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      »Alles klar. Ich fordere den Abdruckwagen an.«

      Ballard streifte sich Gummihandschuhe über und folgte Doucette ins Haus. Die Atemmaske nützte so gut wie nichts. Obwohl sie durch den Mund atmete, schlug ihr der scheußliche Leichengeruch mit voller Wucht entgegen.

      Doucette war groß und breitschultrig. Sie konnte erst etwas sehen, als er im Wohnzimmer stehen blieb und sie um ihn herumging. Das Haus stand auf Stelzen an einem steilen Abhang, sodass man durch das Panoramafenster einen atemberaubenden Blick auf das Lichtermeer von L.A. hatte. Selbst um diese Uhrzeit schien die Stadt voller Leben und großartiger Möglichkeiten.

      »War es im Haus dunkel, als ihr reingegangen seid?«, fragte Ballard.

      »Als wir hergekommen sind, hat nirgendwo Licht gebrannt«, sagte Doucette.

      Das merkte sich Ballard. Dass kein Licht an gewesen war, konnte heißen, dass der Einbruch tagsüber erfolgt war oder spät nachts, als die Hausbesitzerin schon im Bett gelegen hatte. Sie wusste, dass die meisten Einbrüche tagsüber passierten.

      Doucette, der ebenfalls Handschuhe trug, drückte auf einen Wandschalter neben der Tür, worauf eine Reihe von Deckenleuchten anging. Das Innere des Hauses bestand aus einem einzigen loftartigen Raum, der so angelegt war, dass man den Blick durch das Panoramafenster von Wohnzimmer, Küche und Esszimmer gleichermaßen genießen konnte. Als Gegengewicht dazu hingen an der gegenüberliegenden Wand drei großformatige Gemälde mit den roten Lippen einer Frau.

      Auf dem Boden neben der Kochinsel lagen Glasscherben, aber ein zerbrochenes Fenster konnte Ballard nirgendwo sehen.

      »Irgendwelche Einbruchsspuren?«, fragte sie.

      »Wir haben keine gesehen«, sagte Doucette. »Es liegen zwar überall zerbrochene Sachen rum, aber ein Fenster wurde nicht eingeschlagen. Wir haben keine Stelle gefunden, wo der Täter ins Haus eingedrungen sein könnte.«

      »Okay.«

      »Die Leiche ist dort hinten.«

      Er betrat einen vom Wohnzimmer abgehenden Gang und hielt als zusätzlichen Schutz gegen den stärker werdenden Gestank seine Hand auf das Halstuch um seinen Mund.

      Ballard folgte ihm. Das Haus war ein eingeschossiger Bau im Contemporary-Stil. Sie nahm an, dass es in den fünfziger Jahren gebaut worden war, als eine Etage als ausreichend gegolten hatte. Alles, was heutzutage in den Hügeln hochgezogen wurde, hatte mehrere Level, um so viel an Wohnfläche herauszuholen, wie die Baubestimmungen zuließen.

      Sie kamen an den offenen Türen eines Gästezimmers und eines Bads vorbei, bevor sie das Schlafzimmer betraten. Dort herrschte ziemliches Chaos. Der Schirm einer umgefallenen Lampe war verbeult, die Birne zerbrochen. Über das Bett waren wahllos Kleider verstreut, und ein Stielglas, das allem Anschein nach Rotwein enthalten hatte, lag in zwei Teile zerbrochen auf dem weißen Teppich, auf dem sich ein dunkelroter Fleck gebildet hatte.

      »Da drinnen.«

      Doucette deutete durch die offene Tür des Bads und machte einen Schritt zurück, um Ballard als Erste eintreten zu lassen.

      Ballard blieb in der Tür stehen. Das Opfer lag mit dem Gesicht nach oben auf dem Boden. Sie war eine große korpulente Frau und hatte Arme und Beine von sich gestreckt. Ihre Augen waren offen, ihre Unterlippe war aufgeplatzt, und in ihrer Wange klaffte eine Schnittwunde, deren rosafarbenes Gewebe grau verfärbt war. Die Lache aus getrocknetem Blut, die sich auf den weißen Fliesen um ihren Kopf gebildet hatte, stammte von einer nicht zu sehenden Kopfwunde.

      Ihr mit Kolibris bedrucktes Flanellnachthemd war über ihre Hüften hochgezogen und über dem Bauch und um die Brüste gerafft. Ihre bloßen Füße standen etwa einen Meter auseinander. An den äußeren Genitalien waren keine blauen Flecken oder Verletzungen.

