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anhielt. Es war ein modernes dreigeschossiges Haus mit Eigentumswohnungen, die seinerzeit vor vier Jahren sehr kostspielig gewesen waren, da diese Häuser hier in unmittelbarer Nähe des Stadtwaldes auf teuerstem Grund standen. Dieses Köln Lindenthal war eine bevorzugte und recht teure Wohngegend. Aber darüber hatte sich Ingrid Berring nie Gedanken gemacht. Es war für sie irgendwie selbstverständlich, dass sie repräsentativ wohnte. Allerdings wollte sie von einem Einfamilienhaus irgendwo am Rande der Stadt oder gar außerhalb nichts wissen. Sie liebte den Luxus, aber auch die Bequemlichkeit und wollte sich nicht um Heizung und dergleichen Dinge kümmern. Andererseits schätzte sie kein Personal in der Wohnung, von der Putzfrau, die am Vormittag ein paar Stunden kam, abgesehen.

      Sie wollte auch keine Kinder. Sie wusste, dass Hans wie verrückt auf Kinder war. Aber sie fürchtete um die formvollendete Schönheit ihres Körpers, um die Festigkeit ihrer Haut. Sie wollte kein Kind. Und sie wollte auch kein Kind aufziehen. Im Grunde machte sie sich überhaupt nichts aus Kindern. Schon der Gedanke, ein kleines Kind auch saubermachen und trockenlegen zu müssen, erfüllte sie mit Entsetzen. Außerdem fürchtete sie, viele Dinge dann nicht mehr tun zu können, die sie so sehr liebte.

      In einer gelösten Stimmung betrat sie das Haus und freute sich jetzt schon auf das, was ihr Hans, wie sie glaubte, mitgebracht hatte. Schon im Treppenhaus hörte sie Geigenspiel. Das konnte nur Hans sein. Er spielte Violine, und wenn sie auch seine Musik nicht besonders schätzte, so wusste sie doch von Kennern, dass er ein Virtuose auf diesem Instrument war. Sie persönlich schätzte die klassische Musik allerdings nicht und hielt sich lieber an Schlager und Operetten. Der Opernbesuch war für sie in erster Linie ein gesellschaftliches Ereignis.

      Als sie dann oben eintrat und die Tür hinter sich schloss, brach das Violinenspiel jäh ab. Die Tür zum Wohnzimmer war geöffnet. Auf dem Flur stand der Koffer von Hans. Die Geige in der Linken, den Bogen in der Rechten, trat er in die Tür, blickte ihr entgegen, lächelte. Er hatte seine Krawatte abgebunden, den Kragen seines hellgrauen Hemdes geöffnet, die Ärmel hochgekrempelt und sich Jeanshosen angezogen. Sie hasste es. wenn er in diesem Aufzug in der Wohnung herumlief. Sie gab auf Äußerlichkeiten sehr viel und empfand es als eine Herabsetzung ihrer Person, wenn er anderswo wie aus dem Ei gepellt war, zu Hause aber lässige Kleidung trug. Er allerdings hatte sich daran nie gestört, und sie musste sich zähneknirschend die Jahre ihrer Ehe damit abfinden.

      Er wandte sich um, legte Geige und Bogen auf den Sessel, kam nun zu ihr auf den Flur zurück und ging ihr lächelnd entgegen. „Du bist eine strahlende Schönheit“, sagte er. „Du wirst immer hübscher.“

      Sie betrachtete ihn kritisch und missbilligte insgeheim seinen Aufzug. Aber sie zwang sich dazu, zu ihm nett zu sein. Und als er sie küsste, ertrug sie es wie eine Pflicht.

      Er spürte die Ablehnung und meinte auch den Grund zu kennen. Aber heute war es ihm irgendwie leicht. Und auch für ihn selbst war diese Begrüßungszeremonie wirklich nur eine Pflicht gewesen, die er sich und ihr gerne erspart hätte. Ihm fiel ein, worauf sie sicher wartete, und er sagte: „Ich habe dir eine Kleinigkeit mitgebracht. Sie liegt drinnen.“

      Und nun folgte das übliche Spiel, das er schon kannte. Auch das wiederholte sich jedes Mal, als sei es ein fest geprobtes, immer wieder geübtes Ritual, das schon Bestandteil ihrer Ehe geworden war.

      „Oh Liebling!“, rief sie, machte sich von ihm frei, stürmte erwartungsvoll ins Wohnzimmer auf den großen runden Marmortisch zu, der in der Mitte stand und wo er jedes Mal sein kleines Präsent hinlegte. Und wie auch die anderen Male kam dann ein freudiges „Oh“ und „Ah“, und kurz darauf musste Hans die Brosche, die es diesmal war, bewundern. Sie hatte sie sich angesteckt, drehte und wendete sich vor dem Spiegel damit, und Hans sagte pflichtschuldig: „Du siehst großartig aus.“

      „Es ist himmlisch. Ich habe mir eine solche Diamantbrosche immer schon gewünscht. Es ist meine dritte. Aber die hier ist die schönste.“ Sie fiel ihm um den Hals, küsste ihn, und er ertrug es wie ein Mann.

