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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн.Название Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962817695
Автор произведения Guy de Maupassant
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Saint-Potin trat gerade herein; Duroy eilte ihm entgegen:
»Haben Sie den Artikel in der Feder gelesen?«
»Jawohl, und ich komme eben von der Frau Aubert. Sie existiert tatsächlich, ist aber nie verhaftet worden. Dies Gerücht ist gänzlich unbegründet.«
Duroy ging nunmehr zum Chef, der ihn etwas kühl und misstrauisch empfing. Herr Walter hörte sich den Fall an und sagte:
»Gehen Sie selbst zu der Frau hin und dementieren Sie es in einer Weise, dass man nicht wieder so etwas über Sie schreibt; ich meine die Folgen; sie können sehr peinlich sein für die Zeitung, für mich und auch für Sie. Mehr noch als das Weib Cäsars muss der Journalist über jeden Verdacht erhaben sein.«
Duroy stieg mit Saint-Potin in eine Droschke und rief dem Kutscher zu:
»18 Rue de l’Ecureuil am Montmartre.«
Es war ein riesiges Mietshaus, in dem sie sechs Stockwerke hinaufklettern mussten. Eine alte Frau in einer wollenen Jacke öffnete ihnen die Tür:
»Was wollen Sie denn wieder von mir?« fragte sie, als sie Saint-Potin erblickte.
Er erwiderte:
»Der Herr hier ist Polizeiinspektor und möchte gern Näheres über Ihre Angelegenheit erfahren.«
Sie ließ sie hereintreten und erzählte:
»Es waren seitdem noch zwei Herren von einer Zeitung hier, ich weiß aber nicht von welcher.«
Dann wandte sie sich zu Duroy:
»Also der Herr wünscht es zu wissen?«
»Ist es wahr, dass Sie von einem Agenten, der Sittenpolizei festgenommen wurden?« fragte Duroy.
Sie warf die Hände hoch:
»Nie im Leben, mein lieber Herr, nie im Leben! So lag die Sache: Ich habe einen Schlächter, er ist ein ganz guter Schlächter, aber er wiegt die Ware nicht richtig ab. Ich habe es mehrere Male bemerkt, doch nichts gesagt, aber neulich lasse ich mir zwei Pfund Koteletts geben, weil nämlich meine Tochter und Schwiegersohn zum Essen kommen wollten, und da seh ich, wie er mir eine Menge Knochenabfälle zuwiegt. Es waren zwar Kotelettknochen, aber nicht von meinen Koteletten. Ich hätte ja ein Ragout daraus machen können, das ist wahr. Aber wenn ich Koteletts verlange, so will ich nicht die Knochenabfälle der anderen haben. Ich will sie also nicht nehmen, und da schimpft er auf mich: ›Alte Ratte‹, sagt er; und ich antworte ihm: ›Alter Gauner.‹ Kurz, ein Wort gab das andere und wir haben uns so beschimpft, dass bald etwa hundert Personen vor dem Laden standen, die lachten und lachten immerfort. Endlich kam ein Polizeibeamter und führte uns beide zum Revier, damit wir uns vor dem Kommissar verantworten sollten. Wir gingen hin und wurden bald entlassen, ohne uns jedoch miteinander auszusöhnen. Jetzt kaufe ich mein Fleisch wo anders und gehe auch nicht mal an der Tür vorbei, damit es nicht wieder Krach gibt.«
Sie schwieg und Duroy fragte:
»Ist das alles?«
»Das ist die ganze Wahrheit, mein guter Herr.«
Die Alte bot ihm ein Glas Johannisbeerwein an, das er jedoch dankend ablehnte, und verlangte, dass das Falschwiegen des Schlächters in dem Bericht erwähnt wurde. Sie kehrten auf die Redaktion zurück, und Duroy schrieb folgende Erwiderung:
»Ein anonymer Schmierer aus der Feder scheint mit mir Streit zu suchen wegen einer alten Frau, die nach seiner Behauptung von einem Agenten der Sittenpolizei verhaftet worden ist. Ich bestreite das. Ich war persönlich bei dieser Frau Aubert, die mindestens sechzig Jahre alt ist. Sie hat mir selbst genau über ihren Streit mit dem Schlächter, der ihr die Koteletts angeblich falsch gewogen hätte, erzählt, worauf beide vor den Polizeikommissar geführt wurden.
Das ist die ganze Wahrheit.
Was die übrigen Verdächtigungen des Redakteurs der Feder angeht, so übergehe ich sie mit tiefster Verachtung. Man antwortet grundsätzlich nicht auf solche Dinge, wenn sie anonym sind.
Georges Duroy.«
Herr Walter und Jaques Rival, die soeben erschienen, fanden beide die Notiz vollkommen ausreichend, und es wurde beschlossen, dass sie am selben Tage an den Schluss der Lokalnachrichten gesetzt würde.
Duroy ging frühzeitig nach Hause, er war erregt und unruhig. Was würde der andere antworten? Wer konnte es sein? Wozu dieser schamlose Angriff? Bei der rücksichtslosen Art der Journalisten konnten aus dieser dummen Geschichte böse, sehr böse Folgen entstehen. Er schlief schlecht. Als er am nächsten Morgen die Notiz in der Zeitung las, fand er sie gedruckt viel herausfordernder und aggressiver als im Manuskript. Er hätte, so schien es ihm, gewisse Ausdrücke mäßigen können.
Den ganzen Tag über war er wie im Fieber und schlief auch die folgende Nacht schlecht.
Er stand beim Morgengrauen auf, um sich die Nummer der Feder zu kaufen, die die Antwort auf seine Entgegnung bringen sollte.
Es war wieder kälter geworden; es fror. Das Wasser in den Rinnsteinen war gefroren, es schien aber, als fließe es und bildete um die Bürgersteige Eisbände.
Die Zeitungen waren bei den Händlern noch nicht zu haben, und Duroy entsann sich jenes Tages, als zum ersten Male seine »Erinnerungen eines afrikanischen Jägers« erschienen waren. Hände, Füße und namentlich die Fingerspitzen schmerzten ihn vor Kälte und er begann im Kreise um den Kiosk herumzulaufen, in dem die Verkäuferin über ihren kleinen Ofen gebückt saß, sodass nichts weiter zu sehen war als die Nasenspitze und ein paar rote Backen unter einer wollenen Kapuze.
Endlich schob der Zeitungsträger den dicken Ballen durch die Öffnung und Duroy erhielt sofort seine Feder.
Mit raschen Blicken suchte er zunächst seinen Namen, fand aber anfangs nichts. Schon wollte er erleichtert aufatmen, da sah er eine Notiz zwischen zwei fetten Strichen:
»Herr Duroy von der Vie Française will uns berichtigen und lügt dabei selbst. Er gibt wenigstens zu, dass eine Frau Aubert tatsächlich existiert und dass ein Beamter sie zum Polizeirevier gebracht hat. Er braucht hinter dem Wort ›Beamter‹ noch die zwei Worte ›der Sittenpolizei‹ hinzuzufügen und die Sache ist richtig. Aber leider ist es mit der Ehrlichkeit einiger Journalisten gerade so weit her wie mit ihrem Talent. Hiermit zeichne ich:
Louis Langremont.«
Georges Herz klopfte heftig, und er ging nach Hause, um sich umzuziehen, ohne recht zu verstehen, was er eigentlich tat. Also, man hatte ihn beschimpft, und zwar derart, dass es kein Zurück mehr gab.