Скачать книгу

      Hatte der sich inzwischen vollzogen? Hatte der junge Mann nun einen anderen Vorgesetzten, mit dem er nicht zurechtkam? Sollte sie ihm in einer solchen Situation auch noch sagen, dass er Vater würde?

      Er fuhr los, und zehn Minuten später saß ihm Antje in einem hübschen kleinen Lokal gegenüber. Ein Campari-Orange stand vor ihr, und vor ihm ein doppelter Bourbon.

      Er war immer schweigsamer geworden, und jetzt sagte er überhaupt nichts mehr. Seine Hände waren ständig in Bewegung. Fortwährend spielte er mit irgendeinem Gegenstand.

      Mal war es eine Zigarette, mal das Feuerzeug oder das Glas mit dem Bourbon, das er zweimal beinahe umstieß. Antje Büchner hatte den Eindruck, er würde leiden.

      Das bedeutete für sie, dass sie mit ihm über das Baby ein andermal reden musste. Jetzt war dafür nicht der richtige Zeitpunkt. Sie fragte ihn nach den Geschäftsabschlüssen der letzten Tage.

      Zu ihrem Erstaunen antwortete er, sie wären noch nie so hoch gewesen. Er sprach von Rekordumsätzen, die ihm am Jahresende eine Auszeichnung einbringen würden.

      »Das freut mich für dich«, sagte Antje. »Du wolltest ja immer >Vertreter des Jahres < werden. Schön, dass du es diesmal geschafft hast. Du bist tüchtig. Ich bin sehr stolz auf dich. Neben der Auszeichnung gibt’s auch eine Prämie, nicht wahr?«

      Der Gefragte nickte. »Und einen Urlaub für zwei Personen am Chiemsee - im besten Hotel.«

      »Wann...?«

      »Das bestimme ich«, antwortete Gideon.

      Antje überlegte. Wenn sie dick wie eine Tonne war, wollte sie nicht Urlaub am Chiemsee machen, und nach dem Mai würde das Baby da sein. Gleich würden sie nicht fahren können, Juli, August würden für das Kind zu heiß sein.

      Es würde wohl September werden, bis sie an den Chiemsee kamen, aber wenn Gideon sagen konnte, wann er seinen Urlaub antreten wollte, konnte es keine Schwierigkeiten geben.

      In der Firma war alles in Ordnung - was bedrückte Gideon? Wenn sie keine Fragen mehr stellte, verstummte er. Am Telefon hatte er gesagt, er hätte ihr etwas zu erzählen. Warum rückte er nun nicht mit der Sprache heraus?

      War das, was er zu sagen hatte, so schlimm? Sein Gesicht wirkte heute seltsam fahl. Gideon schien seine gesamte Vitalität eingebüßt zu haben.

      Er blickte die meiste Zeit stumm in sein Glas, vermied es, Antje in die Augen zu sehen. Vielleicht wartete er darauf, dass sie ihn aufmunterte, zu reden.

      »Hast du Sorgen, Gideon?«, fragte sie, während ihr Blick seine Züge erforschte.

      Es zuckte kurz um seinen Mund. »Ich? Sorgen? Nein.«

      »Du siehst aus, als würdest du eine zentnerschwere Last tragen«, meinte sie.

      »Ich trage keine Last«, entgegnete er hastig.

      »Worüber wolltest du mit mir reden?«, fragte Antje.

      »Zuerst du. Du möchtest doch auch irgend etwas loswerden, nicht wahr?«, wollte der junge Mann wissen.

      »Das ist nicht so wichtig, darüber sprechen wir ein andermal. Übrigens, Jutta hat heute die Fahrprüfung bestanden.«

      Gideon lachte gekünstelt. »Na großartig. Endlich. Wie oft ist sie durchgefallen?«

      »Nur einmal«, antwortete die Grafikerin.

      »Ich dachte, es wäre öfter gewesen«, meinte Gideon, den dieses Thema offensichtlich nicht interessierte.

      Als Antje Büchner ihn in die Enge trieb, leerte er sein Glas und ließ sich noch einen doppelten Bourbon bringen. Es muss irgend etwas Schlimmes, Unangenehmes sein, dachte Antje, und ihr Magen zog sich zusammen. Sie nippte an ihrem Campari-Orange, während Gideon Arendt immer nervöser wurde.

      Und dann begann er endlich zu reden, aber er drückte sich so unklar aus, dass Antje nicht wusste, worauf er eigentlich hinauswollte. Er sprach über ihre Beziehung, die ihm immer sehr viel bedeutet hätte, über das Versprechen, das sie einander gegeben hatten, stets ehrlich zueinander zu sein ...

