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je­der be­schäf­tig­te sich sehr eif­rig mit sei­nem an­de­ren Nach­barn.

      Du­roys Herz poch­te. Er schob et­was wei­ter sein Knie vor. Er fühl­te einen leich­ten Ge­gen­druck, und er be­griff, dass ihre Lie­be wie­der be­gon­nen hat­te.

      Wie wür­den sie mit­ein­an­der spre­chen? Das war gleich­gül­tig; aber ihre Lip­pen zit­ter­ten je­des Mal, wenn ihre Bli­cke sich be­geg­ne­ten. Doch der jun­ge Mann woll­te auch ge­gen die Toch­ter sei­nes Chefs lie­bens­wür­dig sein und re­de­te sie von Zeit zu Zeit an. Sie ant­wor­te­te ganz wie ihre Mut­ter und wuss­te im­mer so­fort, was sie er­wi­dern soll­te. Zur Rech­ten des Herrn Wal­ter saß mit der Hal­tung ei­ner Prin­zes­sin die Vi­com­tes­se de Per­ce­mur; und Du­roy, der sich über die­sen An­blick amü­sier­te, frag­te ganz lei­se Ma­da­me de Ma­rel­le:

      »Ken­nen Sie viel­leicht auch die an­de­re, die un­ter dem Na­men ›Ro­ter Do­mi­no‹ schreibt?«

      »Ge­wiss. Die Baro­nin de Li­var!«

      »Auch so eine Mas­sen­ge­stalt?«

      »Nein. Aber ge­nau so ko­misch. Sie ist ein lan­ges Ge­rip­pe von sech­zig Jah­ren, mit falschen Löck­chen und lan­gen Zäh­nen wie eine Eng­län­de­rin und mit An­schau­un­gen aus der Groß­vä­ter­zeit, Toi­let­te des­glei­chen.«

      »Wo hat man nur die­se li­te­ra­ri­schen Berühmt­hei­ten auf­ge­ga­belt?«

      »Die Em­por­kömm­lin­ge des Bür­ger­tums schwär­men im­mer noch für Ab­fäl­le aus ad­li­gem Ge­schlecht.«

      »Sonst liegt kein Grund vor?«

      »Kei­ner.«

      Am Tisch hat­te jetzt eine po­li­ti­sche De­bat­te zwi­schen dem Chef, den bei­den De­pu­tier­ten, Nor­bert de Va­ren­ne und Jaques Ri­val be­gon­nen; sie dau­er­te bis zum Des­sert.

      Als man wie­der im Sa­lon war, nä­her­te sich Du­roy von Neu­em Ma­da­me de Ma­rel­le. Er sah ihr tief in die Au­gen und frag­te:

      »Darf ich Sie heu­te nach Hau­se be­glei­ten?«

      »Nein.«

      »Wa­rum nicht?«

      »Weil Herr Lar­oche-Ma­thieu, der mein Nach­bar ist, mich je­des Mal bis zur Haus­tür be­glei­tet, wenn ich hier abends bin.«

      »Wann darf ich Sie dann se­hen?«

      »Kom­men Sie mor­gen zum Früh­stück.«

      Ohne ein wei­te­res Wort trenn­ten sie sich.

      Du­roy blieb nicht lan­ge. Er fand die Ge­sell­schaft zu ein­tö­nig. Auf der Trep­pe hol­te er Nor­bert de Va­ren­ne ein, der sich eben­falls emp­foh­len hat­te. Der alte Dich­ter fass­te ihn un­term Arm. Da sie auf so ver­schie­de­nen Ge­bie­ten tä­tig wa­ren, brauch­te er sei­ne Ri­va­li­tät nicht zu fürch­ten und brach­te dem jun­gen Man­ne ein ge­wis­ses vä­ter­li­ches Wohl­wol­len ent­ge­gen.

      »Wol­len Sie mich ein Stück­chen nach Hau­se be­glei­ten?« frag­te er.

      »Mit größ­tem Ver­gnü­gen, ver­ehr­tes­ter Meis­ter!«

      Sie gin­gen lang­sam wei­ter und schrit­ten den Bou­le­vard Mal­her­bes hin­un­ter.

      Pa­ris lag in die­ser kal­ten Win­ter­nacht fast men­schen­leer da,. Es war eine Nacht, in der die Ster­ne viel wei­ter ent­fernt schie­nen als sonst und der ei­si­ge Wind­hauch aus der Unend­lich­keit des Wel­talls weit jen­seits der Ster­ne zu kom­men scheint,

      An­fangs spra­chen die Män­ner kein Wort; dann äu­ßer­te Du­roy, um doch et­was zu sa­gen:

      »Herr Lar­oche-Ma­thieu scheint recht klug und un­ter­rich­tet zu sein.«

      »Fin­den Sie?« mur­mel­te der alte Dich­ter.

