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hat das doch jeder gehört. Ich glaube nicht, dass ich jemals wieder in dieses Haus gehen kann. Es war furchtbar.“ Heidi stützte den Kopf in die Hände, starrte auf die Tischplatte.

      Veronika lehnte sich im Sessel zurück, schlug die Beine übereinander und fragte: „Könntest du dir vorstellen, dass dein verehrter Dieter ein Filou ist? Und er ist ein Filou. Er war nicht in Köln. Ich hatte gedacht, es ist der Grund, warum ihr euch zankt, der Grund, dass du dahintergekommen bist, was er eigentlich getrieben hat.“ Sie beugte sich vor und sagte eindringlich: „Heidi, warum bist du nicht heute gefahren, wie ich es dir gesagt hatte?“

      Heidi blickte auf. „Warum sollte ich heute fahren? Wo liegt der Unterschied?“

      „Es wäre nicht zu dieser Szene gekommen. Ich muss dir etwas sagen. Ich muss es dir sagen, jetzt, nach diesem Zwischenfall.“

      „Nun rede doch endlich! Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Was ist passiert? Was war denn?“

      Veronika zündete sich eine Zigarette an. Und erst als sie den Rauch ausblies, sagte sie: „Dein schöner Dieter hat eine kleine Freundin, ein kleines Liebchen. Meiner Schätzung nach ist sie zwanzig, einundzwanzig. Nicht unbedingt eine Schönheit, eher eine Mischung aus Baby Doll und Dummchen. Auf alle Fälle etwas, was manche Männer sehr mögen. Das geht schon eine ganze Weile. Ich weiß nicht, wie sie heißt, ich weiß nur, dass er schon eine ganze Weile mit ihr herumzieht. Sie trägt mit Vorliebe Jeans oder Miniröcke, obgleich die doch schon eine ganze Weile aus der Mode sind. Wie dem auch sei. Sie sind mir schon mehrmals begegnet. Das erste Mal rein zufällig auf dem Feldberg. Ich bin da mit Jens gewesen. Aber ich habe sie auch heute gesehen. Er hat offensichtlich keine Hemmungen, sich offen mit ihr zu zeigen. Sie waren auf dem HenningerTurm. Und dort oben habe ich sie abermals rein zufällig getroffen. Dann allerdings bin ich dir zuliebe auf ihrer Spur geblieben. Es gibt nichts Atemberaubendes von ihnen zu berichten. Sie sind zu zweit vor ein Stundenhotel gefahren, und dort gingen sie auch hinein, kamen dann nach etwa zwei Stunden wieder heraus, dann brachte er sie heim.“

      „Wann? Heute?“, fragte Heidi verwirrt.

      „Heute.“ Veronika lachte. „Das sind die Hüter der Moral. Die haben selbst den meisten Dreck am Stecken. Er hat sie also nach Hause gefahren, wie ich sagte. Sie wohnt in der Staufenstraße, in der Nähe vom Rothschildpark. Vielleicht kennst du sie sogar.“

      „Jetzt, wo du sagst, wo sie wohnt, weiß ich, wer sie ist“, erwiderte Heidi. „Sie heißt Renate Friedländer. Sie arbeitet als Laborantin in derselben Abteilung wie mein Mann. Das ist das Mädchen, von der er mir gebeichtet hat, sie auf der Fete neulich geküsst zu haben. Und das hat mich ermutigt, auch ihm zu erzählen, was mir unterwegs von München her widerfahren war. Ja, und du glaubst, dass da mehr war als ein Kuss?“

      „Wenn du von deinem Mann redest“, erwiderte Veronika, „da ist ganz sicher mehr gewesen als ein Kuss. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass sich jemand in ein Stundenhotel einmietet, um ein Mädchen zu küssen. Und ich glaube, dass es nicht das erste Mal gewesen ist.“

      Heidi war wie vor den Kopf geschlagen. Doch schließlich fasste sie sich und sagte: „Ich fahre nach Zürich. Und wenn etwas Zeit vergangen ist, komme ich wieder zu mir selbst. Ich weiß noch nicht, was ich mache. Aber in dieses Haus werde ich niemals mehr gehen. Dazu habe ich mich fest entschlossen.“

      „Lass erst mal Gras über die Geschichte wachsen. Dann wirst du vielleicht über vieles anders denken. Und, es könnte ja auch sein, dass dein Dieter wieder zu sich kommt. Eins sollte er sich aber bestimmt abgewöhnen“, fuhr Veronika fort, „mit Steinen zu werfen, solange er selbst im Glashaus sitzt.“

