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erst lange suchen, du hast nämlich schon eine: mich.«

      4

      Nach Feierabend schwang sich Jutta Sibelius auf ihr Fahrrad, das sie von einer Kaffeefirma preiswert gekauft hatte - Silberrahmen, verchromte Felgen und Speichen ..., ein richtiges Luxusfahrrad mit gut funktionierenden Backenbremsen und einer Klingel, die nicht zu überhören war.

      Es war ein kühler Nachmittag, und Jutta trat tüchtig in die Pedale, damit ihr warm wurde. Sie fuhr nicht weit, nur zweimal um die Ecke, bis zur nächsten Apotheke, wo sie wieder eine große Packung Nerventee kaufte. Lächelnd legte die Frau des Apothekers das Päckchen vor die Kundin hin;

      »Ich weiß, ich sollte den Tee direkt vom Großhandel beziehen, das käme billiger«, sagte Jutta Sibelius.

      »Ich dachte, Sie würden selbst einen Nerventeegroßhandel aufziehen«, bemerkte die Apothekersfrau.

      »Sieht fast so aus«, gab Jutta zu. »Aber so ist es nicht. Ich trinke das Zeug literweise. Morgen ist der schrecklichste Tag in meinem Leben! Ich muss vor einem Tribunal erscheinen. Man wird mich zum Tode verurteilen. Sie glauben mir nicht? Besitzen Sie einen Führerschein? Ja? Stirbt man während der Prüfung nicht tausend Tode?«

      »Ich empfand es nicht so schlimm«, antwortete die Apothekerin.

      »Sie Glückliche. Ich hätte gern Ihre Nerven. Für mich geht morgen die Welt unter«, meinte die Kundin.

      »Ich drücke Ihnen die Daumen.«

      »Das nützt nichts. Ich gehöre zu jenem geringen Prozentsatz, der immer wieder durchfällt. Den ersten Absturz habe ich hinter mir. Morgen kommt der zweite. Wie oft darf man eigentlich antreten? Irgendwann müssen die doch die Geduld verlieren. Stimmt es, dass man nach dem fünften Schiffbruch von einem Psychiater getestet wird? Er wird feststellen, dass ich verrückt bin«, entgegnete Jutta Sibelius.

      Jutta wollte den Tee bezahlen, doch die Apothekersgattin sagte: »Dieses Päckchen schenke ich Ihnen.«

      »Ist so was wie Mengenrabatt, wie?«, fragte Jutta und lächelte.

      »Wenn Sie’s so nennen wollen«, antwortete die Apothekerin.

      »Vielen Dank«, sagte Jutta.

      »Viel Glück für morgen.«

      »Wird schon schiefgehen«, erwiderte Jutta verbittert und verließ die Apotheke. Als sie auf die Straße trat, weiteten sich ihre Augen. »Passen Sie auf!«, schrie sie, aber es war schon zu spät.

      Der rückwärtsfahrende Wagen hatte Juttas Fahrrad umgestoßen, und jetzt rollte der Hinterreifen über das dünne Vorderrad von Juttas >Drahtesel<.

      5

      Antje Büchner war Grafikerin. Sie arbeitete in einem großen Studio, und da zur Zeit viel zu tun war, ging sie nach dem Arztbesuch nicht nach Hause, sondern kehrte an ihren Zeichentisch zurück.

      Sie legte die Entwürfe noch einmal nebeneinander auf und begutachtete sie kritisch.

      Babynahrung, dachte sie. Ausgerechnet ich musste das kriegen.

      Sie hatte jetzt eine völlig andere Einstellung zu diesem Thema. Kein Entwurf war ihr gut genug. Die Babys sahen nicht glücklich genug aus. Sie vermittelten nicht die unbekümmerte Freude darüber, dass sie auf der Welt sein durften.

      Antje warf die Entwürfe weg und fing noch mal von vorne an, und diesmal traf sie den Ausdruck. Sie hatte in sich hineingehört. Das Glücksgefühl, das sie aufs Papier bannte, kam irgendwie aus ihrem Bauch.

      Sie hob den Kopf und biss in den Zeichenstift, während sie nachdenklich das Telefon anschaute. Gideon hatte gesagt, er würde sich melden, sobald er von seiner Tour zurück wäre.

      Er war zwei Tage überfällig. Die junge Frau griff nach dem Hörer und wählte Gideons Nummer. Sie hörte das Freizeichen, aber Gideon hob nicht ab. Ihm ist doch hoffentlich nichts zugestoßen, dachte Antje, und ein furchtbarer Gedanke erschreckte sie: Gideon ... tot!

      Wer so viel wie er mit dem Wagen unterwegs war, musste mehr als andere damit rechnen, dass es einmal krachte - trotz aller Routine. Nicht alle Verkehrsunfälle wurden selbst verschuldet. Es kam hin und wieder auch vor, dass man von einem anderen Autofahrer abgeschossen wurde.

      Dann hat mein Kind keinen Vater, dachte Antje und legte den Hörer in die Gabel. Soll ein Kind wohlgeraten, braucht es mütterliche Liebe und väterliche Strenge. Ich kann nicht Vater und Mutter sein. Mache dich nicht verrückt, sagte sie sich und richtete den Blick wieder auf das freundliche Baby.

      Sie hatte es so gezeichnet, wie sie sich vorstellte, dass ihr eigenes Kind einmal aussehen würde.

      »Richtig niedlich, der kleine Racker«, sagte jemand neben ihr. »Der Kleine sieht zum Verlieben aus. Äh ... ist es überhaupt ein Junge?«

      »Es ist ein Mädchen«, antwortete Antje Büchner.

      »Wieso weißt du das? Die Kleine trägt eine Windelhose.«

      »Ich habe nachgesehen«, behauptete Antje lächelnd.

      Neben ihr stand Bernd Riepel, der Werbetexter - lange Beine, dünner Hals, kleiner Kopf, aber in diesem Kopf war sehr viel drinnen. Bernd sprühte nur so von guten Ideen.

      Er hatte Antje gern und machte keinen Hehl daraus. Seit Monaten versuchte er sie hartnäckig zu überreden, mit ihm auszugehen, obwohl er wusste, dass sie einen Freund hatte.

      Er hatte Gideon schon zweimal gesehen und fand, dass dieser nicht zu Antje passte. Seiner Ansicht nach wäre er als Partner für Antje die Idealbesetzung gewesen, deshalb ließ er auch nicht locker.

      Die junge Grafikerin mochte ihn. Er war ihr nicht lästig, aber sie hätte sich niemals in ihn verlieben können. Warum das so war, konnte sie nicht erklären.

      Es war eben so im Leben eingerichtet, dass nicht jeder jeden liebte, damit musste man sich abfinden. Doch das kam für Bernd Riepel nicht in Frage.

      »Was hat dieses wunderschöne Strahlen deiner himmelblauen Augen zu bedeuten?«, fragte er.

      »Nichts Gutes für dich«, antwortete Antje.

      »Wie darf ich das verstehen?« Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern holte zwei Eintrittskarten aus der Tasche seines Samtjacketts. »Heute Abend gibt es in der Stadthalle ein sensationelles Konzert. Ich konnte unter Einsatz meines Lebens zwei Karten ergattern. Eine ist für mich. Dreimal darfst du raten, wem ich die andere schenken möchte.«

      Antje stellte sich dumm. Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Gabi

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