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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн.Название Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962817695
Автор произведения Guy de Maupassant
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Selbstredend bejahte ich.
»Nun gut!« fuhr er fort. »Es ist jetzt zwanzig Jahre her, dass die Eigentümer dieses Hauses, meine Kundschaft übrigens, ein Kind hatten, ein Mädchen wie jedes andere Mädchen auch.
Aber ich bemerkte bald, dass, während der Körper dieses kleinen Wesens sich wunderbar entwickelte, sein Verstand völlig zurückblieb.
Es lernte sehr frühzeitig gehen, sprach aber kein Wort. Ich schob dies anfangs nur auf einfache Dummheit; dann stellte ich fest, dass es sehr gut hörte, aber nichts verstand. Bei heftigem Geräusch fing es an zu zittern, ohne sich über die Ursachen desselben klar zu werden.
Es wuchs heran, war hübsch aber stumm; stumm aus Verstandesmangel. Ich versuchte mit allen erdenklichen Mitteln in seinem Kopfe auch nur den Schimmer eines Gedankens zu erwecken, aber es half alles nichts. Ich glaubte zu bemerken, dass es seine Ernährerin erkenne, aber sobald es entwöhnt war, kannte es die Mutter nicht mehr. Niemals konnte es dieses Wort aussprechen, welches die Kinder als erstes stammeln und die auf dem Schlachtfeld sterbenden Soldaten als letztes murmeln, das Wort ›Mutter‹. Es versuchte einige Male etwas zu stottern, einige leere Versuche, und dann war es nichts mehr.
War das Wetter schön, so lachte sie die ganze Zeit und stiess dabei leichte Schreie aus, dem Zwitschern der Vögel vergleichbar; regnete es, so weinte und seufzte sie in einer ganz traurigen herzzerbrechenden Weise, ähnlich wie Hunde klagen, die an einer Leiche heulen.
Sie wälzte sich gern im Grase nach Art der jungen Tiere und lief wie toll umher; jeden Morgen, wenn die Sonne in ihr Zimmer schien, klatschte sie vor Vergnügen mit den Händen. Dasselbe tat sie auch, wenn man das Fenster öffnete, damit man sie nur schnell anziehen möchte.
Im Übrigen schien sie keinen Unterschied zwischen den Leuten zu machen, weder zwischen ihrer Mutter noch ihrer Wärterin, zwischen ihrem Vater oder mir, zwischen dem Kutscher und der Köchin.
Da ich ihre unglücklichen Eltern sehr gern hatte, so kam ich fast jeden Tag zu ihnen, und speiste auch oft bei denselben. Hierbei glaubte ich zu bemerken, dass Bertha (dies war ihr Taufname) die Gerichte zu unterscheiden und das eine dem andren vorzuziehen schien.
Sie war damals zwölf Jahre alt, viel grösser als ich und hätte ihrer ganzen Erscheinung nach für achtzehnjährig gelten können.
So kam ich auf den Gedanken, ihren Geschmackssinn zu erwecken und mittels desselben zu versuchen, ihrem Geistesleben Abwechslung zu bringen. Ich wollte sie durch Verschiedenheit der Appetits-Äusserungen durch die ganze Stufenleiter von Geschmacks-Richtungen, wenn auch nicht gerade zu bewussten oder überlegten Entschliessungen, so doch wenigstens zu instinktiven Unterscheidungen bringen, bei denen sich dann doch immerhin eine Art materieller Gedankenarbeit vollzog.
Wenn man so ihre Neigungen reizte, so konnte man vielleicht, namentlich bei sorgfältiger Berücksichtigung derjenigen, die am ausgesprochensten auftraten, eine umgekehrte Wirkung des Körpers auf den Verstand erzielen und allmählich ihr Gehirn aus seiner bisherigen Untätigkeit aufwecken.
