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war da­mals noch Ka­pi­tän, ein­fa­cher Ka­pi­tän, und führ­te ein De­ta­che­ment auf dem Rück­zu­ge vor den Preus­sen, die das gan­ze Land über­schwemmt hat­ten. Wir wa­ren ein­ge­schlos­sen, de­ci­miert, ab­stra­pa­ziert und stumpf ge­wor­den; da­bei star­ben wir vor Hun­ger und Mü­dig­keit.

      Auf je­den Fall muss­ten wir vor An­bruch des an­de­ren Ta­ges Bar-sur-Tain ge­win­nen, wenn wir nicht voll­stän­dig ab­ge­schnit­ten und auf­ge­rie­ben wer­den woll­ten. Wie wir noch da­hin ge­lan­gen soll­ten, wuss­te ich wahr­haf­tig nicht mehr. Wir hat­ten we­nigs­tens noch zwölf Mei­len in der Nacht zu mar­schie­ren, zwölf Mei­len durch den Schnee und un­ter dem hef­tigs­ten Schnee­fall und stür­men­dem Win­de. »Es geht zu Ende«; dach­te ich bei mir, »die ar­men Teu­fel wer­den nie­mals hin­kom­men.«

      Seit dem gest­ri­gen Tage hat­ten wir nichts mehr ge­ges­sen. Den gan­zen Tag blie­ben wir in ei­ner Scheu­ne ver­steckt, dicht an­ein­an­der­ge­drängt, um die Käl­te we­ni­ger zu ver­spü­ren, sprach­los und un­fä­hig, uns zu be­we­gen, schläf­rig vor Hun­ger und Er­mat­tung, wie man schläft, wenn einen die An­stren­gung über­wäl­tigt.

      Ge­gen 5 Uhr wur­de es Nacht, eine blei­che Schne­e­nacht. Ich weck­te mei­ne Leu­te. Vie­le woll­ten, un­fä­hig sich zu be­we­gen oder sich auf den Bei­nen zu hal­ten, vor Käl­te und Er­mat­tung stumpf ge­wor­den, nicht mehr auf­ste­hen. Vor uns lag die Ebe­ne wie ein großes Lei­chen­tuch, auf dem der Schnee nie­der­fiel. Das schnei­te und schnei­te wie ein Vor­hang, die­se wei­ßen Flo­cken, die al­les in einen ei­si­gen Man­tel hüll­ten, des­sen Berüh­rung das Blut in den Adern ge­frie­ren ließ und al­les Le­ben er­star­ren mach­te. Das Ende der Welt schi­en da zu sein.

      »Vor­wärts Marsch! mei­ne Kin­der!«

      Sie sa­hen sich das al­les an, die wei­ße Mas­se, die vom Him­mel fiel, als wenn sie sa­gen woll­ten: »Es ist ge­nug; lie­ber gleich hier ster­ben.« Ich zog mei­nen Re­vol­ver:

      »Den ers­ten, der zu­rück­bleibt, schies­se ich nie­der.«

      Und nun setz­ten sie sich lang­sam in Marsch, wie Leu­te, de­nen die Glie­der nicht mehr ge­hor­chen.

      Ich schick­te vier Mann zur Auf­klä­rung un­ge­fähr drei­hun­dert Me­ter vor­aus; dann folg­te der Rest in ei­nem re­gel­lo­sen Hau­fen, je nach­dem die Mü­dig­keit ihre Schrit­te ver­kürz­te. Ich nahm die Zu­ver­läs­si­ge­ren an die Queue, mit dem Be­fehl, die Zö­gern­den durch Ba­jo­nett-Stös­se … in den Rücken … vor­wärts zu trei­ben.

      Es war als ob wir alle le­ben­dig im Schnee be­gra­ben wer­den soll­ten; er schmolz nicht, son­dern blieb auf Käp­pis und Män­teln haf­ten, so­dass wir einen ge­spens­ti­gen Ein­druck mach­ten und wie die Geis­ter ge­fal­le­ner Sol­da­ten aus­sa­hen.

      »Nie­mals«, sag­te ich mir, »kom­men wir hier durch; es müss­te denn ein Wun­der ge­sche­hen.«

      Öf­ters muss­te ich hal­ten las­sen, um den ganz Er­schöpf­ten ei­ni­ge Mi­nu­ten der Ruhe zu ge­wäh­ren. Dann hör­te man nichts, als dies un­be­stimm­te Geräusch des fal­len­den Schnees, und man glaub­te deut­lich wahr­zu­neh­men, wie die ein­zel­nen Flo­cken mit der den Bo­den schon be­de­cken­den Mas­se zu­sam­men­fro­ren.

      Ei­ni­ge Leu­te such­ten den Schnee ab­zu­schüt­teln; die Meis­ten aber rühr­ten sich nicht.

      Dann be­fahl ich den Wei­ter­marsch. Die Ge­weh­re wur­den ge­schul­tert und mit schlaf­fer Hal­tung schlepp­ten mei­ne Bra­ven sich wei­ter.

