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      „Oberarzt Dr. Berring“, murmelte Heidi. „Jetzt weiß ich seinen Namen. Ich weiß seinen Namen und könnte ihn im Handumdrehen finden. Ich wäre in der Lage, ihn anzurufen. Ich könnte seine Stimme hören. Wir würden vielleicht einen Termin ausmachen, um uns wiederzusehen.“

      „Nein!“, schrie sie, und war selbst erschrocken über den Klang ihrer Stimme. Sie hielt sich die Hand vor den Mund, sah sich verstört um, aber sie war allein im Zimmer. Niemand konnte sie hören.

      Ich darf ihn nicht anrufen! Ich muss den Namen vergessen! Ich darf nicht! Ich darf nicht! Ich darf nicht!

      Aber dann schrieb sie den Namen in ihr kleines Notizbuch, das noch nicht einmal Dieter gesehen hatte.

      Von dieser Sekunde an ging ihr der Name Dr. Berring nicht mehr aus dem Kopf. Sie versuchte, sich mit Arbeit zu betäuben, hatte die Zeitschriften weggelegt, beugte sich wieder über ihre Entwürfe, aber nichts geriet ihr. Sie war mit den Gedanken sonst wo und konnte sich nicht mehr konzentrieren. Schließlich verlor sie die Lust, warf den Bleistift beiseite, trat ans Fenster und blickte hinunter auf die Straße.

      Ich muss weg, dachte sie, ich halte das einfach nicht aus! Ich muss etwas tun, um das Verhältnis mit Dieter wieder mit neuem Leben zu erfüllen. Wir müssten einfach etwas unternehmen. Wir müssten in Urlaub fahren, irgend so etwas.

      Wenn ich jetzt mit ihm nach Köln gehe, wenn es einmal soweit ist, dann muss ich mich ganz ihm widmen. Am besten wäre, er würde diese Aufgabe gar nicht übernehmen. Ich muss mit ihm reden. Er darf nicht nach Köln gehen. Er muss hierblieben. Wir beide müssen hierbleiben.

      Sie hatte die Seite aus der Zeitschrift herausgerissen, hob sie jetzt auf, knüllte sie zusammen, ging damit in die Küche und warf sie in den Müll. Aber schon zwei Minuten später holte sie diese Seite wieder heraus, glättete sie und blickte sie an. Unbewusst hatte sie ihre Hand auf die Herzgegend gelegt, krampfte die Finger um die linke Brust, seufzte tief und nahm doch wieder diese Seite, knüllte sie zusammen, war aber nun entschlossen, sie zu vernichten. Aber sie brachte es nicht fertig. Schon ertappte sie sich wieder dabei, dass sie diese Seite glättete und das Gesicht ansah, das ihr so viel bedeutete.

      Das kann doch nicht sein, dachte sie. dass man einem Menschen so verfallen ist, den man erst so kurze Zeit gekannt hat. Nein, wenn wir erst einmal zwei Wochen weiter sind, werde ich ihn vergessen haben, ganz bestimmt.

      Sie riss ein Streichholz an, legte die Zeitung in die Spüle und brannte sie ab. Da sie keinen Ofen im Hause hatte, blieb ihr keine andere Möglichkeit, um das Papier zu verbrennen. Am liebsten hätte sie, als die Flammen sich in die Nähe von Hans Berrings Gesicht fraßen, das Feuer wieder gelöscht. Aber dann ließ sie es doch geschehen, dass alles verbrannte. Sie spülte die Asche weg und wandte sich um.

      Schluss, dachte sie, Schluss! Sie nahm ihr Notizbuch, griff zu einem Tuscheschreiber und überstrich den Namen Hans Berring, den sie da hineingeschrieben hatte. Aber aus ihrem Gedächtnis konnte sie ihn nicht tilgen. Dort stand er wie eingemeißelt, und sie wusste jetzt schon, dass sie ihn nie vergessen konnte.

      Am Nachmittag fuhr sie dann zu ihrer Freundin. Sie musste ganz einfach unter Menschen. Sie musste sich ablenken, und das gelang ihr auch, bis sie dann schließlich gegen Abend nach Hause zurückkehrte. Dieter war schon da. Sie bereiteten sich abends immer nur ein kaltes Essen, da Dieter im Betrieb zu Mittag aß. Jetzt, als sie in die Küche trat, war er dabei, Brot zu schneiden.

      Etwas vorwurfsvoll blickte er sie an. „Du warst gar nicht da, als ich gekommen bin“, meinte er.

      „Es tut mir leid“, erklärte sie, ging auf ihn zu und schlang ihre Arme um seinen Nacken. Er ließ die Hände von der Maschine und erwiderte die Umarmung. Erst war er etwas verwirrt, doch als sie ihren Mund zum Kuss darbot, da küsste er sie, und sie wollte, dass er ihre Liebe spürte. Sie gab sich alle Mühe und wusste zugleich, dass sie damit nicht nur ihn, sondern auch sich selbst betrog.

