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ihn, doch er hasste Vorverurteilungen. Trotzdem: Vorsicht war besser als Nachsicht … Munuel dachte einen Moment nach, dann entschloss er sich dazu, nicht in sein eigenes Haus zu gehen. Stattdessen lenkte er seine Schritte aus dem Dorf hinaus, in Richtung Islins Mullohhof.

      ooOoo

      4 Kampf um Angadoor

      Munuel hatte selbst kein Pferd, aber er vermutete, dass sein Oheim die Pferde seiner Entourage bei Islin untergebracht hatte. Sie machte weitaus bessere Preise als der Tavernenwirt, der sich nur um Limloras Marco kümmern durfte. Es war nicht weit, und er traf sie wie erwartet im Haus an.

      »Islin, sag, hat mein Oheim seine Pferde hier bei dir untergestellt?«

      Islin nickte.

      »Ja, hat er, sie stehen draußen auf der Koppel. Warum fragst du?«

      »Ich hätte Lust auf einen kleinen Ritt. Soweit ich weiß, hat er ja ein paar zusätzliche Pferde dabei.«

      Islin wischte sich mit einem Arm über die Stirn.

      »Was? Jetzt? Du hast doch was vor.«

      »Ich will mich nur ein wenig umsehen.«

      »Kann ich mitkommen?«

      »Uh … ich werde ziemlich schnell reiten und ich weiß auch nicht, wann ich zurückkomme.«

      Als er ihr enttäuschtes Gesicht sah, beeilte er sich, hinzuzufügen: »Aber vier Augen sehen mehr als zwei, also komm ruhig mit!«

      Nun strahlte sie wieder. »Ich sattle mein Pferd«, rief Islin und lief davon.

      Munuel nickte. »Und pack vielleicht auch ein paar Stullen ein!«, rief er ihr hinterher.

      Kurze Zeit später saß er auf einem kräftigen Braunen, während Islin sich einen feurigen Rappen ausgesucht hatte. Im gemächlichen Schritt zockelten sie über den Feldweg, der um das Dorf herumführte.

      »Du hast doch was Bestimmtes vor, hab ich recht?«, fragte Islin, nachdem sie das Dorf hinter sich gelassen hatten. Munuel blickte unablässig auf den Boden, als suchte er etwas.

      »Die Gaukler gefallen mir nicht. Irgendwas ist faul an denen. Hast du bemerkt, dass sie viel zu kräftig wirken für Schausteller?«

      »Nun, es sind auch immer Akrobaten dabei, und die sind natürlich durchtrainiert. Aber sie sind unglaublich schlecht. Hast du gesehen, wie der Kerl, der dauernd das Rad geschlagen hat, dabei fast immer auf die Nase gefallen ist?«

      »Ja, das ist mir aufgefallen. Ich hielt es zuerst für eine Clownsdarbietung, aber das ist es nicht.«

      »Und warum reiten wir dann weg, aus dem Dorf raus?«

      Munuel hob seinen Kopf und sah sie an. »Ich will eine Weile in ihren Spuren zurückreiten. Ich möchte wissen, wo sie hergekommen sind.«

      »Hm, ich denke, sie kommen von Mornweiler. Das sind drei Tagesritte von hier. Mit den Planwagen haben sie sicher länger gebraucht. Willst du so weit reiten?«

      »Nein, wir werden rechtzeitig zum Abend zurück sein. Hast du genug zum Futtern eingepackt?«, fragte er grinsend.

      Islin lachte und klopfte auf ihre rechte Satteltasche. »Genug«, sagte sie. »Du Vielfraß. Bald brauchst du ein neues Wams.«

      Munuel verzog das Gesicht und Islin lachte erneut. Er mochte es, sie lachen zu sehen. Er musste an Gelmards Worte denken und verfiel eine Weile in grübelndes Schweigen.

      Das große Angadoorer Sonnenfenster schickte wärmende Strahlen auf die beiden Ausflügler. Die Stützpfeiler standen nun sehr dicht, wie überall im Hochland, doch ihre Schatten waren noch kurz. Wenn Munuel nach Westen schaute, konnte er die Lemsoorer Halt erblicken. Eine Felsbarriere, die undurchdringlich war und deren genaue Ausmaße nie vermessen worden waren. Sie zog sich an die vierzig Meilen bis zum Nasmar-See. Bis dorthin würden sie reiten und anschließend umkehren.

      Bisher waren es normale Spuren, die die Gaukler hinterlassen hatten. Ihre Mullohs waren tief im weichen Boden eingesunken, und es gab kein Anzeichen dafür, dass jemand mit Magie nachgeholfen hatte, den Lehm härter zu machen, um den Mullohs das Vorankommen zu erleichtern. Auch die Wagenspuren waren gleichmäßig und kein Anzeichen ließ auf eine längere Rast schließen.

