmal verschlingen, 111 fein zerschnitten und mit Brühe begossen, wie einem Kranken mit schwachem Magen.«
»Nein, wir fühlen nur die Pflicht, den scharfen Trank, der selbst Männer darniederzuwerfen droht, zu mildern und zu versüßen, ehe wir ihn den Kindern, den geistig Unmündigen reichen. In allegorischen Gestalten und Symbolen und endlich in einem schönen und farbenreichen Mythus haben die Weisen der Vorzeit die höchsten Wahrheiten zwar verschleiert, aber doch erkennbar der Menge nahe gebracht.« 112
»Erkennbar?« fragte der Arzt. »Erkennbar? Wozu dann der Schleier?«
»Und glaubst Du, daß die Menge der nackten Wahrheit in's Gesicht zu schauen vermöchte, 113 ohne zu verzweifeln?«
»Kann ich's, kann's ein Anderer, der geradeaus sieht und nichts und gar nichts zu schauen bestrebt ist wie die Wahrheit?« rief der Arzt. »Wir wissen Beide, daß die Dinge nur so sind, wie sie sich in dem so oder anders bereiteten Spiegel unserer Seele malen. Ich sehe das Graue grau und das Weiße weiß und habe mich gewöhnt, wenn mich nach Erkenntniß verlangt, von dem Eigenen, wenn in meiner nüchternen Brust überhaupt so etwas vorhanden ist, nicht das geringste dazu zu geben. Du schaust gerade aus wie ich, aber jede Vorstellung wandelt sich in Dir, denn in Deiner Seele sind unsichtbare Bildner thätig, die das Schiefe zurechtrücken, das Gleichgültige mit Reiz, das Ansprechende mit Schönheit bekleideten. Du bist eben ein Dichter, ein Künstler, und ich nur Einer, der nach Wahrheit strebt.«
»Nur?« fragte Pentaur. »Eben um dieses Deines Ringens willen halt' ich Dich hoch und, Du weißt es ja, auch ich will nichts als die Wahrheit.«
Der Arzt nickte dem Freunde zu und sagte dann:
»Ich weiß, weiß! Aber unsere Wege laufen neben einander her, ohne sich je zu berühren, und unser letztes Ziel ist die Lösung eines Räthsels, für das es viele Deutungen gibt. Ihr glaubt im Besitze der rechten zu sein, und vielleicht gibt es gar keine.«
»So begnügen wir uns mit der entsprechendsten und schönsten,« sagte Pentaur.
»Der schönsten?« rief Nebsecht unwillig. »Schön soll das Ungeheuer sein, das ihr Gott nennt, der Riesenleib, der sich ewig selbst erzeugt, um sich wieder selbst zu verschlingen? Gott ist das All, sagt ihr, das sich selbst genügt. Ewig soll er sein und er ist es, weil Alles wieder von ihm aufgebraucht wird, was von ihm ausgeht, und der große Geizhals kein Sandkorn, keinen Lichtstrahl, keine Luftblase fortschenkt, ohne sie zurückzufordern für seinen Haushalt, den kein Zweck regiert, keine Vernunft, keine Güte, sondern ein tyrannisches Muß, dessen Sklave er selbst ist. Nur durch sich selbst erklärbar ist der Feigling, der sich hinter den Schleier der Unfaßbarkeit, den ich ihm abreißen möchte, versteckt. So sehe ich das Ding, das ihr Gott nennt!«
»Ein garstiges Bild,« sagte Pentaur, »weil Du vergißst, daß wir als Essenz des Alls, als die das Universum durchdringende und bewegende Kraft die Vernunft erkannt haben, welche in der Harmonie des Zusammenwirkens seiner Theile und in uns selbst, die wir aus seinem Stoffe geformt und mit seiner Seele beseelt sind, zur Erscheinung kommt.«
»Ist das Kriegsspiel des Lebens etwa vernünftig?« fragte Nebsecht. »Ist dieses ewige Niederwerfen, um wieder aufstehen zu lassen, besonders zweckvoll und weise? Und mit dieser Einführung der Vernunft in das All speist ihr euch selbst mit einem erdachten Gebieter ab, der den gnädigen Herren und Herrinnen, die ihr dem Volke zeigt, erschreckend ähnlich sieht.«
