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Aktenbehältern aufgebockt war – und setzte sich. Er sah die aufgebogene Büroklammer, die auf seinem zugeklappten Laptop lag, sofort.

      Er starrte darauf. Er hatte sie nicht dorthin gelegt.

      »Die haben Sie vergessen.«

      Bosch blickte auf. Die Frau von letzter Nacht – die Ermittlerin aus der Hollywood Station – saß rittlings auf der alten Bank zwischen den frei stehenden Metallregalen mit den alten Akten. Sie hatte sich außerhalb seines Blickfelds befunden, als er in die Zelle gekommen war. Er schaute zu der offenen Tür, wo das Vorhängeschloss von der Kette hing.

      »Ballard, hm?«, sagte er. »Gut zu wissen, dass ich nicht schon komplett verkalkt bin. Ich war mir nämlich sicher, abgeschlossen zu haben.«

      »Ich habe mir selbst aufgeschlossen«, sagte Ballard. »Grundkurs Schlösserknacken.«

      »Gewisse Kenntnisse auf diesem Gebiet können nie schaden. Ich habe allerdings nicht viel Zeit. Ich habe einen Durchsuchungsbeschluss und muss mir überlegen, wie ich ihn durchsetze, bevor mein Verdächtiger Wind davon bekommt. Was wollen Sie, Detective Ballard?«

      »Ich möchte mitmachen.«

      »Bei was?«

      »Bei Daisy Clayton.«

      Bosch musterte sie kurz. Sie sah gut aus, schätzungsweise Mitte dreißig, und hatte schulterlanges, sonnengebleichtes braunes Haar und eine schlanke, sportliche Figur. Sie war in Freizeitkleidung. Vergangene Nacht hatte sie einen Hosenanzug getragen, in dem sie respekteinflößender ausgesehen hatte – ein Muss beim LAPD, wo weibliche Detectives häufig wie Sekretärinnen behandelt wurden.

      Außerdem hatte Ballard eine intensive Bräune, was Boschs Vorstellung von jemandem widersprach, der die Friedhofsschicht hatte. Aber vor allem war er beeindruckt, dass sie bereits zwölf Stunden, nachdem sie ihn an den Aktenschränken im Bereitschaftsraum der Hollywood Station ertappt hatte, herausgefunden zu haben schien, wer er war und woran er arbeitete.

      »Ich habe mit Ihrer ehemaligen Partnerin Lucy gesprochen«, sagte Ballard. »Sie hat mir ihren Segen erteilt. Aber es ist ja auch ein Hollywood-Station-Fall.«

      »Es war einer – bis ihn sich die RHD unter den Nagel gerissen hat«, sagte Bosch. »Jetzt ist Downtown dafür zuständig, nicht mehr Hollywood.«

      »Und was ist Ihr Status genau? Beim LAPD sind Sie jedenfalls nicht mehr, und auf einen Zusammenhang mit San Fernando deutet das Mordbuch auch nicht gerade hin.«

      In seiner Funktion als Reserve-Officer des San Fernando Police Department hatte Bosch dort in den letzten drei Jahren vor allem Cold Cases aufgearbeitet – Morde, Vergewaltigungen, schwere Körperverletzungen. Er war beim SFPD allerdings nur teilzeitbeschäftigt.

      »Sie lassen mir hier oben in San Fernando viele Freiheiten«, sagte er. »Ich arbeite an ihren alten Fällen, aber ich habe auch ein paar eigene. Daisy Clayton ist einer von meinen eigenen. Man könnte also sagen, mein Interesse daran ist vollkommen eigennützig. So viel zu meinem Status.«

      »Und ich habe zwölf Kisten mit Filzkarten in der Hollywood Station«, sagte Ballard.

      Bosch nickte. Er war noch mehr beeindruckt. Irgendwie hatte sie herausgefunden, weswegen er in die Hollywood Station gekommen war. Als er sie musterte, gelangte er zu der Ansicht, dass ihr Hautton nicht reine Sonnenbräune war, sondern auch herkunftsbedingt. Er vermutete, dass sie halb weißer, halb polynesischer Abstammung war.

      »Wenn wir sie uns aufteilen«, sagte Ballard, »kriegen wir sie wahrscheinlich in zwei Nächten durch.«

      Da war das Angebot. Sie wollte einsteigen und bot Bosch als Gegenleistung genau das an, was er wollte.

