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ihn von sich stos­sen, wie et­was Schänd­li­ches.«

      Das war schreck­lich.

      Und sie gin­gen un­ter den drücken­den Son­nen­strah­len stets die lan­ge Stras­se bergan wei­ter, die nach der Küs­te führ­te.

      »Ist es nicht wie ein Straf­ge­richt«, fuhr sie fort, dass ich nie­mals wie­der ein Kind ge­habt habe? Nein, ich konn­te nicht dem Ver­lan­gen wi­der­ste­hen, das mich nun seit vier­zig Jah­ren quält, ihn noch ein­mal zu se­hen. Ihr Män­ner ver­steht das nicht. Den­ken Sie, dass ich schon ein­mal am Tode lag. Und ich hät­te ihn dann nicht wie­der ge­se­hen … ist es mög­lich … ihn nicht wie­der­ge­se­hen? … Wie konn­te ich nur so lan­ge war­ten? Mein gan­zes Le­ben lang habe ich an ihn ge­dacht. Wie habe ich dar­un­ter lei­den müs­sen! Nie­mals bin ich er­wacht, nicht ein ein­zi­ges Mal, den­ken Sie, ohne dass mein ers­ter Ge­dan­ke nicht ihm, mei­nem Kin­de, ge­gol­ten hät­te. Wie mag es ihm nur ge­hen? Ach, wie schul­dig füh­le ich mich ihm ge­gen­über! Darf man denn in ei­nem sol­chen Fal­le Men­schen­furcht ha­ben? Ich hät­te al­les ver­las­sen müs­sen, um ihm zu fol­gen, ihn zu er­zie­hen, mit mei­ner Lie­be zu um­ge­ben. Ich wäre glück­li­cher da­bei ge­we­sen, wahr­haf­tig. Ich war fei­ge, ich wag­te es nicht. Wie habe ich ge­lit­ten! Ach, wie müs­sen die­se ar­men ver­las­se­nen We­sen ihre Müt­ter has­sen!«

      Sie blieb plötz­lich ste­hen, von Trä­nen über­strömt. Die gan­ze Ge­gend lag stumm und ein­sam un­ter der drücken­den Son­nen­hit­ze. Nur die Gril­len lies­sen fort­ge­setzt ihr ein­för­mi­ges Ge­zir­pe in dem dür­ren spär­li­chen Gra­se er­tö­nen, wel­ches die Stras­se zu bei­den Sei­ten ein­fass­te.

      »Set­zen Sie sich einen Au­gen­blick«, sag­te er. Sie ließ sich von ihm zum Ran­de des Gra­bens füh­ren und setz­te sich, das Ge­sicht in den Hän­den be­gra­bend. Ihre wei­ßen Haa­re, die in Lo­cken zu bei­den Sei­ten des Ge­sich­tes hin­gen, wi­ckel­ten sich auf, aber sie be­ach­te­te es nicht; sie wein­te wei­ter zum Herz­zer­bre­chen.

      Er blieb ihr ge­gen­über ste­hen, un­ru­hig bei dem Ge­dan­ken, was er ihr sa­gen soll­te.

      »Kom­men Sie … Mut!« mur­mel­te er.

      »Ich habe Mut«, sag­te sie auf­ste­hend. Und in­dem sie ihre Trä­nen trock­ne­te, nahm sie ih­ren Weg wie­der auf, wo­bei das Al­ter ih­ren Schritt et­was un­si­cher mach­te.

      Die Stras­se führ­te et­was wei­ter hin zu ei­ner grös­se­ren Baum­grup­pe, un­ter der ei­ni­ge Häu­ser ver­steckt la­gen. Man konn­te schon von Wei­tem den re­gel­mäs­si­gen zit­tern­den Schlag ei­nes Schmie­de­ham­mers auf ei­nem Am­bos un­ter­schei­den.

      Bald dar­auf sa­hen sie zur Rech­ten vor ei­nem nied­ri­gen Hau­se eine Kar­re hal­ten, wäh­rend un­ter ei­nem Vor­da­che zwei Män­ner ein Pferd be­schlu­gen. Herr d’A­gre­val nä­her­te sich ih­nen.

      »Ist hier das Ge­höft von Pe­ter Be­ne­dikt?« rief er.

      Ei­ner der Leu­te er­wi­der­te:

      »Nehmt den Weg links, ganz bis zum klei­nen Kaf­fee­hau­se und geht dann ganz rechts, es ist das drit­te vom Wege nach Po­ret, ein Tänn­chen vorm Tore, nicht zu ver­feh­len.«

      Sie wand­ten sich links. Sie ging jetzt ganz lang­sam mit wan­ken­den Kni­en, wäh­rend ihr Herz zum Zer­sprin­gen klopf­te.