»Nur scheinbar,« entgegnete Pentaur, »nur weil das Uebersinnliche allein durch sinnliche Mittel mittheilbar wird. Indem sich Gott als Weltvernunft offenbart, nennen wir ihn ›das Wort‹. ›Der, welcher seine Glieder mit Namen belegt‹, 114 wie die heiligen Texte sich ausdrücken, ist der den Dingen ihre Unterscheidungsformen verleihende Wille; der Scarabäuskäfer, 115 der ›als sein eigener Sohn in's Leben tritt‹, erinnert an die sich stets selbst erneuernde Werdekraft in der Natur, die Dich veranlaßt, unsern gütigen Gott ein Ungeheuer zu nennen, und die Du ebenso wenig ableugnen kannst, als die glückliche Wahl unseres Bildes; weißt Du doch, daß es nur männliche Scarabäen gibt, und daß diese Thiere sich selbst erzeugen.« 116
Nebsecht lächelte und sagte:
»Wenn alle Lehren des Mysteriums so wahr sind, wie dieses Bild glücklich gewählt ist, dann steht es schlimm mit ihnen. Die Mistkäfer sind seit Jahren meine Freunde und Zimmergenossen. Ich kenne ihr Familienleben und sage Dir, daß es unter ihnen Männchen und Weibchen gibt, wie unter den Katzen, Affen und Menschen. Deinen ›guten Gott‹ kenne ich nicht, und was ich bei ruhigem Denken am wenigsten begreife, ist der Umstand, daß ihr überhaupt ein gutes und böses Prinzip in der Welt unterscheidet. Ist das All wirklich Gott, ist Gott, wie die Schriften lehren, die Güte und gibt es nichts außer ihm, wo findet sich dann ein Platz für das Böse?«
»Du sprichst wie ein Schüler,« sagte Pentaur unwillig. »Gut und vernünftig an sich ist Alles was ist, aber der unendliche Eine, der sich seine Gesetze und Bahnen selbst vorschrieb, verleiht dem Endlichen seinen Bestand durch stete Erneuerung und geht immerfort in die wechselnden Formen des Endlichen über. Was wir das Uebel, das Böse, das Trübe nennen, ist an sich göttlich, gut, vernünftig und klar, aber es erscheint unserem umnebelten Sinne in anderem Lichte, weil wir nur den Weg und nicht das Ziel, nur das Einzelne und nie das Ganze schauen. So wie Du, so tadeln flüchtige Beurtheiler das Musikstück, in dem sie eine Disharmonie hören, welche der Harfner doch nur den Saiten entlockte, um seine Hörer die Reinheit der folgenden Harmonieen tiefer empfinden zu lassen; so tadelt den Maler, welcher seine Tafel schwarz färbt, ein Narr, welcher nicht abwartet, bis das Bild vollendet ist, das sich von dem dunklen Grunde heller abheben soll; so schilt ein Kind den edlen Baum, dessen Früchte faulen, damit aus ihren Kernen neues Leben erwachse. Das scheinbare Uebel ist nur eine Vorstufe zu höherem Wohlsein und der Tod die Schwelle zu neuem Leben, sowie jedes Abendroth nur verschleiert wird von der Nacht, um sich bald als Morgenglühen eines kommenden jungen Tages zu zeigen.«
»Wie überzeugend das klingt!« erwiederte Nebsecht. »Alles, auch das Abschreckende, gewinnt eben Reiz auf Deinen Lippen; aber ich könnte Deinen Satz umkehren und sagen, das Uebel regiere die Welt, und manchmal gäbe es uns einen Tropfen süßer Befriedigung zu kosten, um uns die Bitterkeit des Lebens nur desto härter empfinden zu lassen. Ihr seht in Allem Harmonie und Güte; ich habe beobachtet, daß die Leidenschaft das Leben erweckt, daß das ganze Dasein Kampf ist und ein Seiendes das andere auffrißt.«
»Und empfindest Du nicht die Schönheit des Sichtbaren und erfüllt Dich nicht die unwandelbare Gesetzmäßigkeit im All mit demüthiger Bewunderung?«
»Nach der Schönheit,« antwortete der Arzt, »hab' ich niemals ausgeschaut; es fehlt mir wohl auch das Organ, es selbständig zu erfassen, wenn ich mir's auch gerne durch Dich vermitteln lasse; die Gesetzmäßigkeit in der Natur aber, die laß ich völlig gelten, denn sie ist die wahre Weltseele. ›Temt‹ 117 nennt ihr den Einen, das heißt die Summe, die durch die Addition vieler Zahlen gewonnene Einheit; und das gefällt mir, denn genau gemessen nach Maß und Zahl sind die Bestandtheile des Universums und die Kräfte, welche dem Leben seine Bahnen vorschreiben, aber ohne Güte und Schönheit.«
»Solche Ansichten,« rief Pentaur bekümmert, »sind die Folge Deiner wunderlichen Arbeiten. Du tödtest und zerstörst, um, wie Du Dich ausdrückst, dem Geheimnisse des Lebens auf die Spur zu kommen. Sieh' dem Werden zu in der Natur, öffne dem Organe,