Ich stellte also eines Tages zwei Schüsseln, die eine mit Suppe und die andere mit sehr süssem Vanille-Crême vor ihr hin, und ließ sie abwechselnd von beiden kosten Dann überliess ich ihr die Wahl und sie ass den Crême auf.
In kurzer Zeit war sie sehr wählerisch geworden, sodass sie eigentlich nur noch den Gedanken ans Essen oder besser gesagt, das Verlangen danach im Kopfe hatte. Sie erkannte die Schüsseln ganz genau, streckte die Hände nach denen aus, die sie wünschte, und verzehrte alles mit Gier. Sie weinte, wenn man es ihr fortnahm.
Nun versuchte ich sie auf den Klang der Tischglocke einzuüben; es dauerte lange, gelang aber auch. Es bildete sich zweifellos bei ihr ein unbewusster Zusammenhang zwischen dem Glockenzeichen und ihrem Appetit, also eine Art Beziehung zwischen zwei Sinnen, eine Wirkung des einen auf den andren und folgerichtig ein Ideen-Zusammenhang -- wenn man diese Art von instinktivem Zusammenwirken zweier organischer Funktionen als Idee bezeichnen kann.
Meine Hoffnung wuchs, und ich dehnte meine Versuche nun darauf aus, ihr die Stunde der Mahlzeit auf dem Zifferblatt der Wanduhr -- und mit welcher Mühe! -- begreiflich zu machen.
Lange Zeit hatte sie für die Bewegung der Zeiger absolut kein Verständnis; aber es gelang mir, ihr den Stundenschlag einzuprägen. Die Sache war sehr einfach. Ich ließ das Läuten der Tischglocke einstellen, dagegen standen wir alle auf, um zu Tisch zu gehen, sobald als der kleine Hammer des Uhrwerks zum Anschlagen der Mittagsstunde aushob.
So strengte ich mich z. B. vergeblich an, ihr das Zählen der Schläge beizubringen. Sie stürzte jedes Mal auf die Türe zu, sobald sie überhaupt die Uhr schlagen hörte, aber allmählich wurde es ihr doch klar, dass alle Schläge der Uhr doch, nicht die Essensstunde anzeigten, und so fing sie an, das Auge, vom Gehör unterstützt, mehr wie sonst auf das Zifferblatt zu lenken.
Als ich dies bemerkte, trug ich Sorge, jeden Tag zur Mittagsstunde und um 6 Uhr meinen Finger auf die Zahl 12 und 6 zu richten, sobald der so sehnlich von ihr erwartete Augenblick eingetreten war. Ich konnte bald beobachten, dass sie anfing, aufmerksam den Bewegungen der kleinen bronzenen Zeiger zu folgen, die ich in ihrer Gegenwart so oft hatte um das Zifferblatt laufen lassen.
Sie hatte es also begriffen; ich möchte vielmehr sagen, sie hatte es sich gemerkt. Es war mir gelungen, das Bewusstsein oder noch besser die Empfindung der Stunde in ihr zu erwecken, wie man dies, allerdings ohne Hilfe einer Uhr, bei den Karpfen erreicht, indem man ihnen jeden Tag genau zu derselben Zeit Futter wirft.
Nachdem wir nun einmal soweit waren, erregte jede Art von Zeitmesser, die im Hause nur existierte, ihre Aufmerksamkeit in ganz besonderer Weise. Sie verbrachte ihre Zeit damit, sie zu betrachten, sie zu hören und auf die Glockenschläge zu warten.
Einmal passierte sogar etwas sehr Komisches. Das Schlagwerk einer kleinen eingelegten Uhr aus der Zeit Ludwigs XVI., welche man am Kopfende ihres Bettes aufgehängt hatte, war in Unordnung geraten. Sie bemerkte es wohl und wartete seit zwanzig Minuten, das Auge unverwandt auf die Zeiger geheftet, dass die Uhr zehn schlagen sollte. Aber als der Zeiger die Zahl überschritten hatte, war sie ganz verwundert, nichts zu hören; derart