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nein – heute kann ich das Spiel nicht wegen Regens abpfeifen.

      Ich durchschreite die Eingangstür von Miller Glassware und konzen­triere mich auf das Klappern meiner Absätze auf dem Marmorboden: Ich-schaff-das. Ich-schaff-das.

      Mike und Attila ist es schnuppe, dass sie mich hier im Regen stehen lassen. Sie wollen nur Peter Miller zufriedenstellen und der einzige Knochen, den sie ihm hinwerfen konnten, bin ich.

      Ich krieg das hier hin. Ich muss es hinkriegen. Schließlich habe ich zehn Jahre Erfahrung.

      Peter Miller begrüßt mich im Flur vor seinem Büro. Er hat graue Knopf­augen, ist kahlköpfig und klein, hat aber die Ausstrahlung eines Riesen. „Wie kommen wir zu der Ehre, Sie persönlich in unserem bescheidenen Haus begrüßen zu dürfen?“

      „Das möchten Sie gar nicht wissen.“

      Verwirrt sieht Peter mich an und überlegt wahrscheinlich, ob er es vielleicht doch wissen möchte. Vor ein paar Wochen, als ich noch im Management war, hatten wir vor und zurück diskutiert, ob es nötig sei, jemanden vor Ort zu schicken.

      Zum Glück für mich geht es ihm strikt ums Geschäftliche und ohne ein weiteres Wort überlässt er mich seinen IT-Leuten. Er fragt nicht mal, ob ich einen Kaffee möchte – nein, möchte ich nicht, aber es wäre eine nette Geste gewesen.

      Ich begrüße Al und Leroy und denke an Mrs Woodwards Streusel­kuchen in meiner Tasche. Der wird mich durch den Tag bringen. Ich krame einen Dollar aus dem Portemonnaie und frage: „Wo finde ich ­Getränke?“

      „Einfach den Flur entlang, erste Tür links“, verrät Al.

      Ich folge der Anweisung und bin ein paar Minuten später wieder zurück, bewaffnet und zu allem bereit. Essen und Trinken. Was könnte eine Frau, die gerade am Ertrinken ist, noch mehr erwarten?

      Bis zum Abend habe ich das Upgrade für WebWorks One ausgeführt und eine Testversion unseres neuen Produktes, W-Book, installiert.

      Gegen sieben machen wir Feierabend. Ich bin ausgelaugt von der Anstrengung, mich im technischen Dschungel von Miller Glassware zu orientieren, und aus irgendeinem seltsamen Grund beschäftigt mich die Frage, ob dreiunddreißig tatsächlich die magische Grenze zum Altjungferndasein ist, hinter der kein Weg zurückführt.

      Die Woche bei Miller Glassware ist übervoll von Netzwerkproblemen, Websiterisiken und heillosem technischen Durcheinander.

      Ich hänge so lange am Telefon und lasse mich vom Casper-Team beraten, dass Peter Miller mir, als ich am Freitag meine Sachen zusammen­packe, ein goldfarbenes Minitelefon schenkt.

      „Vielen Dank für Ihre harte Arbeit und Ihre Unterstützung.“ Er reicht mir das Andenken mit einem verschmitzten Lächeln und einem Blitzen in den Augen. Weise, der Junge.

      „Für Sie immer nur das Beste, Peter.“ Mit leiser Befriedigung stopfe ich die Trophäe in meine Computertasche. Die Woche war hart und ich wette, dass Mike und Attila geglaubt haben, ich würde es nicht schaffen. Aber ich hab’s geschafft. Und frage mich, welche Pläne für meine weitere sogenannte Karriere sie wohl tatsächlich haben.

      (Memo Nummer zwei: Mehr mit Gott über meine berufliche Perspektive reden.)

      Ich habe die Woche zwar überlebt und gegen Ende sogar ein wenig Spaß an der Sache gefunden, aber nein: Das ist nicht das Leben, das ich mir vorstelle. Reisedienst ist widerwärtig.

      Aber was kann ich machen? Mich zur Wehr setzen? Es einfach aussitzen und mich inzwischen weiter nach der Decke strecken? Mein technisches Können wieder aktivieren und vertiefen und mich zu einem unabkömmlichen Guru entwickeln? (Schauder!) Vielleicht ist die Zeit reif, meinen Lebenslauf auf Monster.com zu posten? Mein Spielzeug zusammen­zusammeln und mir einen anderen Sandkasten zu suchen? Mir fällt Phillis Danners Karte ein, die immer noch in meiner Computertasche steckt.