      So verging der Mittag, und auch der frühe Nachmittag, bis Munuel der Ansicht war, dass er Hunger hatte. Zu ihrem großen Glück bemerkten sie nicht weit vom Weg einen stattlichen Baumpilz, unter dessen ausladendem Dach ein kleines Lager möglich war. Sie stiegen ab und hobbelten die Pferde an.

      Islin holte die Wegzehrung aus ihrer Satteltasche, während Munuel eine Decke aus seiner zog. Dabei schepperte es leise. Ein Schwertgriff kam zum Vorschein.

      »Du hast ein Schwert dabei?«, fragte Islin verwundert. »Wozu?«

      »Man kann nie vorsichtig genug sein.«

      »Kannst du damit umgehen?«

      »Leidlich. Bernuel hat mich ein wenig trainiert.«

      Islin schüttelte den Kopf und breitete die mitgebrachten Köstlichkeiten auf Munuels Decke aus. Eine Weile schmausten sie und tranken dazu gutes Angadoorer Bier. Da sagte Islin plötzlich: »Sag mal, sind diese magischen Fähigkeiten, die du hast, eigentlich erblich?«

      Munuel stutzte. Das war ein alarmierender Gedanke, den Islin da äußerte. Bisher hatte er sich nie Gedanken darüber gemacht, ob seine Liebschaft mit Islin irgendwelche Konsequenzen haben könnte. Doch nun wurde es ihm bewusst. Mit einer leichten Schamröte im Gesicht dachte er daran, dass er in der letzten Nacht eifrig bemüht war, einen kleinen Angadoorianer hervorzubringen. Oder eine kleine Angadoorianerin. Und einmal mehr kamen ihm Gelmards Ermahnungen in den Sinn.

      »Jaaa«, antwortete er gedehnt. »Dafür gibt es zwar keine Garantie, aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch. Abgesehen davon, hat jeder Mensch Zugang zur Magie, die wenigsten aber haben Talent dazu. Warum fragst du?«

      »Weil«, antwortete sie unbekümmert. »Es durchaus sein kann, dass deine Bemühungen mal erfolgreich sein werden.«

      »Meine … Bemühungen?«, fragte er atemlos.

      Islin richtete sich auf und spuckte einen Grashalm aus. »Ich frage mich, was wäre, wenn ich jetzt ein Kind bekäme«.

      Doch als sie sein erschrockenes Gesicht sah, lachte sie auf.

      »Keine Bange. Ich bin nicht schwanger.«

      Seine Erleichterung war allzu deutlich. Ihr Lachen erstarb.

      Nach ihrem Picknick stand das Licht aus den Sonnenfenstern bereits tief, und die Stützpfeiler warfen lange Schatten. Während sie ihre Utensilien verstauten, sagte Munuel.

      »Bisher war ja nichts Ungewöhnliches zu bemerken, aber ein paar Meilen weiter südlich gibt es einen größeren Rastplatz im Brimsenwald. Dort pausieren Karawanen gerne, bis dahin würde ich gern noch reiten und mich umsehen. Danach reiten wir zurück, ist das in Ordnung?«

      »Wie du willst«, antwortete Islin. Sie sah nicht glücklich aus. Munuel plagte das Gewissen. Hatte er allzu beredt auf ihren kleinen »Scherz« reagiert? Dem war wohl so, denn ihre Stimmung war seitdem bedrückt. Munuel nahm sich fest vor, gründlich über seine Verbindung zu ihr nachzudenken. Aber konnten Grübeleien Gefühle ersetzen?

      Eine Stunde später kamen gestaffelte Reihen großer Pfeiler in Sicht, die sich zum Felsenhimmel aufschwangen. Nun hörten sie auch das Gurgeln der Iser, die sich einige Meilen weiter südlich in die Morne ergießen würde. Weit oben zogen kleine Gruppen von Flugdrachen ihre Bahnen, die in großer Höhe um die Pfeiler segelten. Der Weg fiel steil ab und führte in einen lichten Wald, stämmiger Hartulmen, aus denen das beliebte Brimsenholz gewonnen wurde. Und dort, gleich an einer Biegung, die zur Brücke über die Iser führte, lag der Rastplatz.

      Munuel und Islin sahen die Leichen schon von Weitem.

      Sie ließen die Pferde galoppieren, um schneller dort zu sein. Und dann sahen sie das ganze Ausmaß. Es waren mindestens 25 leblose Körper,

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