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hät­te den Strom her­auf­schwim­men und an ir­gend ei­ner Stel­le die nächs­ten fünf­hun­dert Me­ter einen von Ge­strüpp und Schlamm frei­en Punkt su­chen sol­len, an dem ich fes­ten Fuss fas­sen konn­te, so wet­te ich hun­dert ge­gen eins, dass ich mich in dem dich­ten Ne­bel nicht zu­recht­ge­fun­den hät­te und elend er­trun­ken wäre, so gut ich auch schwim­men moch­te.

      Ich ver­such­te mei­ne Ge­dan­ken wie­der zu sam­meln. Ich fühl­te den fes­ten Wil­len in mir, kei­ne Furcht mehr zu ha­ben; aber ich emp­fand noch et­was an­de­res in mir, und die­ses an­de­re fürch­te­te sich. Ich frag­te mich, was ich zu fürch­ten hät­te, mein tap­fe­res Ich kämpf­te mit dem fei­gen Ich; und nie­mals habe ich wie­der so deut­lich als in je­ner Nacht be­grif­fen, dass zwei ent­ge­gen­ge­setz­te We­sen in uns woh­nen, von de­nen das eine will, wäh­rend das an­de­re wi­der­strebt, und von de­nen bald die­ses, bald je­nes den Sieg da­von­trägt.

      Die­se tö­rich­te und un­er­klär­li­che Furcht wuchs von Mi­nu­te zu Mi­nu­te und ar­te­te in völ­li­ges Ent­set­zen aus. Ich blieb un­be­weg­lich, die Au­gen weit ge­öff­net, wäh­rend ich mit den Ohren er­war­tungs­voll lausch­te. Nach was? Ich wuss­te es nicht, aber es konn­te nur et­was Schreck­li­ches sein. Wenn jetzt ein Fisch sich aus dem Was­ser ge­schla­gen hät­te, wie sie das ja öf­ters tuen, so wäre ich si­cher be­wusst­los zu­sam­men­ge­sun­ken.

      Mit ei­ner ge­walt­sa­men An­stren­gung ge­lang es mir end­lich, wie­der Ver­nunft zu fas­sen. Ich griff noch­mals zu mei­ner Rum­fla­sche und trank mit vol­len Zü­gen. Dann kam mir der Ge­dan­ke, aus al­len Kräf­ten nach den vier Him­mels­rich­tun­gen hin­aus zu ru­fen. Als mei­ne Stim­me schliess­lich ver­sag­te, horch­te ich. -- Nur ein Hund heul­te in wei­ter Fer­ne.

      Ich trank noch­mals und streck­te mich der Fän­ge nach auf dem Bo­den des Kah­nes aus. So blieb ich eine, viel­leicht auch zwei Stun­den, schlaf­los, mit of­fe­nen Au­gen lie­gen, wäh­rend es wie ein Alp auf mei­ner Brust lag. Ich wag­te nicht auf­zu­ste­hen, so sehr ich auch da­nach ver­lang­te; ich ver­schob es von Mi­nu­te zu Mi­nu­te. ›Vor­wärts! Auf!‹ sag­te ich zu mir selbst, und doch fürch­te­te ich, mich zu be­we­gen. End­lich er­hob ich mich un­ter un­zäh­li­gen Vor­sichts­mass­re­geln, wie wenn mein Le­ben von dem kleins­ten Geräusch ab­ge­han­gen hät­te, und späh­te vor­sich­tig über Bord.

      Ich war ge­ra­de­zu ge­blen­det von dem wun­der­ba­ren über­ra­schen­den An­blick, der sich zum ers­ten Male mei­nen Au­gen bot. Es war wie ein Zau­ber­bild aus dem Feen­land, wie eine je­ner Er­zäh­lun­gen weit­ge­reis­ter Leu­te, die wir hö­ren, ohne sie fas­sen zu kön­nen.

      Der Ne­bel, der zwei Stun­den zu­vor auf dem Was­ser ge­le­gen hat­te, hat­te sich all­mäh­lich von dem­sel­ben fort ans Ufer ge­zo­gen. Dort auf bei­den Sei­ten dicht zu­sam­men­ge­ballt, ließ er den Fluss ganz frei und bil­de­te rechts und links eine fort­lau­fen­de, sechs bis sie­ben Me­ter hohe Hü­gel­ket­te, die bei dem blei­chen Mond­lich­te wie ein blen­den­des Schnee­ge­bir­ge aus­sah. Man sah nichts als den gol­dig glän­zen­den Fluss zwi­schen die­sen bei­den wei­ßen Berg­ket­ten und dar­über die vol­le große Schei­be des Mon­des, wel­che den bläu­li­chen milch­far­be­nen Him­mel er­hell­te.

      Alle Was­ser­tie­re wa­ren er­wacht; die Frösche quak­ten wie ra­send, wäh­rend ich von Zeit zu Zeit, bald rechts bald links, den ei­gen­tüm­lich kur­z­en, trau­ri­gen und ein­för­mi­gen Ton ver­nahm, den die be­leg­te Stim­me der Unke von sich gibt. Selt­sa­mer­wei­se hat­te ich kei­ne Furcht mehr; ich glaub­te mich in ei­ner so merk­wür­di­gen Ge­gend zu be­fin­den, dass die aus­ser­ge­wöhn­lichs­ten Ein­zel­hei­ten mich nicht mehr in Er­stau­nen set­zen konn­ten.