      »Ehrlichkeit«, sagte er, »ist das Wichtigste überhaupt in einer Beziehung.«

      »Ich bin dir gegenüber immer aufrichtig gewesen, Gideon«, beteuerte Antje.

      »Das weiß ich, und das schätze ich so sehr an dir. Auf dich kann sich ein Mann verlassen. Wenn du liebst, tust du es rückhaltlos - mit ganzem Herzen.«

      »Kann man auch anders lieben?«, fragte die junge Frau erstaunt.

      »Vielleicht... ich zum Beispiel... also ich habe dich sehr, sehr gern, Antje, das musst du mir glauben, und es gab eine Zeit, da war ich mit dir unbeschreiblich glücklich. Ich fand bei dir alles, was ein Mann bei einer Frau sucht. Liebe, Zärtlichkeit, Verständnis ... Du warst mein Freund, meine Geliebte, mein alles ... Aber Gefühle lassen sich nicht konservieren. Sie verändern sich, können sich abnützen, können abkühlen«, sagte der Mann stockend.

      Jetzt wurde Antje nervös.

      »Was gestern noch schön war, weil ihm der Reiz des Neuen anhaftete, kann heute Gewohnheit sein und morgen zur Last werden«, sagte Gideon Arendt. »Bitte verstehe mich nicht falsch, Antje. Ich will damit nicht sagen, dass unsere Beziehung für mich zur Last geworden ist...«

      »Aber sie hat sich abgenutzt«, unterbrach Antje ihn heiser.

      Sie vibrierte innerlich und spürte Tränen hochsteigen. Sie dachte an das Kind, das sie erwartete, dessen Vater Gideon war. Sie hatte dieses Kind in Liebe empfangen, und nun sollte diese Liebe auf einmal Abnutzungserscheinungen zeigen?

      Wie war das möglich. Was hatte sie falsch gemacht? Wieso hatte sie vom Erkalten der Gefühle nichts gemerkt? Sie liebte Gideon immer noch. Nichts hätte sie glücklicher gemacht, als wenn er sie gefragt hätte, ob sie seine Frau werden wolle.

      Aber davon schien auf einmal keine Rede mehr zu sein. Es sah ganz danach aus, als wollte sich Gideon von ihr zurückziehen. Von ihr und dem ungeborenen Kind.

      Plötzlich wäre es Antje Büchner unmöglich gewesen, Gideon von dem Kind zu erzählen. Sie wollte ihn nicht auf diese Weise verpflichten. Sie wäre glücklich gewesen, wenn er sie geheiratet hätte, weil er es wollte.

      Dahinter durfte kein Zwang stehen - und das Kind wäre ein moralischer Zwang für Gideon Arendt gewesen.

      Abgenutzt. Die Liebe hatte sich einseitig abgenutzt. Wieso?

      »Es hätte wenig Sinn, etwas aufrechtzuerhalten, das nicht mehr intakt ist, Antje«, sagte Gideon.

      Sie konnte nichts erwidern. Ihre Augen schwammen in Tränen, und sie merkte, wie die Welt um sie herum zusammenbrach. Eine Katastrophe, die völlig unerwartet über sie hereinbrach.

      Sie hatte keine Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten. Und es hatte auch noch passieren müssen, nachdem sie schwanger geworden war. Hätte sich Gideon nicht früher von ihr trennen können?

      Es wäre viel leichter zu ertragen gewesen - ohne Kind von ihm. Wer lenkt die Geschicke der Menschen? fragte sich die Grafikerin unglücklich. Das kann unmöglich Gott, sein. Da muss der Teufel die Hand im Spiel haben.

      »Sollen wir uns etwas vorlügen? Sollen wir Gefühle heucheln, die in Wirklichkeit nicht mehr vorhanden sind?«, fragte Gideon.

      »Nein. Natürlich nicht«, antwortete Antje. Jedes Wort schmelzte in ihrer Kehle.

      »Ich war nicht sicher, ob du dafür Verständnis aufbringen würdest«, sagte Gideon. »Deshalb war ich so nervös.«

      »Zwei Menschen begegnen sich, gehen eine Zeitlang denselben Weg miteinander, haben an dieser Beziehung ihren Spaß und trennen sich wieder«, entgegnete Antje bitter.

      »Genauso ist es.«

      Es ging fast über Antjes Kräfte, ruhig zu bleiben. Sie hätte am liebsten geheult und alles kurz und klein geschlagen.

Скачать книгу