      „Weißt du, was ich am liebsten tun würde“, fragte Heidi, „auch wenn du mich verdammst deswegen? Ich würde am liebsten nach Köln fahren. Jetzt ja, jetzt würde ich am liebsten zu ihm fahren. Ich weiß, wo ich ihn finden müsste. Ich fahre zu ihm und werde ihn sehen. Ich muss ihn sehen. Ich muss ihn wiedersehen! Du kannst dir nicht vorstellen, was in mir vorgeht. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Ich muss immerzu an ihn denken.“

      „Aber wer sagt dir, ob er von dir so denkt, wie du von ihm? Das glaubst du nur. Aber du weißt es nicht. Es kann auch eine fürchterliche Enttäuschung geben“, mahnte Veronika. „Überleg dir genau, was du tust! Nichts spricht dagegen, dass du nach Köln fährst. Aber sollte das nicht irgendwie vorbereitet werden? Einfach so dort auftauchen? Er hat Familie. Die Überraschung könnte nicht angenehm, sondern höchst unliebsam werden.“

      „Du hast recht“, gab Heidi zu. „Ich fahre doch nach Zürich.“

      13

      Der Verletzte lag auf dem Operationstisch. Er war Opfer eines schweren Verkehrsunfalls, und man hatte ihn vor etwa einer Viertelstunde eingeliefert. Noch waren Dr. Berring und ein Assistenzarzt, sowie ein herbeigerufener Anästhesist voll und ganz damit beschäftigt, den Schockzustand, der lebensbedrohend war, zu bekämpfen, den Kreislauf zu stabilisieren, die Herztätigkeit anzuregen. Um den vermutlichen Schädelbasisbruch, die Oberarm- und Unterschenkelfrakturen konnten sie sich im Augenblick nicht kümmern. Das einzige, was durch die Schwestern erst einmal provisorisch versorgt wurde, waren starke Schnittwunden an den beiden Oberschenkeln. Der Patient war ein Mann um die dreißig. Der Kleidung nach, die man ihm inzwischen ausgezogen hatte, ein Angestellter der Müllabfuhr.

      Schwester Karla und Schwester Angelika, die beide in der Ambulanz arbeiteten, hatten die Aufnahmen von Schädel, Arm- und Beinfrakturen gemacht. Die fünfundzwanzigjährige weißblonde Schwester Karla brachte die Aufnahmen selbst zur Entwicklung. Zugleich war aus der Ambulanz II die Schädelaufnahme eines anderen Verunglückten gebracht worden.

      Die medizinisch-technische Assistentin Hausmann arbeitete in der Röntgenabteilung der Unfallchirurgie nur als Urlaubsvertretung. Sonst hatte sie ihren Arbeitsplatz im großen Fotolabor der Normalchirurgie. Vieles in diesem Raum hier unterschied sich von ihrem sonstigen Arbeitsplatz. Die junge Frau Hausmann musste Hilfsmittel suchen, die sie sonst drüben im Fotolabor mit einem Griff hatte. Hier war alles für sie ungewohnt. Als die Aufnahmen hereinkamen und sie diese entwickelt hatte, legte sie versehentlich die Schädelaufnahme der Ambulanz II zu den Aufnahmen der Oberarm- und Unterschenkelfrakturen jenes Patienten, die von Dr. Berring betreut wurde. Dennoch standen am Rande jeder Aufnahme die Namen der Patienten, sowie die Eingangsnummer der Aufnahme. Aber die junge Frau Hausmann übersah das, steckte die Aufnahmen in die Kladde und schob sie durch den Schlitz, wo sie von Schwester Karla von Nebenraum aus abgeholt werden konnten. Kurz darauf erschien auch Schwester Karla, nahm die Kladde mit der Aufschrift „Ambulanz I" und ging rasch zurück zur Ambulanz.

      Dr. Berring steckte die Aufnahmen vor den Leuchtschirm, und unglücklicherweise wurde der am äußersten Rande befindliche Name des Patienten bei der Schädelaufnahme nicht mit erhellt, so dass er auf den ersten Blick nicht lesbar war. Der Aufnahme nach handelte es sich um eine Schädelbasisfraktur, was die Vermutung der behandelnden Ärzte bestätigte. Da sie an der Fraktur zunächst nichts machen konnten, ein Erguss nicht vorlag, und weitere Verletzungen nicht erkennbar waren, wurde mit dem Nageln der Unterschenkelfraktur begonnen.

      Im Nebenraum des Entwicklungszimmers lag noch die Kladde mit der Aufschrift Ambulanz II. Eine Schwester von dieser Ambulanz holte wenig später die Kladde ab, aber da der Patient wieder bei Bewusstsein war, es ihm auch vom Kreislauf und sonstigen Beschwerden her weit besser ging, als man zu hoffen wagte, war er bereits auf die Unfallstation gebracht worden. Außer der Schädelfraktur, die auch in der Ambulanz II bereits von den Ärzten

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