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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн.Название Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962817695
Автор произведения Guy de Maupassant
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Auf jeden Fall mussten wir vor Anbruch des anderen Tages Bar-sur-Tain gewinnen, wenn wir nicht vollständig abgeschnitten und aufgerieben werden wollten. Wie wir noch dahin gelangen sollten, wusste ich wahrhaftig nicht mehr. Wir hatten wenigstens noch zwölf Meilen in der Nacht zu marschieren, zwölf Meilen durch den Schnee und unter dem heftigsten Schneefall und stürmendem Winde. »Es geht zu Ende«; dachte ich bei mir, »die armen Teufel werden niemals hinkommen.«
Seit dem gestrigen Tage hatten wir nichts mehr gegessen. Den ganzen Tag blieben wir in einer Scheune versteckt, dicht aneinandergedrängt, um die Kälte weniger zu verspüren, sprachlos und unfähig, uns zu bewegen, schläfrig vor Hunger und Ermattung, wie man schläft, wenn einen die Anstrengung überwältigt.
Gegen 5 Uhr wurde es Nacht, eine bleiche Schneenacht. Ich weckte meine Leute. Viele wollten, unfähig sich zu bewegen oder sich auf den Beinen zu halten, vor Kälte und Ermattung stumpf geworden, nicht mehr aufstehen. Vor uns lag die Ebene wie ein großes Leichentuch, auf dem der Schnee niederfiel. Das schneite und schneite wie ein Vorhang, diese weißen Flocken, die alles in einen eisigen Mantel hüllten, dessen Berührung das Blut in den Adern gefrieren ließ und alles Leben erstarren machte. Das Ende der Welt schien da zu sein.
»Vorwärts Marsch! meine Kinder!«
Sie sahen sich das alles an, die weiße Masse, die vom Himmel fiel, als wenn sie sagen wollten: »Es ist genug; lieber gleich hier sterben.« Ich zog meinen Revolver:
»Den ersten, der zurückbleibt, schiesse ich nieder.«
Und nun setzten sie sich langsam in Marsch, wie Leute, denen die Glieder nicht mehr gehorchen.
Ich schickte vier Mann zur Aufklärung ungefähr dreihundert Meter voraus; dann folgte der Rest in einem regellosen Haufen, je nachdem die Müdigkeit ihre Schritte verkürzte. Ich nahm die Zuverlässigeren an die Queue, mit dem Befehl, die Zögernden durch Bajonett-Stösse … in den Rücken … vorwärts zu treiben.
Es war als ob wir alle lebendig im Schnee begraben werden sollten; er schmolz nicht, sondern blieb auf Käppis und Mänteln haften, sodass wir einen gespenstigen Eindruck machten und wie die Geister gefallener Soldaten aussahen.
»Niemals«, sagte ich mir, »kommen wir hier durch; es müsste denn ein Wunder geschehen.«
Öfters musste ich halten lassen, um den ganz Erschöpften einige Minuten der Ruhe zu gewähren. Dann hörte man nichts, als dies unbestimmte Geräusch des fallenden Schnees, und man glaubte deutlich wahrzunehmen, wie die einzelnen Flocken mit der den Boden schon bedeckenden Masse zusammenfroren.
Einige Leute suchten den Schnee abzuschütteln; die Meisten aber rührten sich nicht.
Dann befahl ich den Weitermarsch. Die Gewehre wurden geschultert und mit schlaffer Haltung schleppten meine Braven sich weiter.
Plötzlich duckten meine Eclaireurs sich nieder; irgendetwas schien sie zu beunruhigen. Sie meldeten zurück, dass vor ihnen Stimmen laut würden, und ich sandte einen Sergeant mit sechs Mann zur Unterstützung.
Nachdem ich eine Zeit lang gewartet hatte, tönte der scharfe Schrei einer weiblichen Stimme durch die stille Nacht und einige Minuten später wurden zwei Gefangene, ein alter Mann und ein junges Mädchen, eingebracht.
Ich fragte sie mit leiser Stimme aus. Sie waren den Preussen entflohen, die am Abend vorher ihr Heim besetzt hatten und dort schlimm hausten. Der Vater hatte für seine Tochter gefürchtet und war, ohne selbst seinen Leuten etwas zu sagen, heimlich in der Nacht entwichen.
Ich erkannte sofort, dass es Bürgersleute, vielleicht sogar noch etwas Besseres, waren.
»Sie werden uns begleiten«, sagte ich.
Der Marsch ging weiter; der alte Mann, der die Gegend kannte, machte jetzt den Führer.
Der Schneefall hörte auf, die Sterne glänzten am Himmel und der Frost wurde jetzt fürchterlich.
Die junge Dame marschierte am Arme ihres Vaters mit müdem hinfälligen Schritt. »Ich fühle meine Füsse nicht mehr«, sagte sie öfters. Ich selbst litt noch mehr, wenn ich sah, wie das zarte junge Wesen sich so schrecklich durch den tiefen Schnee quälen musste.
Plötzlich stand sie still.
»Ich bin so matt, Vater, dass ich nicht mehr weitergehen kann«, sagte sie.
Der Vater wollte sie tragen, aber er konnte sie nicht einmal aufheben, und mit einem tiefen Seufzer setzte sie sich im Schnee nieder.
Alles stand um die beiden herum. Ich stampfte vor Ungeduld mit den Füssen, denn ich wusste nicht was ich machen sollte; unmöglich konnte ich die Unglücklichen hier im Schnee ihrem Schicksal überlassen.
Plötzlich rief einer meiner Soldaten, ein Pariser, der den Spitznamen »Pfiffikus« hatte:
»Vorwärts, Kameraden, wir müssen das Fräulein tragen, oder wir sind, beim Teufel! keine Franzosen.«
Ich weinte beinahe, meiner Treu! vor Rührung bei diesen Worten.
»Alle Wetter! das ist brav, meine Kinder; ich werde selbst mit tragen helfen.«
»Im Dämmerlicht konnte man links von uns die Bäume eines kleinen Gehölzes erkennen. Einige meiner Leute sprangen hin und kamen bald mit einer Tragbahre aus Ästen und Zweigen zurück.
›Wer leiht seinen Mantel her?‹ rief Pfiffikus. ›Brüder, es gilt für eine junge Dame.‹
Im Nu lagen zehn Mäntel zu Füssen des Sprechers. Sofort wurde die junge Dame in diesen warmen Kleidungsstücken gebettet und von sechs Schultern getragen. Ich selbst ging rechts an der Spitze und freute mich, meiner Seel’! der süssen Last.
Jetzt ging es viel munterer und lebhafter weiter, als hätten wir einen Schluck Wein genossen; man hörte sogar einzelne Scherzworte. Sehen Sie, eine Frau genügt, um einen Franzosen zu elektrisieren.
Sogar die Marschkolonne wurde wieder rangiert; es war als ob meine Leute erwärmt und neubelebt wären. Ein alter Franctireur, welcher der Bahre folgte, um den ersten, der ermatten würde, zu ersetzen, sagte laut genug, dass ich es hören konnte, zu seinem Nebenmann:
›Ich