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      Auf dem Zeil wimmelte es von Menschen, die diesen schönen Augusttag zu einem Ausflug in die Innenstadt benutzten. Hier in der Fußgängerzone hatten sich auch ein paar junge Leute zusammengefunden, die, umringt von Zuschauern, Musik machten.

      Heidi Rechner war gerade aus einem Warenhaus herausgekommen, warf einen kurzen Blick auf die musizierenden jungen Leute und entdeckte dann Veronika. Ihre langjährige Freundin stand dort drüben und schien etwas in ihrer Handtasche zu suchen. Sie hatte langes, bis zur Schulter reichendes dunkles Haar, trug eine pinkfarbene sportliche Bluse und einen weinroten Faltenrock mit lilafarbenen Karos. Wie immer wirkte Veronika Gstaad sehr attraktiv und sah weit jünger aus, als sie mit ihren sechsunddreißig Jahren war.

      Heidi kannte Veronika fast so lange wie Dieter in Dr. Gstaads Abteilung arbeitete. Die beiden Frauen hatten sich kennengelernt und auf Anhieb sehr gut verstanden. Veronikas Rat war es auch gewesen, der Heidi veranlasst hatte, nicht nur Bühnenkostüme zu entwerfen, sondern auch schicke Mode für Menschen von heute zu schaffen.

      Heidi ging auf Veronika zu, die sie immer noch nicht gesehen hatte, und rief ihren Namen. Veronika sah auf, erkannte Heidi und lachte übers ganze Gesicht. Es war ein schmales, sehr hübsches Gesicht. Veronika Gstaad verkörperte mit allem das, was man eine elegante moderne Dame nennt. Ihre Schönheit war nicht aufgesetzt. Sie kam von innen heraus.

      Sie begrüßten sich, und Veronika fragte: „Was tust du hier in der Stadt? Ich hätte auf dich gewartet, wenn ich gewusst haben würde, dass du ...“

      „Und ich bin bei dir gewesen, und du warst nicht da“, erwiderte Heidi. „Wollen wir einen Bummel machen? Oder setzen wir uns drüben in das Café?“

      „Ich müsste eigentlich noch einige Dinge besorgen. Mein Mann fährt morgen nach Köln. Er hat da eine Besprechung in der Universitätsklinik.“

      „Ach ja, ich weiß. Dieter hat es mir erzählt.“

      „Du machst ein so verdrossenes Gesicht. Ist irgendetwas zwischen euch?“ Heidi zuckte die Schultern. „Nichts, und alles, alles und nichts. Ich würde dich damit langweilen.“

      „Aber Liebes, wie kannst du mich damit langweilen? Wir haben uns doch immer über alles unterhalten. Wenn du etwas auf dem Herzen hast, dann schütte es aus. Nun gehn wir doch in dieses Café. Das, was ich holen will, hat Zeit. Walter kann warten.“

      Heidi wusste, was es mit dieser Ehe zwischen Walter Gstaad und Veronika auf sich hatte. Vor zehn Jahren hatte sie für ihn geschwärmt. Aber jetzt machte sich der Altersunterschied von vierundzwanzig Jahren sehr deutlich bemerkbar. Die beiden hatten sich allerdings arrangiert. Über die Epoche der Streitigkeiten waren sie hinweg. Er tat, was ihm passte, und sie das ihre. Zueinander war man freundlich, höflich, wirklich intime Beziehungen bestanden nicht mehr.

      Das mit dem Café erwies sich als Reinfall. Es war so überfüllt, dass sie keinen Platz fanden. Kurz entschlossen gingen sie weiter auf die Hauptwache zu und betraten das Café Kranzier. Dort fanden sie noch einen kleinen Tisch, bestellten sich etwas, und als der Kellner wieder weg war, erzählte Heidi von ihrem Erlebnis, der Autofahrt von München.

      Veronika hörte gespannt zu, unterbrach Heidi aber mit keinem Wort. Und schließlich sagte Heidi: „Weißt du, es ist wie ein Einschnitt, als wäre ein Strich in meinem Leben gezogen. Die Zeit davor und danach. Ich habe versucht, es aus meinem ganzen Denken zu verbannen. Es gelingt nicht. Ich bin hingegangen und habe es Dieter gestanden. Er selbst hatte mir tags zuvor gesagt, dass er auf einer Fete, wie er es ausdrückt, mit einem Mädchen namens Renate Friedländer geknutscht hätte, harmlos. Bei ihm glaub ich das. Aber ich, ich habe ihn belogen, denn ich tat so, als sei es bei mir nicht anders gewesen, nämlich ebenfalls harmlos. Ein Kuss, mehr nicht. Was ihn dabei gewundert hat, ist die Tatsache, dass es sich bei Hans um einen Fremden handelt. Und er versteht nicht, was ich selbst ja kaum begreife, dass man einen Mann sieht und ihm verfallen ist. Du kannst dir nicht vorstellen, welche Kraft es mich gekostet hat, nicht mit ihm ins Bett zu gehen. Es ist ein unvorstellbarer Gedanke. Ich kann es gar nicht begreifen, was da auf mich eingewirkt hat, als wenn ich unter Hypnose gestanden hätte. Aber ich weiß nicht, ob ich ein zweites Mal die Kraft hätte. Dass es so etwas gibt ...“

