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zu be­zah­len? Ein hüb­sches Glück! Um viel es­sen zu kön­nen, dick zu wer­den und Näch­te hin­durch vor Schmer­zen und Qua­len der Gicht zu schrei­en? …

      Und was noch? Ruhm? Wozu, wenn man ihn nicht mehr in der Ge­stalt der Lie­be ge­nie­ßen kann? Und dann? Im­mer der Tod zum Schluss! Ich sehe ihn jetzt oft so nahe vor mir, dass ich die Arme aus­stre­cken möch­te, um ihn von mir zu sto­ßen. Er be­deckt die Erde und er­füllt den Raum. Ich ent­de­cke ihn über­all. Die klei­nen Tier­chen, die auf den We­gen zer­tre­ten wer­den, die fal­len­den Blät­ter, das wei­ße Haar im Bart ei­nes Freun­des, al­les zer­reißt mir das Herz und ruft mir zu: ›Da ist er’!

      Er verdirbt mir al­les, was ich tue und was ich sehe, was ich esse und was ich trin­ke, al­les, was ich lie­be: den hel­len Mond­schein, den Son­nen­auf­gang, das Rau­schen des Mee­res, das Plät­schern des Ba­ches, und die mil­de Luft der Som­mer­aben­de.«

      Er ging lang­sam vor sich hin, et­was au­ßer Atem; er träum­te laut und ver­gaß fast, dass ihm je­mand zu­hör­te.

      »Und nie,« fuhr er fort, »nie kehrt ein Men­schen­we­sen wie­der. Nie­mals … Man be­wahrt die Form, in der man eine Bron­ze­sta­tue gießt, je­der Stem­pel lie­fert im­mer wie­der den glei­chen Ab­druck, aber mein Kör­per, mein Geist, mei­ne See­le, mei­ne Wün­sche wer­den nie wie­der­keh­ren. Und doch wer­den Mil­lio­nen und Mil­li­ar­den Men­schen ge­bo­ren, die auf ein paar Qua­drat­zen­ti­me­ter eine Nase, Au­gen, eine Stirn, Ba­cken und einen Mund ha­ben wie ich und auch eine See­le wie ich, aber ich selbst keh­re nie­mals wie­der, ja nicht ein­mal ir­gend­ein er­kenn­ba­rer Teil von mir taucht wie­der auf un­ter die­sen un­zähl­ba­ren We­sen, die un­be­grenzt ver­schie­den sind, trotz­dem sie sich alle fast glei­chen.

      An wen sich hal­ten? An wen un­se­re Schmer­zens­ru­fe rich­ten? An wen soll man glau­ben? Alle Re­li­gio­nen sind stumpf­sin­nig mit ih­rer dum­men Kin­der­mo­ral und egois­ti­schen Ver­hei­ßun­gen, die so gren­zen­los tö­richt sind. Der Tod al­lein ist uns ge­wiss.«

      Er blieb ste­hen, fass­te Du­roy mit bei­den Hän­den an den Rän­dern sei­nes Pa­le­tot­kra­gens und fuhr mit lang­sa­mer Stim­me fort:

      »Den­ken Sie dar­über nach, jun­ger Mann, den­ken Sie dar­über tage-, mo­na­te- und jah­re­lang nach und Sie wer­den eine ganz an­de­re An­schau­ung vom Le­ben und Da­sein ge­win­nen. Ver­su­chen Sie also al­les ab­zu­schüt­teln, was Sie um­gibt; ma­chen Sie die über­mensch­lichs­ten An­stren­gun­gen, um bei le­ben­di­gem Lei­be sich aus Ih­rer Haut, Ihren In­ter­es­sen, Ihren Ge­dan­ken, aus der ge­sam­ten Mensch­heit los­zu­lö­sen und über all das hin­aus­zu­bli­cken, und Sie wer­den be­grei­fen, wie gleich­gül­tig und be­lang­los der Streit zwi­schen Na­tu­ra­lis­ten und Ro­man­ti­kern, so­wie die gan­zen Etats­de­bat­ten sind.«

      Er be­schleu­nig­te sei­nen Schritt:

      »Aber dann wer­den Sie auch die furcht­ba­re Trüb­sal der Hoff­nungs­lo­sen emp­fin­den. Ver­las­sen und ver­lo­ren wer­den Sie im Un­ge­wis­sen sich ab­quä­len. Sie wer­den, nach al­len Sei­ten um Hil­fe ru­fen und nie­mand wird Ih­nen, ant­wor­ten. Sie wer­den die Arme em­por­stre­cken, Sie wer­den fle­hen, dass man Ih­nen hilft, Sie liebt, trös­tet, ret­tet, und es wird nie­mand kom­men.

      Und warum müs­sen wir so lei­den? Ge­wiss, wir sind mehr zum kör­per­li­chen als zum geis­ti­gen Le­ben ge­bo­ren; aber durch un­ser Den­ken ist ein Miss­ver­hält­nis ent­stan­den zwi­schen un­se­rer wach­sen­den Er­kennt­nis und den un­ver­än­der­li­chen Le­bens­be­din­gun­gen.