      Die nächsten Minuten war sie völlig mit sich und ihrer Brosche beschäftigt, so dass er in Ruhe Violine und Bogen in den Kasten tun und die Noten wegstecken konnte.

      „Ich bin schon eine ganze Weile hier“, sagte er. „Zu essen ist sicher nichts vorbereitet?“

      „Nein“, rief sie über die Schulter zurück, während sie sich immer noch im Spiegel betrachtete. „Ich dachte, wir gehen irgendwohin. Ich bin beim Arzt gewesen, bei Dr. Timmel. Da fällt mir gerade ein, er wollte sich mal mit dir unterhalten, hätte schon vorige Woche immer versucht, dich zu erreichen.“

      Hans stutzte. Er hatte doch vorige Woche mit ihm gesprochen. Über den Kongress hatten sie geredet.

      „Und er hat mich nicht erreicht?“, fragte er.

      „Nein, du bist nie zu kriegen, sagte er. Du möchtest ihn anrufen. Er hätte so einige Dinge mit dir zu besprechen.“

      Er hat mich angerufen, hat mich nicht erreichen können? Da stimmt doch etwas nicht. Ich habe doch mit ihm gesprochen, unmittelbar vor meiner Abfahrt, hatte ihm noch vorgeschlagen, dass wir gemeinsam in einem Wagen fahren, dass es für beide Teile noch etwas unterhaltsamer ist und außerdem nicht ein jeder die ganze Strecke allein fahren müsste. Aber er hatte abgelehnt, wollte diesen Kongress gar nicht besuchen. Was sollte jetzt dieser Hinweis? Nun gut, er würde es erfahren. Nachher, dachte Hans, werde ich ihn anrufen.

      Ingrid kam wieder aus dem Schlafzimmer herausgetänzelt. „Gehen wir etwas essen?“, fragte sie.

      „Können wir nicht hierbleiben? Ich würde ein paar Steaks grillen. Dann, könnten wir ...“

      Sie sah ihn entrüstet an. „Warum gehen wir nicht weg? Wir könnten in die City fahren und dort schön essen, heute, wo du endlich einmal auch mittags da bist. Sonst kommst du doch immer erst abends und hast schon in der Klinik gegessen.“

      Ihm missfiel es, sich wieder umziehen und in die City fahren zu müssen. Er wollte am liebsten hierbleiben. Außerdem kannte er die Ansprüche seiner Frau, nur in besten Lokalen zu speisen, und dazu hatte er heute keine Lust. Er wollte sich gehenlassen können und einmal so, wie er war, und ohne große Formalitäten essen.

      Aber dann dachte er: Vielleicht ist es ganz gut so. Hier zu Hause wird sie mich womöglich mit Fragen bombardieren.

      Er hatte schon überlegt, ob er in die Klinik fahren sollte. Er brauchte heute dort noch keinen Dienst zu tun. Aber es wäre eine Art Flucht gewesen, eine Flucht vor unbequemen Fragen. Denn, obgleich er es nicht zugeben wollte, empfand er doch ein schlechtes Gewissen vor Ingrid. Dieser Abend gestern in diesem kleinen Gasthof, zusammen mit Heidi ... Du lieber Himmel, ich kenne noch nicht einmal ihren Namen, habe keine Adresse, nichts. Einen Frankfurter Wagen fährt sie. In einer Stadt von weit mehr als einer halben Million Einwohner soll ich sie finden. Wenn ich Narr mir wenigstens die Nummer notiert hätte. Aber selbst das habe ich vergessen.

      „Gehen wir nun oder gehen wir nicht?“, fragte Ingrid.

      Er betrachtete sie. Ich habe eine schöne Frau, dachte er, eine phantastisch schöne Frau. Aber irgendwie kommt sie mir wie eine Puppe vor. Alles, was sie tat, wirkte perfekt, aber doch immer ein wenig einstudiert. Ich möchte sie einmal erleben, wie sie richtig ist, wenn sie diese Puppenmaske fallen lässt. In unserer ganzen Ehe ist das ein, zweimal geschehen, mehr nicht. Es waren wirklich nur Momente. Sie hat sich phantastisch in der Gewalt. Sie spielt immerzu eine Rolle. Sie wäre die perfekte Schauspielerin geworden.

      „Also gut“, erwiderte er, „gehen wir. Ich ziehe mich um.“

      Überrascht, dass er so schnell nachgab, sah sie ihn an. „Ich habe dich noch gar nicht gefragt, wie es war“, rief sie ihm nach, als er ins Schlafzimmer ging, um sich umzuziehen.

      „Wie soll es gewesen sein?“

      „Ich meine nicht, was ihr da besprochen habt. Das interessiert mich nicht.“

      Natürlich interessiert es dich nicht, dachte er. Es hat dich noch nie interessiert. Und er fragte: „Und was meinst du?“

      „Ich meine“, erwiderte sie, „ob du nette Leute getroffen hast.

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