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du noch, ob Cesar was mit dem Fall zu tun hatte? Bosch hat nämlich seinen Aktenschrank geknackt.«

      Dvorek zuckte mit den Achseln.

      »Ich habe die Leiche gefunden und das Ganze gemeldet, Renée. Aber damit hatte es sich. Weiter hatte ich nichts mehr damit zu tun. Ich weiß nur noch, dass sie mich zum Cahuenga vor geschickt haben, damit ich die Straße sperre und niemand reinlasse. Ich war damals erst kurz dabei.«

      Streifenpolizisten bekamen für alle fünf Dienstjahre einen Streifen am Ärmel. Vor neun Jahren war Relic noch mehr oder weniger ein Rookie gewesen. Ballard nickte und stellte ihre letzte Frage.

      »Hat dich Bosch was gefragt, was ich dich gerade nicht gefragt habe?«

      »Ja, aber das hat nicht sie betroffen. Er wollte wissen, ob ich Daisys Freund nach dem Mord noch mal irgendwo gesehen habe.«

      »Wer war ihr Freund?«

      »Auch ein Ausreißer. Wie er hieß, weiß ich nicht, nur dass sein Graffiti-Tag Addict war. Bosch hat gesagt, dass er Adam Irgendwas hieß. Ich weiß nicht mehr. Aber die Antwort auf seine Frage war Nein, ich habe ihn danach nicht mehr gesehen. Typen wie der tauchen plötzlich auf und sind genauso schnell wieder verschwunden.«

      »Waren sie einfach nur zusammen, das übliche Freund-Freundin-Muster?«

      »Er hat auch auf sie aufgepasst. Ein Mädchen wie sie, die braucht einen Beschützer. Eine Art Zuhälter praktisch. Sie ist auf den Strich gegangen, und er hat auf sie aufgepasst, und das Geld haben sie sich geteilt. Bloß in dieser Nacht hat er’s wohl versemmelt. Pech für sie.«

      Ballard nickte. Vermutlich wollte Bosch mit Adam/Addict reden, weil er am ehesten wusste, mit wem Daisy Clayton zu tun gehabt hatte und wo sie in der letzten Nacht ihres Lebens gewesen war.

      Vielleicht war er auch ein Tatverdächtiger.

      »Du weißt doch, wer Bosch ist?«, fragte Dvorek.

      »Ja«, sagte Ballard. »Er war früher mal bei uns.«

      »Weißt du von den Sternen auf dem Gehsteig?«

      »Klar.«

      Vor dem Eingang waren zu Ehren von Polizisten der Hollywood Station, die im Dienst getötet worden waren, Sterne in den Gehsteig eingelassen.

      »Einer von ihnen ist für Lieutenant Harvey Pounds«, fuhr Dvorek fort. »Er war Boschs L.T., als er bei uns war, und er wurde entführt und bekam einen Herzinfarkt, als er in Zusammenhang mit einem Fall, den Bosch hatte, gefoltert wurde.«

      Das war Ballard völlig neu.

      »Ist der Täter gefasst worden?«, fragte sie.

      »Das hängt ganz davon ab, mit wem du redest«, sagte Dvorek. »Angeblich fällt die Sache unter Geklärt-Sonstige, aber in Wirklichkeit ist es ein weiteres ungelöstes Rätsel dieser großen bösen Stadt. Es wurde damals gemunkelt, dass der Typ wegen was gestorben ist, was Bosch getan hat.«

      »Geklärt-Sonstige« war eine Bezeichnung für Fälle, die zwar offiziell als abgeschlossen galten, in denen es aber nicht zu einer Festnahme oder Anklage gekommen war. Normalerweise lag das daran, dass der Verdächtige tot war oder wegen einer anderen Straftat eine lebenslange Haftstrafe verbüßte und dass es deshalb den Zeitaufwand, die Kosten und das Risiko nicht lohnte, einen Fall vor Gericht zu bringen, der keine zusätzliche Bestrafung des Täters zur Folge hatte.

      »Angeblich ist die Akte unter Verschluss. High Jingo.«

      »High Jingo« wurden im Polizeijargon Fälle genannt, in die politische Erwägungen hineinspielten. Fälle, die massive Auswirkungen auf die eine oder andere Karriere haben konnten.

      Die Auskünfte über Bosch waren interessant, aber nicht sachdienlich. Bevor Ballard eine Frage einfiel, mit der sie wieder auf den Fall Daisy Clayton zurückkommen konnte, begann Dvoreks Funkgerät zu rauschen, und er nahm eine Durchsage der Zentrale entgegen. Ballard hörte, wie ihn Lieutenant Munroe zur Unterstützung einer Streife zu einem häuslichen Streit in Beachwood Canyon schickte.