      Se­hen Sie sich die be­schränk­ten Men­schen an. Wenn sie nicht zu­fäl­lig schwe­re Schick­sals­schlä­ge tref­fen, sind sie zu­frie­den und lei­den nicht un­ter dem all­ge­mei­nen Un­glück. Auch die Tie­re ha­ben kein Emp­fin­den da­für.«

      Noch­mals blieb er ste­hen und sann eine kur­ze Wei­le nach. Dann sag­te er mit min­der re­si­gnier­ter Stim­me:

      »Ich bin ein ver­lo­re­nes Ge­schöpf; ich habe we­der Va­ter noch Mut­ter, noch Bru­der, noch Schwes­ter, noch Weib, noch einen Gott.«

      Nach ei­ner Pau­se füg­te er hin­zu:

      »Ich habe nur den Reim.«

      Und er hob den Kopf zum Fir­ma­ment, an dem das blei­che Voll­mon­dant­litz leuch­te­te und de­kla­mier­te:

       »Ver­geb­lich such’ ich die­ses Rät­sels Schlüs­sel

       am blei­chen Mond, am wei­ten Ster­nen­him­mel.«

      Sie ka­men zur Pont de la Con­cor­de, schwei­gend schrit­ten sie über die Brücke und gin­gen am Palais Bour­bon ent­lang. Nor­bert de Va­ren­ne be­gann von Neu­em:

      »Hei­ra­ten Sie, lie­ber Freund, denn Sie wis­sen nicht, was es in mei­nem Al­ter heißt, al­lein zu sein. Heu­te er­füllt mich die Ein­sam­keit mit ei­ner ent­setz­li­chen Angst, die Ein­sam­keit in der Woh­nung, wenn ich abends am Feu­er sit­ze. Dann scheint es mir im­mer, als wäre ich al­lein auf der Welt, um­ge­ben von dunklen Ge­fah­ren und al­ler­lei un­be­kann­ten, schreck­li­chen Din­gen; und die Wand, die mich von mei­nem un­be­kann­ten Nach­bar trennt, ent­fernt mich von ihm so weit wie die Ster­ne, die ich durch das Fens­ter sehe. Mich über­fällt dann eine Art Fie­ber­wahn, der Fie­ber­wahn der Furcht und des Schmer­zes, und das Schwei­gen der Wän­de ent­setzt mich. Es ist so tief und so trau­rig, das Schwei­gen in dem Zim­mer, in wel­chem man ganz al­lein lebt. Es um­fängt nicht bloß den Kör­per, son­dern auch die See­le, und wenn ein Stück Mö­bel kracht, er­bebt ei­nem das Herz, denn man er­war­tet kein Geräusch in die­ser trü­ben Be­hau­sung.«

      Nach ei­ner Pau­se setz­te er hin­zu:

      »Wenn man alt ist, muss es doch schön sein, Kin­der zu ha­ben!«

      Sie wa­ren in der Mit­te der Rue Bourgo­gne an­ge­langt. Vor ei­nem ho­hen Hau­se blieb der Dich­ter ste­hen, klin­gel­te, schüt­tel­te Du­roy die Hand und sag­te:

      »Ver­ges­sen Sie das un­nüt­ze Ge­schwätz des Al­ten, jun­ger Freund, und le­ben Sie, wie es Ihrem Al­ter ge­bührt! Adieu!«

      Und er ver­schwand in dem fins­te­ren Flur.

      Du­roy ging mit be­klom­me­nem Her­zen wei­ter. Ihm war, als hät­te man ihm eine Gru­be voll mensch­li­cher Kno­chen und Schä­del ge­zeigt, und in die­se Gru­be muss­te auch er ei­nes Ta­ges un­wei­ger­lich stür­zen.

      Er mur­mel­te:

      »Don­ner­wet­ter! Sehr lus­tig muss es da oben bei ihm nicht sein! Ich wür­de es lie­ber vor­zie­hen, beim Vor­bei­marsch sei­ner Ge­dan­ken nicht an­we­send zu sein. Weiß Gott! Nein!«

      Er war ste­hen­ge­blie­ben, um eine stark par­fü­mier­te Dame vor­bei zu las­sen, die aus dem Wa­gen stieg und in ihr Haus ging; mit vol­len Zü­gen at­me­te er den Duft der Ver­be­nen und Iris ein, der sich in der Luft ver­flüch­tig­te. Plötz­lich klopf­te sein Herz wie­der laut vor freu­di­ger Hoff­nung, und die Erin­ne­rung an Ma­da­me de Ma­rel­le, die er mor­gen wie­der­se­hen soll­te, er­füll­te ihn von Kopf bis zu Fuß. Al­les lä­chel­te ihm zu und das Le­ben nahm ihn zärt­lich in sei­ne Arme. Wie schön war es, sei­ne Hoff­nun­gen ver­wirk­licht zu se­hen!

      Wie in ei­nem Rausch schlief er ein und er­hob sich ziem­lich früh, um noch einen Spa­zier­gang in der Ave­nue du Bois de Bou­lo­gne zu ma­chen, ehe er zum Ren­dez­vous ging.

      Der Wind hat­te sich über Nacht

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