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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн.Название Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962817695
Автор произведения Guy de Maupassant
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Das war schrecklich.
Und sie gingen unter den drückenden Sonnenstrahlen stets die lange Strasse bergan weiter, die nach der Küste führte.
»Ist es nicht wie ein Strafgericht«, fuhr sie fort, dass ich niemals wieder ein Kind gehabt habe? Nein, ich konnte nicht dem Verlangen widerstehen, das mich nun seit vierzig Jahren quält, ihn noch einmal zu sehen. Ihr Männer versteht das nicht. Denken Sie, dass ich schon einmal am Tode lag. Und ich hätte ihn dann nicht wieder gesehen … ist es möglich … ihn nicht wiedergesehen? … Wie konnte ich nur so lange warten? Mein ganzes Leben lang habe ich an ihn gedacht. Wie habe ich darunter leiden müssen! Niemals bin ich erwacht, nicht ein einziges Mal, denken Sie, ohne dass mein erster Gedanke nicht ihm, meinem Kinde, gegolten hätte. Wie mag es ihm nur gehen? Ach, wie schuldig fühle ich mich ihm gegenüber! Darf man denn in einem solchen Falle Menschenfurcht haben? Ich hätte alles verlassen müssen, um ihm zu folgen, ihn zu erziehen, mit meiner Liebe zu umgeben. Ich wäre glücklicher dabei gewesen, wahrhaftig. Ich war feige, ich wagte es nicht. Wie habe ich gelitten! Ach, wie müssen diese armen verlassenen Wesen ihre Mütter hassen!«
Sie blieb plötzlich stehen, von Tränen überströmt. Die ganze Gegend lag stumm und einsam unter der drückenden Sonnenhitze. Nur die Grillen liessen fortgesetzt ihr einförmiges Gezirpe in dem dürren spärlichen Grase ertönen, welches die Strasse zu beiden Seiten einfasste.
»Setzen Sie sich einen Augenblick«, sagte er. Sie ließ sich von ihm zum Rande des Grabens führen und setzte sich, das Gesicht in den Händen begrabend. Ihre weißen Haare, die in Locken zu beiden Seiten des Gesichtes hingen, wickelten sich auf, aber sie beachtete es nicht; sie weinte weiter zum Herzzerbrechen.
Er blieb ihr gegenüber stehen, unruhig bei dem Gedanken, was er ihr sagen sollte.
»Kommen Sie … Mut!« murmelte er.
»Ich habe Mut«, sagte sie aufstehend. Und indem sie ihre Tränen trocknete, nahm sie ihren Weg wieder auf, wobei das Alter ihren Schritt etwas unsicher machte.
Die Strasse führte etwas weiter hin zu einer grösseren Baumgruppe, unter der einige Häuser versteckt lagen. Man konnte schon von Weitem den regelmässigen zitternden Schlag eines Schmiedehammers auf einem Ambos unterscheiden.
Bald darauf sahen sie zur Rechten vor einem niedrigen Hause eine Karre halten, während unter einem Vordache zwei Männer ein Pferd beschlugen. Herr d’Agreval näherte sich ihnen.
»Ist hier das Gehöft von Peter Benedikt?« rief er.
Einer der Leute erwiderte:
»Nehmt den Weg links, ganz bis zum kleinen Kaffeehause und geht dann ganz rechts, es ist das dritte vom Wege nach Poret, ein Tännchen vorm Tore, nicht zu verfehlen.«
Sie wandten sich links. Sie ging jetzt ganz langsam mit wankenden Knien, während ihr Herz zum Zerspringen klopfte.
Bei jedem Schritt murmelte sie wie im Gebet: »Mein Gott! Mein Gott!« Eine furchtbare Aufregung schnürte ihr die Kehle zu, und sie schwankte auf den Füssen, als wären ihre Sehnen zerrissen.
Herr d’Agreval, vor Aufregung gleichfalls bleich, sagte ihr etwas unwirsch:
»Wenn Sie sich jetzt schon nicht mehr beherrschen können, werden Sie alles sofort verraten. Suchen Sie sich doch zu fassen.«
»Ach wie kann ich das?« seufzte sie. »Mein Kind! Wenn ich denke, dass ich mein Kind sehen werde!«
Sie folgten einem jener kleinen Feldwege, wie man sie so viel sieht, zwischen den Feldern der Gehöfte hindurchführend, beschattet von einer Doppelreihe Buchen zu beiden Seiten der Gräben.
Und plötzlich standen sie vor einem hölzernen Schlagbaum, den eine junge Tanne beschattete.
»Hier ist’s«, sagte er.
Sie blieben stehen und schauten.
Der mit Apfelbäumen bepflanzte Hof war ziemlich groß und dehnte sich bis zu dem kleinen strohbedeckten Wohnhause aus. Gegenüber lag der Pferdestall, die Scheune, der Kuhstall, das Hühnerhaus. Unter einem Ziegeldach standen die Ackerwagen, Karren, Schiebkarren, das Cabriolet. Vier Kühe weideten in dem hohen grünen Grase im Schatten der Bäume, während in allen Winkeln des Gehöftes schwarze Hühner herumtrippelten.
Man hörte nichts; die Tür des Hauses stand zwar offen, aber man konnte im Innern niemand erblicken.
Sie traten ein. Sofort stürzte aus einem Fasse am Fusse eines großen Birnbaumes ein schwarzer Hund hervor und begann ein wütendes Gebell.
Als sie näher kamen, sahen sie an der Mauer des Hauses vier Bienenstöcke mit ihren gelben Strohkuppeln gelehnt.
»Ist jemand hier?« rief Herr d’Agreval, als sie an der Tür standen. Alsbald erschien ein Kind, ein kleines Mädchen von ungefähr zehn Jahren, in Hemd und Leinenröckchen, mit blossen schmutzigen Füssen und furchtsamer trotziger Miene. Es blieb im Türrahmen stehen, als wollte es den Eingang wehren.
»Was wollen Sie?« fragte es.
»Ist Dein Vater da?«
»Nein.«
»Wo ist er?«
»Ich weiß nicht.«
»Und Deine Mutter?«
»Bei den Kühen.«
»Kommt sie bald zurück?«
»Weiß nicht.«
Und plötzlich, als ob sie fürchtete, dass man sie mit Gewalt wegführen werde, sagte die alte Dame in energischem Tone:
»Ich gehe nicht fort ohne ihn gesehen zu haben.«
»Wir werden auf ihn warten, liebe Freundin!«
Als sie zurückgingen, bemerkten sie eine Bäuerin, die auf das Haus zukam und in den Händen zwei blanke Blecheimer trug, in denen sich hin und wieder ein Streifen des grellen Sonnenlichts mit plötzlichem Reflex spiegelte.
Sie hinkte auf dem rechten Fusse und sah in ihrem dunkelbraunen, verwaschenen und von der Sonne fuchsig gewordenen Brusttuch wie eine Magd aus, elend und schmutzig.
»Da ist die Mutter«, sagte das Kind.
Näherkommend sah diese die Fremden unfreundlich und misstrauisch an, ging aber ruhig ins Haus, als hätte sie sie gar nicht bemerkt.
Sie schien alt, das Gesicht runzelig, gelb und rau; eine Art Holzgesicht, wie es die Bäuerinnen