      »Ich muss los.« Dvorek knüllte die Folie zusammen, in die seine Tacos eingepackt gewesen waren. »Oder willst du mitkommen und mir Rückendeckung geben?«

      Das war natürlich nicht ernst gemeint. Relic brauchte keine Unterstützung von einem Late-Show-Detective.

      »Wir sehen uns in der Station«, sagte sie. »Außer die Sache läuft aus dem Ruder, und du brauchst tatsächlich einen Detective.«

      Sie hoffte nicht. Häusliche Auseinandersetzungen endeten meistens in Er-hat-gesagt-sie-hat-gesagt-Vergleichen, bei denen sie eher die Funktion eines Schiedsrichters hatte als die eines Ermittlers. Selbst unübersehbare Verletzungen erzählten nicht immer die ganze Geschichte.

      »Bis dann«, sagte Dvorek.

      3

      Der Tagesablauf der Detectives von der Tagschicht wurde in erster Linie vom Verkehrsaufkommen bestimmt. Damit sie am Nachmittag früh genug Schluss machen konnten, um nicht in den Feierabendverkehr zu geraten, erschienen die meisten von ihnen normalerweise schon vor sechs Uhr morgens zum Dienst. Darauf zählte Ballard, als sie beschloss, Cesar Rivera nach dem Fall Daisy Clayton zu fragen. Während sie auf sein Eintreffen wartete, sah sie die digitalen Daten durch, die es über den neun Jahre zurückliegenden Mord gab.

      Das Mordbuch, ein blauer Ordner mit ausgedruckten Berichten und Fotos, galt beim Los Angeles Police Department bei Mordermittlungen nach wie vor als die Quelle schlechthin, aber wie vor der Welt als Ganzem hatte der digitale Wandel auch vor der Polizei nicht Halt gemacht. Mithilfe ihres LAPD-Passworts konnte sich Ballard zu den meisten in die Datenbanken eingescannten Berichten und Fotos zu dem Fall Zugang verschaffen. Das Einzige, was bei der Digitalisierung der Daten verloren ging, waren die handschriftlichen Notizen, die sich Ermittler meistens auf dem hinteren Einbanddeckel des Mordbuchs machten.

      Am wichtigsten war jedoch die sogenannte Chronologie, die ausnahmslos das Rückgrat eines Falls war, eine Aufzählung sämtlicher Maßnahmen, die von den zuständigen Ermittlern ergriffen worden waren.

      Ballard stellte sofort fest, dass der Mord offiziell als Cold Case, als ungelöster Fall, eingestuft und an die Einheit Offen-Ungelöst weitergeleitet worden war, die als Teil der Robbery-Homicide Division, der Elitetruppe des LAPD, Downtown im Präsidium stationiert war. Ballard hatte selbst einmal der RHD angehört und kannte viele der Detectives und sonstigen Akteure dort. Zu ihnen gehörte auch ihr ehemaliger Lieutenant, der sie vor drei Jahren bei der Weihnachtsfeier der Einheit in einem Badezimmer an die Wand gedrückt und sich ihr aufzudrängen versucht hatte. Der Umstand, dass sie ihn zurückgewiesen, Beschwerde gegen ihn eingereicht und ein internes Ermittlungsverfahren angestrengt hatte, hatte zur Folge gehabt, dass sie in der Nachtschicht der Hollywood Division gelandet war. Ihre Beschwerde wurde als unbegründet abgewiesen, weil ihr damaliger Partner sie nicht bestätigt hatte, obwohl er Zeuge des Vorfalls geworden war. In der Verwaltung des LAPD hielt man es für das Beste für alle Beteiligten, Ballard und Lieutenant Robert Olivas zu trennen. Er blieb bei der RHD, Ballard wurde versetzt, und die dahinter stehende Botschaft war unmissverständlich. Olivas kam ungeschoren davon, während sie von einer Eliteeinheit auf eine Stelle versetzt wurde, für die sich nie jemand bewarb oder freiwillig meldete, ein Posten, der normalerweise den Spinnern und Losern vorbehalten war.

      Noch augenfälliger war die fatale Ironie dieser Maßnahme für Ballard gerade in den letzten Monaten geworden, als das Land und insbesondere die Unterhaltungsindustrie in Hollywood von einer Flut von Skandalen überschwemmt wurden, in denen es um sexuelle Belästigung und Schlimmeres ging. Der Polizeichef rief sogar eine Sondereinheit ins Leben, um die zahllosen, zum Teil schon Jahrzehnte zurückliegenden Anzeigen bearbeiten zu können, die plötzlich aus der Filmindustrie eingingen. Natürlich setzte sich die Sondereinheit des Polizeichefs aus RHD-Detectives zusammen, und einer ihrer Leiter war Olivas.

      Die alte Geschichte mit Olivas war Ballard nur zu gegenwärtig, als sie die digitalen Archive des LAPD nach Boschs altem Fall zu durchforsten begann. Grundsätzlich verstieß sie nicht gegen irgendwelche Vorschriften,

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