      Plötz­lich duck­ten mei­ne Eclai­reurs sich nie­der; ir­gen­det­was schi­en sie zu be­un­ru­hi­gen. Sie mel­de­ten zu­rück, dass vor ih­nen Stim­men laut wür­den, und ich sand­te einen Ser­geant mit sechs Mann zur Un­ter­stüt­zung.

      Nach­dem ich eine Zeit lang ge­war­tet hat­te, tön­te der schar­fe Schrei ei­ner weib­li­chen Stim­me durch die stil­le Nacht und ei­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter wur­den zwei Ge­fan­ge­ne, ein al­ter Mann und ein jun­ges Mäd­chen, ein­ge­bracht.

      Ich frag­te sie mit lei­ser Stim­me aus. Sie wa­ren den Preus­sen ent­flo­hen, die am Abend vor­her ihr Heim be­setzt hat­ten und dort schlimm haus­ten. Der Va­ter hat­te für sei­ne Toch­ter ge­fürch­tet und war, ohne selbst sei­nen Leu­ten et­was zu sa­gen, heim­lich in der Nacht ent­wi­chen.

      Ich er­kann­te so­fort, dass es Bür­gers­leu­te, viel­leicht so­gar noch et­was Bes­se­res, wa­ren.

      »Sie wer­den uns be­glei­ten«, sag­te ich.

      Der Marsch ging wei­ter; der alte Mann, der die Ge­gend kann­te, mach­te jetzt den Füh­rer.

      Der Schnee­fall hör­te auf, die Ster­ne glänz­ten am Him­mel und der Frost wur­de jetzt fürch­ter­lich.

      Die jun­ge Dame mar­schier­te am Arme ih­res Va­ters mit mü­dem hin­fäl­li­gen Schritt. »Ich füh­le mei­ne Füs­se nicht mehr«, sag­te sie öf­ters. Ich selbst litt noch mehr, wenn ich sah, wie das zar­te jun­ge We­sen sich so schreck­lich durch den tie­fen Schnee quä­len muss­te.

      Plötz­lich stand sie still.

      »Ich bin so matt, Va­ter, dass ich nicht mehr wei­ter­ge­hen kann«, sag­te sie.

      Der Va­ter woll­te sie tra­gen, aber er konn­te sie nicht ein­mal auf­he­ben, und mit ei­nem tie­fen Seuf­zer setz­te sie sich im Schnee nie­der.

      Al­les stand um die bei­den her­um. Ich stampf­te vor Un­ge­duld mit den Füs­sen, denn ich wuss­te nicht was ich ma­chen soll­te; un­mög­lich konn­te ich die Un­glück­li­chen hier im Schnee ih­rem Schick­sal über­las­sen.

      Plötz­lich rief ei­ner mei­ner Sol­da­ten, ein Pa­ri­ser, der den Spitz­na­men »Pfif­fi­kus« hat­te:

      »Vor­wärts, Ka­me­ra­den, wir müs­sen das Fräu­lein tra­gen, oder wir sind, beim Teu­fel! kei­ne Fran­zo­sen.«

      Ich wein­te bei­na­he, mei­ner Treu! vor Rüh­rung bei die­sen Wor­ten.

      »Alle Wet­ter! das ist brav, mei­ne Kin­der; ich wer­de selbst mit tra­gen hel­fen.«

      »Im Däm­mer­licht konn­te man links von uns die Bäu­me ei­nes klei­nen Ge­höl­zes er­ken­nen. Ei­ni­ge mei­ner Leu­te spran­gen hin und ka­men bald mit ei­ner Trag­bah­re aus Äs­ten und Zwei­gen zu­rück.

      ›Wer leiht sei­nen Man­tel her?‹ rief P­fif­fi­kus. ›Brü­der, es gilt für eine jun­ge Dame.‹

      Im Nu la­gen zehn Män­tel zu Füs­sen des Spre­chers. So­fort wur­de die jun­ge Dame in die­sen war­men Klei­dungs­stücken ge­bet­tet und von sechs Schul­tern ge­tra­gen. Ich selbst ging rechts an der Spit­ze und freu­te mich, mei­ner Seel’! der süs­sen Last.

      Jetzt ging es viel mun­te­rer und leb­haf­ter wei­ter, als hät­ten wir einen Schluck Wein ge­nos­sen; man hör­te so­gar ein­zel­ne Scherz­wor­te. Se­hen Sie, eine Frau ge­nügt, um einen Fran­zo­sen zu elek­tri­sie­ren.

      So­gar die Marsch­ko­lon­ne wur­de wie­der ran­giert; es war als ob mei­ne Leu­te er­wärmt und neu­be­lebt wä­ren. Ein al­ter Franc­ti­reur, wel­cher der Bah­re folg­te, um den ers­ten, der er­mat­ten wür­de, zu er­set­zen, sag­te laut ge­nug, dass ich es hö­ren konn­te, zu sei­nem Ne­ben­mann:

      ›Ich

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