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rief Munuel ihr zu, als er absprang, um das Gelände abzusuchen. Zunächst sah er sich die Leichname genauer an, in Hoffnung, einen Überlebenden zu finden, doch es gab keinen.

      »Sie wurden massakriert«, konstatierte er. »Ein Gemetzel. Schau dir diese Wunden an: Präzise Einstiche, Pfeilwunden, hier wurde eine Kehle durchschnitten, sauber, regelrecht gekonnt.«

      Er beugte sich zu einem sehr kleinen Körper hinunter, der mit ausgebreiteten Ärmchen in einer Pfütze lag.

      »Ein Kind«, sagte er erschüttert. »Man hat ihm einfach das Köpfchen zertreten. Was für Barbaren waren das?«

      Munuel wurde schwindelig, er musste sich setzen und fand einen Baumstamm, auf dem er sich niederließ. Islin missachtete seine vorherige Mahnung und stieg ab, um sich zu ihm zu gesellen. Sie legte ihm einen Arm um die Schulter.

      »Wer tut so was?«, flüsterte sie?

      »Ich habe sowas schonmal gesehen«, sagte er rau. »Damals, als die Barbaren aus dem Norden Angadoor überfielen und das ganze Dorf niedermetzelten. Darunter meine Eltern.«

      »Ich weiß«, antwortete Islin. »Mein Vater starb ebenfalls bei diesem Überfall.«

      »Lohtsé machte eine Andeutung. Ob ich eigentlich wüsste, wer diese Barbaren wirklich waren, und was sie wollten.«

      »Wer weiß das schon? Damals war Krieg. Marodierende Banden zogen überall durch.«

      »Ich frage mich …«, begann er und schwieg dann. Er stand auf und schritt ruhelos das Lager ab.

      »Schau, Islin, hier sind Wagenspuren. Sie führen aus dem Lager heraus, Richtung … Angadoor.«

      »Oh bei den Kräften!«

      Munuel schritt weiter das Lager ab, bis zum Waldrand.

      »Hier haben die Angreifer gelauert. Überall Fußspuren. Ein kleiner Trupp hat das Lager überfallen, ein viel größerer Trupp ist um das Lager herumgezogen, querfeldein …«

      »Wie viele waren es?«, fragte Islin.

      »Mindestens fünfzig. Eher mehr.«

      »Warum hat sich eine Gruppe abgespaltet?«

      »Nun, ich nehme mal an, dass sie für den Überfall nicht alle brauchten, die Gaukler waren ja sicher arglos und unbewaffnet. Der viel größere Trupp ist abseits der Wege weitergezogen, um nicht entdeckt zu werden.«

      »Schau, da liegt was«, rief Islin aus. Sie war ebenfalls aufgesprungen und holte etwas unter einer der Leichen hervor. Es war eine Leier. Ein typisches Instrument umherziehender Künstler. Sie war zerbrochen.

      »Es sind die eigentlichen Gaukler, wie ich vermutet habe«, stellte Munuel grimmig fest. »Sie wurden überfallen und niedergemacht. Und ihre Wagen und Ausrüstung hat man mitgenommen.«

      »Nach Angadoor«, fügte Islin tonlos hinzu.

      »Wir müssen zurück«, rief Munuel. »So schnell es geht!«

      ooOoo

      Obwohl Islin und Munuel alles aus ihren Pferden herausholten, hatten sie das Gefühl, nur quälend langsam voranzukommen. Munuel schalt sich selbst einen Narren, dass er sich nicht zuerst die Wagen der Truppe genauer angesehen hatte; sicher hatte man Waffen darin versteckt. Oder noch schlimmere Dinge, magische Dinge. Dass er keinerlei Anzeichen von Magie auf dem grausigen Tatort bemerkt hatte, beruhigte ihn nur wenig.

      Auch reute ihn sein kleiner Spaß, als er Gelmard als Dorfmagier ausgab. Er hielt es zu diesem Zeitpunkt einfach für einen lustigen Einfall, ein kleiner Streich, den er seinem Oheim spielen wollte. Doch da wusste er ja noch nicht, was die Bande vorhatte. Sie hatten sicher nicht ohne Grund nach dem Magier gefragt, und planten bestimmt, ihn zuerst auszuschalten. Die Sonnenfenster wurden zunehmend dunkler und dunkler. Schon konnte man die Umrisse des roten Feuerballs erkennen, der langsam aber sicher aus den Fenstern herauswanderte. Bald würde man nur noch Schwärze sehen, oder mit Glück die Sterne.