      Veronika lächelte wissend. „Natürlich gibt es so etwas. Jede Frau mit etwas Erfahrung kann es dir nachfühlen. Aber es ist natürlich klar, wer das nicht selbst am eigenen Leib erlebt hat. hält es für übertrieben. Es ist furchtbar. Ich weiß, was das heißt. Ich habe es dir noch nicht erzählt, aber mir ist ähnliches schon passiert. Im Grunde bin ich bis heute davon nicht losgekommen.“

      „Kenn ich ihn?“, fragte Heidi.

      Veronika schüttelte den Kopf. „Nein, du kennst ihn nicht. Wir sind immer sehr vorsichtig gewesen und sind es noch. Es ist nicht nur Liebe. Wir sind einfach aneinander gekettet. Und trotzdem können wir nicht zueinander. Ich würde mich gerne scheiden lassen.“

      „Und er ist nicht frei?“

      „Doch, das ist er. Aber er würde mich niemals heiraten, solange sein Vater lebt. Es ist der Sohn meines Mannes aus erster Ehe. Wenn du so willst, mein Stiefsohn. Aber er war schon nicht mehr bei seinem Vater, als wir geheiratet haben. Er ist ledig. Wir lieben uns auch von dem Moment an, da wir uns das erste Mal sahen. Aber er brächte es nie fertig, seinem Vater den Schmerz zuzufügen, mich ihm wegzunehmen. Das ist unser Problem. Mit diesem Problem leben wir aber. Wir sind sogar, wenn man so will, damit fertig geworden. Wir sehen uns täglich, wir lieben uns und werden nie aufhören, uns zu lieben.“

      „Glaubst du, dass das für mich beispielhaft ist?“, fragte Heidi.

      „Ich weiß es nicht. Du sagtest vorhin, dass du seinen Namen kennst, durch einen Zufall kennengelernt hast, zwar nicht weißt, wo er genau wohnt, aber das leicht ermitteln könntest. Wie heißt er denn?“

      „Das spielt keine Rolle“, erwiderte Heidi. „Es spielt wirklich keine Rolle. Ich kann ihn nicht suchen. Meine Ehe mit Dieter wäre von dem Augenblick an völlig zerstört.“

      „Ist sie es nicht schon jetzt?“, fragte Veronika und sah Heidi aus ihren großen dunklen Augen prüfend an.

      „Im Grunde ist sie es“, bestätigte Heidi. „Ich will es nicht wahrhaben, aber ich glaube, du hast recht. Sie ist es schon. Denn ich komme einfach mit meinen Gedanken nicht mehr von ihm los. Ich habe alles versucht. Wir sind aus gewesen miteinander, Dieter und ich. Wir wollten es uns schön machen. Aber er ist auch so eigenartig. Ich habe manchmal das Gefühl, dass er es mir sehr nachträgt, es mir so ankreidet, weil er glaubt, es sei eben doch etwas anderes als bei ihm. Ich meine, anders insofern, weil ich eben diesen Fremden geküsst hätte, während er ja immerhin mit einem Mädchen herumgeknutscht hat, das er schon lange kennt.“

      „Wo liegt denn da der Unterschied? Sie ist nicht seine Frau und der sogenannte Fremde nicht dein Mann. Im Grunde kommt es auf dasselbe raus“, entgegnete Veronika. „Du kommst nicht von ihm los. Es hat gar keinen Zweck, dass du dir etwas vormachst. Wenn du mir den Namen sagst, könnte ich euch beiden helfen. Ich bin sicher, er möchte dich auch wiederfinden. Oder hast du eine Ahnung, ob er deinen Namen oder deine Autonummer kennt?“

      „Meinen Namen sicher nicht. Bei der Autonummer, das gebe ich ehrlich zu, hatte ich schon gehofft, er hätte sie sich notiert, stünde eines Tages vor meiner Tür.“ Sie lachte. „Gehofft? Ich weiß nicht, was größer war, die Hoffnung oder die Angst davor. Stell dir mal vor, Dieter wäre da. Es klingelt, ich öffne, oder Dieter öffnet und er steht draußen.“

      „Vielleicht warst du für ihn nur eine Episode, eine ganz harmlose Episode, an die er längst nicht mehr denkt.“

      „Das sage ich mir ja auch. Andererseits, ich habe das Gefühl, dass es bei ihm so gewesen ist wie mit mir. Und deswegen meine ich, denkt er auch jetzt noch an mich, so wie ich an ihn denke.“

      „Es könnte auch Einbildung sein“, gab Veronika zu bedenken.

      Heidi

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