      Über­rascht und zö­gernd er­wi­der­te Du­roy:

      »Al­ler­dings, er gilt ja für einen der fä­higs­ten Köp­fe in der Kam­mer.«

      »Mög­lich. Un­ter den Blin­den ist der Ein­äu­gi­ge Kö­nig. Die­se gan­ze Ge­sell­schaft, se­hen Sie, ist sehr mit­tel­mä­ßig. Ihr Geist steckt zwi­schen zwei Wän­den — Geld und Po­li­tik. — Es sind al­ber­ne dum­me Jun­gen, mein Lie­ber, mit de­nen man un­mög­lich über et­was re­den kann, was uns am Her­zen liegt. Ihr Geist hat einen Bo­den­satz von Schlamm oder bes­ser ge­sagt von Mist, wie die Sei­ne bei As­nie­res. Es ist weiß Gott schwer, einen Men­schen mit wei­tem Geist zu fin­den, bei dem uns wie am Meer das Emp­fin­den von et­was Großem und Ge­wal­ti­gem über­kommt. Ich kann­te ein paar sol­cher Men­schen, jetzt aber sind sie tot.«

      Nor­bert de Va­ren­ne sprach mit kla­rer aber ge­dämpf­ter Stim­me, die laut durch die Nacht tö­nen müss­te, wenn er nicht so in­ner­lich und zu­rück­hal­tend ge­spro­chen hät­te. Er schi­en über­reizt und trau­rig zu sein; er war er­füllt von je­ner Schwer­mut, die die See­len be­fällt und sie zit­tern lässt wie der Frost die Erde. Er fuhr fort:

      »Was hat das üb­ri­gens zu sa­gen, ob ei­ner ein biss­chen mehr oder ein biss­chen we­ni­ger Ge­nie hat, zu­letzt kommt ja doch das Ende.«

      Er schwieg. Du­roy, der sich in­ner­lich froh und hei­ter fühl­te, sag­te lä­chelnd:

      »Sie se­hen heu­te zu schwarz, ver­ehr­tes­ter Meis­ter.«

      »Das tu ich stets, mein Jun­ge,« er­wi­der­te der Dich­ter, »und in ein paar Jah­ren wer­den Sie es auch tun. Das Le­ben ist ein Berg; so­lan­ge man hin­auf­steigt, sieht man den Gip­fel und fühlt sich glück­lich. Ist man aber oben, dann er­blickt man mit ein­mal den Ab­grund und das Ende, näm­lich den Tod. Berg­auf geht es lang­sam, doch bergab schnell. In Ihrem Al­ter ist man fröh­lich. Man er­hofft so vie­les, was üb­ri­gens nie ein­tritt. In mei­nen Jah­ren er­war­tet man nichts mehr… als den Tod.«

      Du­roy be­gann zu la­chen:

      »Ver­dammt! Mir wird es gru­se­lig, wenn ich Sie höre.«

      »Nein,« fuhr Nor­bert de Va­ren­ne fort, »Sie ver­ste­hen mich heu­te nicht. Aber spä­ter mal wer­den Sie sich des­sen er­in­nern, was ich Ih­nen jetzt sage. Es kommt ein Tag — und er kommt viel zu früh —, wo man nicht mehr la­chen kann, weil hin­ter al­lem, was man sieht, der Tod steht!

      Oh! Sie ver­ste­hen nicht mal die­ses Wort: der Tod! In Ihrem Al­ter be­deu­tet das nichts — in mei­nem ist es schreck­lich. Ja, auf ein­mal da ver­steht man es, man weiß nicht wo­her und man weiß nicht warum, und plötz­lich be­kommt das Le­ben ein an­de­res Ge­sicht. Ich füh­le es schon seit fünf­zehn Jah­ren, wie er an mir zehrt, als ob ich ein Na­ge­tier im Bu­sen trü­ge. Ich mer­ke, wie er mich nach und nach, Mo­nat für Mo­nat, Stun­de für Stun­de, zer­stört, wie ein al­tes Haus, das dem Ein­sturz nahe ist. Er hat mich so völ­lig ent­stellt, dass ich mich nicht mehr wie­der­er­ken­ne. In mir ist nichts mehr von mir selbst, von dem fri­schen, star­ken, strah­len­den Man­ne, der ich mit drei­ßig Jah­ren war, üb­rig­ge­blie­ben. Ich sah, wie er mei­ne schwar­zen Haa­re weiß färb­te, all­mäh­lich, mit ei­ner hin­ter­lis­ti­gen und heim­tücki­schen Lang­sam­keit. Er nahm mir mei­ne straf­fe Haut, mei­ne Mus­keln, mei­ne Zäh­ne, mei­nen gan­zen Kör­per und ließ mir nur eine ver­zwei­fel­te See­le, die ihm auch wohl bald zum Op­fer fal­len wird.

      Er hat mich zer­malmt, der Schuft, Se­kun­de für Se­kun­de, lang­sam und all­mäh­lich hat er sein furcht­ba­res Zer­stö­rungs­werk an mei­nem

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