      Als er sie freigab, sah sie ihn forschend an, aber er war offensichtlich völlig unbefangen, wie es ihr schien.

      „Also einer muss das Brot schneiden“, meinte er.

      Ohne auf seine Bemerkung einzugehen. erklärte sie: „Wir haben uns, als wir uns kennenlernten, versprochen, dass wir uns alles sagen.“

      Er wollte schon wieder die Maschine anschalten, blickte aber dann ein wenig verwirrt über die Schulter zu ihr zurück und fragte mit einem misstrauischen Unterton: „Na und? Das ist doch selbstverständlich.“

      Sie ging hin und her, blickte auf die Fliesen des Fußbodens und vermied es, ihn anzusehen. Er hingegen beobachtete sie. Und immer noch war dieses Misstrauen in seinem Blick deutlich.

      „Was willst du denn sagen?“, wollte er wissen.

      „Ich bin, wie du weißt, unterwegs aufgehalten worden, indem ich in den Graben rutschte. Ein Mann hat mich mit seinem Wagen herausgezogen. Aber das hatte ich dir ja erzählt. Und wir haben in einem kleinen Gasthof übernachtet.“ Jetzt blickte sie ihn an. Ihr war, als sei er blass geworden. In seinen Augen schien es zu flackern.

      „Wir haben nicht miteinander geschlafen, wenn du das denkst. Aber dieser Mann ... Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll. Ich fühlte mich ihm gegenüber vielleicht dankbar. Nein, das ist bestimmt falsch. Es hat sich einfach so ergeben. Wir haben uns geküsst.“

      Dieter sprach nicht. Er starrte sie nur an, und sie konnte nicht ergründen, was in ihm vorging. Sie war stehengeblieben, hielt die Hände vor dem Bauch verschlungen, sah ihn an, zweifelnd, unsicher, ja fast ein wenig ängstlich. „Er war so nett, weißt du? Er hat mir wahnsinnig gut gefallen, im Moment. Das war eine Stimmung! Ich weiß nicht, ob du mich verstehst. Ich war völlig durchnässt und alles, und er war sehr ritterlich. Er hatte mir geholfen. Es hat sich einfach so ergeben ...“

      Jetzt nickte Dieter. „Ich hatte dir von Renate Friedländer erzählt. Vorgestern die Fete, du weißt ja. Ist es so gewesen wie mit ihr? Also ein Kuss und sonst nichts?“

      „Ein Kuss und sonst nichts“, erwiderte Heidi.

      „Und sonst wirklich nichts?“, wollte er wissen.

      „Nein, sonst war wirklich nichts.“

      Er lachte befreit auf. „Du meine Güte, dann mach doch nicht so ein Theater! Du hast mir doch auch verziehen.“

      Ich habe dir nicht verziehen, dachte sie. Ich habe es eigentlich gar nicht zur Kenntnis genommen. Ja, ich muss sogar zugeben, dass ich deine Schuld wie ein Gewicht auf die Waagschale gelegt habe, um mein eigenes Gewissen zu entlasten. Nein, vergeben habe ich dir nicht. Ich war irgendwie froh darüber, dass ich es dir anlasten kann. Aber sie sagte: „Ja. ich habe dir vergeben. Es war ja sonst nichts, oder?“

      „Du brauchst den Spieß nicht umzukehren“, meinte er lächelnd. „Sonst war nichts. Ich hatte getrunken. Im nüchternen Zustand wäre das gar nicht passiert. Wer ist denn dieser Mann?“

      Ich muss lügen, dachte sie. Ich kann ihm den Namen nicht nennen. Wenn ich das tue, wird er nachforschen. Er ist eifersüchtig. Ich weiß es. Ich muss das nicht fördern. Oder wäre es nicht doch besser, wenn ich ihm die Wahrheit sagte? Wenn ich ihm erklärte, wer dieser Mann ist? Ich weiß es ja jetzt.

      Aber dann hörte sie sich selbst sagen: „Ich kenne ihn nur mit Vornamen. Er heißt Hans. Und er weiß auch den meinen.“

      „Und er ist hier aus Frankfurt, oder woher?“

      „Nein, ich weiß auch nicht, wo er her ist.“

      „Aber du musst doch sein Auto gesehen haben. Das hat doch ein Nummernschild.“

      „Ich habe in meiner Aufregung darauf nicht geachtet. Ich weiß es wirklich nicht.“

      „Also, ich muss schon sagen!“, erklärte er und wandte sich ihr nun voll zu. „Komisch finde ich es doch. Du küsst einen Mann, von dem du nicht einmal den Namen weißt. Mein Gott, du bist doch sonst nicht so. Im Gegenteil. Ich habe mich oft gewundert, wie prüde du dich anderen Männern gegenüber benimmst. Ich sage ja schon einmal, wenn

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