      Der Kopf tut mir weh. Zu viel gegrübelt. Als ich endlich vom Parkplatz bei Miller Glassware rolle, malt die Dämmerung goldene Streifen über den Winterhimmel. Plötzlich sehne ich mich nach Hause, nach Beauty.

      Meine Heimatstadt liegt nur eine Stunde nördlich von Atlanta. Warum habe ich daran nicht eher gedacht? Ein Überraschungsbesuch. Mom und Dad würden begeistert sein. Und in diesem Moment wäre ich es auch.

      Anstatt zum Flughafen lenke ich mein Auto nach Hause.

      (Memo Nummer drei: Rückflug umbuchen.)

      Als ich die ersten Ausläufer von Beauty erreiche, wähle ich Dads Handy­nummer.

      „Earl Moore.“

      Ich liebe den Klang seiner Stimme. „Dad, hier ist Becca.“

      „Becca-Kind! Was verschafft mir das Vergnügen?“

      „Wir treffen uns in zehn Minuten bei Freda’s.“

      „Freda’s?“

      „Ja. Du weißt schon, an der Ecke von Jasmine und Laurel Avenue.“

      „Ja, kenne ich.“

      „Reichen zehn Minuten? Ich bin grade an der Ausfahrt nach Beauty.“

      „Ich rufe deine Mutter an.“

      Wir treffen uns auf dem Parkplatz und fallen uns in die Arme.

      „Schön, dich zu sehen, meine Kleine.“ Moms blaue Augen blitzen, wenn sie lächelt.

      „Das Beste, was uns in diesem Jahr bisher passiert ist.“ Dad kann mir so wunderbar das Gefühl geben, dass ich geborgen bin, dass das Leben ein großes Spiel ist und ich eine Oscar-Gewinnerin.

      Wir setzen uns an einen Tisch am Fenster und Sarah Beth nimmt die Bestellung auf. Draußen geht der gemächliche Alltag von Beauty weiter, während Mom den Tisch mit einem Feuchttuch abwischt. Sara Beth bringt die sprudelnden Wassergläser. Mom schiebt sie in die rechte obere Tischecke, bis sie unseren Essbereich desinfiziert hat.

      Ich kichere und muss daran denken, wie Lucy letzte Woche ins Restaurant gestürmt ist, um mich vor meinem Fast-Food-Festival zu retten. Sie hat den Tisch genauso abgewischt. Ich hatte schon immer den Verdacht, dass wir bei der Geburt vertauscht worden sind – obwohl wir drei Monate auseinander sind.

      Wir reden dies und das, bis Beth das Essen bringt. Burger und Pommes für mich.

      „So, dann mal ran“, sagt Dad und streckt die Hände aus. „Beten wir.“

      Ich schließe die Augen und lausche Earl Moore, der seinem Gott dankt – für seine Frau, für seine Tochter und für das Essen.

      Dann sehe ich zu, wie er und Mom reden und das Essen teilen. Mom gibt Dad alle Oliven aus ihrem Salat, er schiebt alle roten Zwiebeln zu ihr rüber.

      Earl und Kitty Moore, Hippies – sie haben sich bei Woodstock kennengelernt –, später Jesus Freaks, dann verbürgerlichte Kapitalisten aus dem Süden. Als sie Jesus begegnet sind, haben sie geheiratet und sind nach Beauty gezogen, Dads Heimatstadt.

      Mit Moms Erbe aus ihrer blaublütigen Verwandtschaft haben sie ein Geschäft aufgemacht, Moore Gourmet-Saucen, wo es Moms besondere Grillsaucen und Marinaden gibt.

      Schon nach einem Jahr waren Moore-Saucen ein Renner in den örtlichen Restaurants und Lebensmittelläden. Dad erweiterte auf Versandhandel und bot außerdem ein Rezeptbuch an. Ein paar Jahre später startete er, mit meiner kundigen Beratung, den E-Business-Zweig von Moore Gourmet-Saucen und verhalf Moms Spezialitäten zu astronomischen Verkaufszahlen.

      Ich frage nicht oft, wie sie finanziell dastehen. Als ich noch zu Hause wohnte, ging es uns immer gut. Mein Bruder und ich bekamen neue Klamotten, wenn wir welche brauchten, Zahnspangen und ein ordentliches Taschengeld. Aber letztes Jahr war die Sippe im Urlaub in England und in Griechenland. Also dürfte die Gourmetsaucenbranche ihnen gut bekommen.

      Ich klinke mich wieder in ihre Unterhaltung ein, die Mom gerade bestreitet. Oh, sie betet, dass Gott alle Kalorien aus dem Salat und dem Hähnchenbrustsandwich

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