      Ballard konnte sich in einem deckenhohen Spiegel an der gegenüberliegenden Wand sehen. Sie ging in der Türöffnung in die Hocke, legte die Hände auf ihre Oberschenkel und hielt auf dem Fliesenboden nach Fußabdrücken, Blutflecken und anderen Spuren Ausschau. Außer der getrockneten Blutlache um den Kopf der toten Frau war auf dem Boden ein immer wieder unterbrochener Streifen aus kleinen Blutflecken zu erkennen, der sich vom Bad ins Schlafzimmer zog.

      »Schließ die Haustür, Deuce«, sagte sie.

      »Äh, okay. Aus einem bestimmten Grund?«

      »Tu’s einfach. Und dann schau in die Küche.«

      »Weswegen?«

      »Ob dort eine Schale mit Wasser auf dem Boden steht. Mach schon.«

      Doucette ging, und Ballard hörte, wie sich seine schweren Schritte im Flur entfernten. Sie richtete sich auf, betrat das Bad und ging vorsichtig an der Wand entlang zu der Toten. Dann ging sie wieder in die Hocke. Sie stützte sich mit einer Hand auf dem Fliesenboden ab und beugte sich vor, um so die Kopfwunde vielleicht besser sehen zu können. Aber das dunkelbraune Haar der Frau war zu dicht und lockig, um sie ausmachen zu können.

      Ballard schaute sich im Bad um. Die Wanne war von einem Marmorsims umgeben, auf dem alle möglichen Behälter mit Badezusätzen und mehrere vollständig heruntergebrannte Kerzen standen. Auch ein zusammengelegtes Badetuch lag dort.

      Ballard veränderte ihre Stellung und schaute in die Badewanne. Sie war leer, aber der Abfluss mit einem Stöpsel verschlossen. Ballard drehte kurz das kalte Wasser auf und stellte es wieder ab.

      Sie richtete sich auf und trat an den Rand der Wanne. Sie hatte so viel Wasser eingelassen, dass es den Verschluss bedeckte. Sie wartete und schaute.

      »In der Küche ist eine Schale mit Wasser.«

      Ballard drehte sich um. Doucette war zurückgekommen.

      »Hast du die Haustür zugemacht?«, fragte sie.

      »Sie ist zu.«

      »Gut, dann schau dich im Haus um. Wahrscheinlich ist es eine Katze. Irgendein kleines Tier jedenfalls. Am besten, du rufst Animal Control an.«

      »Was?«

      Ballard deutete auf die Tote.

      »Das war ein Tier. Ein hungriges. Sie machen sich als Erstes über das weiche Gewebe her.«

      »Willst du mich verarschen, oder was?«

      Ballard schaute in die Badewanne. Die Hälfte des Wassers, das sie eingelassen hatte, war abgelaufen. Der Gummistöpsel war nicht mehr dicht.

      »Die Gesichtsverletzungen haben nicht geblutet«, sagte Ballard. »Sie müssen ihr beigebracht worden sein, als sie bereits tot war. Gestorben ist sie von dem Schlag auf den Hinterkopf.«

      Doucette nickte. »Jemand hat sich ihr von hinten genähert und ihr den Schädel eingeschlagen.«

      »Nein«, sagte Ballard. »Es war ein Unfall.«

      »Hä?«

      Ballard deutete auf die Gegenstände auf dem Badewannenrand.

      »Dem Verwesungszustand nach zu schließen, ist es vor drei Tagen passiert«, sagte sie. »Sie will ins Bett gehen und löscht alle Lichter im Haus. Die Lampe, die im Schlafzimmer auf den Boden gefallen ist, war vermutlich die einzige, die sie angelassen hat. Sie kommt hier rein, lässt die Wanne einlaufen, zündet die Kerzen an, legt sich das Badetuch bereit. Vom heißen Wasser beschlagen die Fliesen und sie rutscht aus – möglicherweise, als sie merkt, dass sie das Weinglas auf dem Nachttisch hat stehen lassen. Oder als sie das Nachthemd hochgezogen hat, um in die Wanne zu steigen.«

      »Und die umgefallene Lampe und das Glas Rotwein?«, fragte Doucette.

      »Das war die Katze.«

      »Und auf das alles bist du gekommen, während du hier gestanden hast?«

      Ballard ging nicht auf die Frage ein.

      »Sie war nicht die Schlankste«, sagte sie. »Eine plötzliche Richtungsänderung vielleicht, als sie sich ausgezogen hat – ›oh, ich habe ja den Wein vergessen‹ –, und sie rutscht aus und schlägt sich den Kopf

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