      Wie lan­ge das noch ge­dau­ert hat, weiß ich nicht; denn schliess­lich war ich doch ein­ge­schla­fen. Als ich die Au­gen wie­der öff­ne­te, war der Mond un­ter­ge­gan­gen, der Him­mel mit Wol­ken be­deckt. Das Was­ser plät­scher­te ge­wal­tig, es blies ein schar­fer Wind und ich ver­spür­te in der tie­fen Dun­kel­heit eine emp­find­li­che Käl­te.

      Ich trank den Rest aus der Rum­fla­sche, dann lausch­te ich auf das Säu­seln des Schil­fes und das ge­wal­ti­ge Rau­schen des Was­sers. Ich ver­such­te et­was zu se­hen, aber ich konn­te we­der mei­nen Kahn, noch auch so­gar mei­ne Hän­de un­ter­schei­den, die ich vor die Au­gen hielt.

      All­mäh­lich nahm in­des­sen die dich­te Fins­ter­nis ab. Ich glaub­te plötz­lich zu be­mer­ken, dass ein Schat­ten nahe bei mir vor­beig­litt; und in der Tat ant­wor­te­te eine mensch­li­che Stim­me auf mei­nen Ruf. Es war ein Fi­scher, der auf mei­ne Bit­te her­an­kam und mit Stau­nen mein Miss­ge­schick er­fuhr. Er leg­te mit sei­nem leich­ten Boot an mei­nem Kahn an, und nun zo­gen wir bei­de mit ver­ein­ten Kräf­ten an der An­ker­ket­te; der An­ker rühr­te sich nicht. Der Tag brach an, trü­be, grau und reg­ne­risch, ei­ner je­ner Tage, die aus­se­hen, als bräch­ten sie Trau­er und Un­glück. Ich be­merk­te ein zwei­tes Fi­scher­boot, das ich an­rief. Der In­sas­se des­sel­ben stieg zu uns her­über und ver­ei­nig­te sei­ne An­stren­gun­gen mit den uns­ri­gen; lang­sam gab jetzt end­lich der An­ker nach. Er ging in die Höhe, aber lang­sam, so lang­sam, dass man sah, er tra­ge ein schwe­res Ge­wicht. End­lich be­merk­ten wir dicht un­ter dem Was­ser­spie­gel eine schwar­ze Mas­se und zo­gen sie mit ei­nem Ruck in mein Boot: Es war der Leich­nam ei­ner al­ten Frau, an de­ren Hal­se ein großer schwe­rer Stein be­fes­tigt war.«

      *

      »Mei­ner Treu«, sag­te der Co­lo­nel La­por­te, »ich bin alt, habe das Reis­sen, mei­ne Bei­ne sind steif wie zwei Tür­pfos­ten, aber wenn eine Frau, eine hüb­sche Frau na­tür­lich, mir be­föh­le, durch ein Na­delöhr zu schlüp­fen, ich wür­de sprin­gen, glau­be ich, wie ein Clown im Cir­kus. So wird es bis zu mei­nem Tode sein, das liegt mir ’mal im Blu­te. Ich bin ein al­ter Wei­ber­freund, aber noch ei­ner aus der al­ten Schu­le. Der An­blick ei­ner Frau, ei­ner hüb­schen na­tür­lich, geht mir bis in die Fuss­s­pit­zen. Das ist ’mal so. Üb­ri­gens, mei­ne Her­ren, sind wir hier in Frank­reich uns alle dar­in et­was ähn­lich. Wir sind alle Rit­ter; die Rit­ter der Lie­be und des Glücks, da man den Herr­gott, des­sen ei­gent­li­che Leib­gar­de wir wa­ren, ab­ge­setzt hat.

      Aber die Frau! ja se­hen Sie, die Frau kann man uns nicht aus dem Her­zen reis­sen. Sie wohnt dar­in und da bleibt sie auch. Wir lie­ben sie, wer­den sie wei­ter lie­ben und jede Dumm­heit für sie be­ge­hen, so lan­ge es noch ein Frank­reich auf der Kar­te Eu­ro­pas gibt. Und wenn man auch Frank­reich ver­nich­tet, so wird es doch im­mer noch Fran­zö­sin­nen ge­ben.

      Wenn ich vor ei­ner Frau, ei­ner hüb­schen na­tür­lich, ste­he, dann bin ich zu al­lem fä­hig. Der Tau­send auch! Wenn ich füh­le, wie ihr Blick mich durch­dringt, die­ser Sap­per­ments-Blick, der ei­nem Feu­er in die Adern giesst, dann kann ich mir nicht mehr hel­fen, dann muss ich ir­gen­det­was tun, mich mit Je­man­dem schla­gen, Streit an­fan­gen, Ti­sche und Stüh­le zer­bre­chen, kurz, ich muss zei­gen, dass ich der Stärks­te, Tap­fers­te, Kühns­te und Hin­ge­bends­te von Al­len bin.

      Aber ich bin es doch nicht al­lein, wahr­haf­tig nicht, die gan­ze fran­zö­si­sche Ar­mee denkt wie ich, dar­auf schwö­re ich. Es geht uns Al­len so, so­lan­ge wir le­ben, vom jüngs­ten Lieu­ten­ant bis zum Ge­ne­ral, wenn es sich um eine Frau, eine hüb­sche na­tür­lich,

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