      »Die Filzkarten sind mein letzter Strohhalm«, sagte er. »Ich komme in dem Fall nicht mehr weiter. Deshalb ist meine letzte Hoffnung, dass die Karten einen Hinweis enthalten.«

      »Das überrascht mich«, sagte Ballard. »Ich habe gehört, dass Sie jemand sind, der nie aufsteckt – Ihre alte Partnerin hat gemeint, Sie würden sich richtig in Ihre Fälle verbeißen.«

      Darauf wusste Bosch nichts zu erwidern und zuckte nur mit den Achseln.

      Ballard stand auf und ging in dem Gang zwischen den Regalen auf ihn zu.

      »Manchmal ist viel los, manchmal nicht. Ich werde heute Nacht anfangen, die Karten durchzusehen. Zwischen den Einsätzen. Irgendwas Bestimmtes, wonach ich Ausschau halten soll?«

      Bosch zögerte, aber er wusste, dass er zu einer Entscheidung kommen musste. Sollte er ihr vertrauen oder sie auf Abstand halten?

      »Ja, nach Lieferwagen«, sagte er. »Suchen Sie nach Lieferwagen, vielleicht auch nach Personen, die Chemikalien transportieren.«

      »Lieferwagen, um das Mädchen rumfahren zu können?«

      »Eigentlich für alles.«

      »Dem Mordbuch zufolge hat sie der Täter zu sich nach Hause oder in ein Motel gebracht. Jedenfalls an einen Ort, an dem es eine Badewanne gab. Wegen des Bleichmittels.«

      Bosch schüttelte den Kopf.

      »Er hat keine Badewanne benutzt.«

      Sie sah ihn erwartungsvoll an, stellte aber nicht die naheliegende Frage, woher er das wusste.

      »Na schön, kommen Sie mit«, sagte er schließlich.

      Er stand auf und führte sie aus der Zelle und zum Tor des Bauhofs.

      »Sie haben sich doch das Buch und die Fotos sicher angesehen«, sagte er.

      »Ja, alles was digitalisiert worden ist.«

      Sie betraten das Bauhofgelände, ein von Mauern umgebenes Areal. An der Rückseite waren vier von Stellagen und Werkbänken eingefasste Reparaturbuchten, in denen Maschinen und Fahrzeuge gewartet und repariert wurden. In eine von ihnen ging Bosch mit Ballard.

      »Haben Sie die blauen Flecken der Leiche gesehen?«

      »Das A-S-P?«

      »Ja. Aber sie haben es falsch gedeutet. Die ursprünglichen Ermittler, meine ich. Sie haben sich davon in eine völlig falsche Richtung locken lassen.«

      Er trat an eine Werkbank, nahm eine große durchsichtige Plastikwanne mit einem blauen Deckel von einem der Borde und hielt sie Ballard hin.

      »So ein Container fasst hundert Liter«, sagte er dazu. »Daisy war eins achtundfünfzig groß. Ziemlich klein. Er hat sie in eine dieser Wannen gelegt und mit Bleichmittel übergossen. Er hat keine Badewanne verwendet.«

      Ballard betrachtete den Container. Boschs Erklärung war plausibel, aber nicht zwingend.

      »Das ist eine Theorie«, sagte sie.

      »Nein, keine Theorie«, sagte er.

      Um den Schnappdeckel abmachen zu können, stellte er den Container auf den Boden. Dann hob er die Wanne hoch, hielt sie so, dass Ballard hineinsehen konnte, und zeigte auf ein leicht erhabenes Firmenlogo in ihrem Plastikboden. Es war ein Kreis mit fünf Zentimetern Durchmesser, in dem horizontal und vertikal die Buchstabenfolge A-S-P zu erkennen war.

      »A-S-P«, sagte Bosch. »American Storage Products oder American Soft Plastics. Dieselbe Firma, zwei Namen. In so einen Container hat der Mörder das Mädchen gelegt. Er hat keine Badewanne und kein Motel gebraucht. Nur eine von diesen Wannen und einen Lieferwagen.«

      Ballard fasste in den Container und fuhr mit dem Finger über das Logo. Bosch wusste, dass sie gerade den gleichen Schluss zog wie er. Das Firmenzeichen stand leicht aus dem Plastikboden des Containers hervor, und wenn Daisy darauf zu liegen gekommen war, müssten seine Kanten Spuren in ihrer Haut hinterlassen haben.

      Ballard richtete sich auf und sah Bosch an.

      »Wie sind Sie darauf gekommen?«

      »Ich habe mich in ihn hineinversetzt«, sagte er.

      »Zurückverfolgen lassen sich diese Dinger nicht, oder?«

      »Sie

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