      Bei je­dem Schritt mur­mel­te sie wie im Ge­bet: »Mein Gott! Mein Gott!« Eine furcht­ba­re Auf­re­gung schnür­te ihr die Keh­le zu, und sie schwank­te auf den Füs­sen, als wä­ren ihre Seh­nen zer­ris­sen.

      Herr d’A­gre­val, vor Auf­re­gung gleich­falls bleich, sag­te ihr et­was un­wirsch:

      »Wenn Sie sich jetzt schon nicht mehr be­herr­schen kön­nen, wer­den Sie al­les so­fort ver­ra­ten. Su­chen Sie sich doch zu fas­sen.«

      »Ach wie kann ich das?« seufz­te sie. »Mein Kind! Wenn ich den­ke, dass ich mein Kind se­hen wer­de!«

      Sie folg­ten ei­nem je­ner klei­nen Feld­we­ge, wie man sie so viel sieht, zwi­schen den Fel­dern der Ge­höf­te hin­durch­füh­rend, be­schat­tet von ei­ner Dop­pel­rei­he Bu­chen zu bei­den Sei­ten der Grä­ben.

      Und plötz­lich stan­den sie vor ei­nem höl­zer­nen Schlag­baum, den eine jun­ge Tan­ne be­schat­te­te.

      »Hier ist’s«, sag­te er.

      Sie blie­ben ste­hen und schau­ten.

      Der mit Ap­fel­bäu­men be­pflanz­te Hof war ziem­lich groß und dehn­te sich bis zu dem klei­nen stroh­be­deck­ten Wohn­hau­se aus. Ge­gen­über lag der Pfer­de­stall, die Scheu­ne, der Kuh­stall, das Hüh­ner­haus. Un­ter ei­nem Zie­gel­dach stan­den die Acker­wa­gen, Kar­ren, Schieb­kar­ren, das Ca­brio­let. Vier Kühe wei­de­ten in dem ho­hen grü­nen Gra­se im Schat­ten der Bäu­me, wäh­rend in al­len Win­keln des Ge­höf­tes schwar­ze Hüh­ner her­um­trip­pel­ten.

      Man hör­te nichts; die Tür des Hau­ses stand zwar of­fen, aber man konn­te im In­nern nie­mand er­bli­cken.

      Sie tra­ten ein. So­fort stürz­te aus ei­nem Fas­se am Fus­se ei­nes großen Birn­bau­mes ein schwar­zer Hund her­vor und be­gann ein wü­ten­des Ge­bell.

      Als sie nä­her ka­men, sa­hen sie an der Mau­er des Hau­ses vier Bie­nen­stö­cke mit ih­ren gel­ben Stroh­kup­peln ge­lehnt.

      »Ist je­mand hier?« rief Herr d’A­gre­val, als sie an der Tür stan­den. Als­bald er­schi­en ein Kind, ein klei­nes Mäd­chen von un­ge­fähr zehn Jah­ren, in Hemd und Lei­nen­röck­chen, mit blos­sen schmut­zi­gen Füs­sen und furcht­sa­mer trot­zi­ger Mie­ne. Es blieb im Tür­rah­men ste­hen, als woll­te es den Ein­gang weh­ren.

      »Was wol­len Sie?« frag­te es.

      »Ist Dein Va­ter da?«

      »Nein.«

      »Wo ist er?«

      »Ich weiß nicht.«

      »Und Dei­ne Mut­ter?«

      »Bei den Kü­hen.«

      »Kommt sie bald zu­rück?«

      »Weiß nicht.«

      Und plötz­lich, als ob sie fürch­te­te, dass man sie mit Ge­walt weg­füh­ren wer­de, sag­te die alte Dame in ener­gi­schem Tone:

      »Ich gehe nicht fort ohne ihn ge­se­hen zu ha­ben.«

      »Wir wer­den auf ihn war­ten, lie­be Freun­din!«

      Als sie zu­rück­gin­gen, be­merk­ten sie eine Bäue­rin, die auf das Haus zu­kam und in den Hän­den zwei blan­ke Blechei­mer trug, in de­nen sich hin und wie­der ein Strei­fen des grel­len Son­nen­lichts mit plötz­li­chem Re­flex spie­gel­te.

      Sie hin­k­te auf dem rech­ten Fus­se und sah in ih­rem dun­kel­brau­nen, ver­wa­sche­nen und von der Son­ne fuch­sig ge­wor­de­nen Brust­tuch wie eine Magd aus, elend und schmut­zig.

      »Da ist die Mut­ter«, sag­te das Kind.

      Nä­her­kom­mend sah die­se die Frem­den un­freund­lich und miss­trau­isch an, ging aber ru­hig ins Haus, als hät­te sie sie gar nicht be­merkt.

      Sie schi­en alt, das Ge­sicht run­ze­lig, gelb und rau; eine Art Holz­ge­sicht, wie es die Bäue­rin­nen

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