      Munuel hatte bereits alle magischen Unterstützungstricks angewandt, die er zur Verfügung hatte. Er ließ das Wasser im Schlamm verdampfen, so dass die Pferde nicht länger einsanken, er begradigte blitzartig allzu tiefe Schlaglöcher oder scharfe Grate und schuf sogar eine Windbarriere, welche die Luftströmung vor ihnen teilte, so dass die Pferde nicht gegen den Abendwind ankämpfen mussten. Das alles brachte ein wenig mehr Geschwindigkeit, aber es reichte bei Weitem nicht aus. Gleichzeitig versuchte er verzweifelt, Gelmard eine Nachricht über das Trivocum zukommen zu lassen. Dies war eines der Dinge, die er von Lohtsé gelernt hatte. Nur war Gelmard leider überhaupt nicht gewohnt, das Trivocum als Nachrichtenübermittler zu benutzen. Diese Art von Magie war allgemein verpönt, weil sie zum einen schwer durch Aurikel und Norikel kontrolliert werden konnte, zum anderen war es allen anderen Magiern möglich, »mitzuhören«, wenn sie das Trivocum überwachten. Aber das spielte jetzt keine Rolle. Unablässig pumpte Munuel ein bestimmtes Signal ins Trivocum, eine Nachricht, die Gelmard sofort richtig deuten würde: »Gefahr im Verzug! Barbaren aus dem Norden!«

      Als die Sonnenfenster endgültig schwarz wurden, hatten sie das Dorf fast erreicht. Islin und Munuel galoppierten querfeldein den letzten Hügel hinunter und konnten die gesamte Szene überblicken; einige Gebäude standen bereits in Flammen, gedämpft waren Schreie und Rufe zu hören. Kein Zweifel, der Überfall war in vollem Gange.

      »Ich muss nach meinen Tieren sehen!«, rief Islin verzweifelt. Doch Munuel schüttelte heftig den Kopf.

      »Nein, dort hast du keine Unterstützung! Versteck dich irgendwo am Fluss, dort gibt es in paar kleinere Höhlen!«

      »Das werde ich nicht tun! Wenn, dann gehe ich mit dir, die Menschen im Dorf brauchen unsere Hilfe.«

      »Tu, was ich dir sage!«, rief Munuel.

      »Damit fange ich gar nicht erst an!«, war ihre barsche Replik.

      »Dann verschanze dich wenigstens mit den anderen im Gasthaus. Es hat starke Wände und ist aus Stein gebaut. Es wird nicht brennen.«

      »Aber was mache ich, wenn ich kämpfen muss?«

      Das war eine gute Frage. Munuel hatte sein Kurzschwert und vor allem seine Magie, doch Islin? Sie war an keiner Waffe ausgebildet und hatte noch nie gekämpft.

      »Wir kommen beim Schmied vorbei. Dort schnappst du dir einen Schürhaken. Einfach mit aller Gewalt draufhauen, egal wohin.«

      Islin nickte zur Bestätigung. »Das klingt nicht nach einem guten Plan, aber was Besseres fällt mir auch nicht ein. Und was tust du?«

      »Ich stelle mich der Bande«, erwiderte Munuel grimmig. Dabei zog er sein Schwert aus der Scheide an der Satteltasche.

      Als sie in die Dorfstraße einritten, konnten sie sehen, dass die Schmiede lichterloh brannte. Bernuel wehrte sich mit wuchtigen Hieben seiner gewaltigen Hellebarde gegen einen Angreifer mit Schwert und Schild. Der Angreifer wehrte fast jeden Schlag des hünenhaften Schmieds mühelos mit dem Schild ab und konterte mit schnellen Schwertstößen – die Bernuel nur mühsam parierte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Schmied eine schwere Wunde davontragen würde. Islin sprang von ihrem Pferd und nahm einen glühenden Schürhaken aus der Esse.

      Munuel streckte den Schwertarm aus, duckte sich tief in den Sattel und murmelte eine Intonation. Sofort schoss sein Pferd wie von der Sehne geschnellt nach vorn. Der Angreifer drehte sich um, als er den Lärm der Hufe hörte, doch zu spät. Munuel war in der gleichen Sekunde bei ihm – der Stoß schleuderte den Mann mehrere Meter in die Luft. Der Aufprall war hart, doch der Mann kam sofort wieder auf die Füße. Munuel tänzelte auf dem Pferd um ihn herum und versuchte ihn von oben zu treffen, doch das Schild des Mannes schien undurchdringlich. Munuel war kein Kampfmagier, er hatte wenig schnelle Sprüche parat, für die er nicht erst umständliche Aurikel und Norikel im Trivocum setzen musste. Sein Pferd zu beschleunigen und einige Luftkompressionen war fast alles, was er aufbieten konnte; also versuchte er es damit. Er streckte die linke Hand aus und malte ein Zeichen in die Luft. Sofort schoss ein harter Luftstoß auf den Mann und warf ihn um. Bernuel stürzte sich auf ihn und erwischte ihn mit der Hellebarde in der Seite.

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