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zu wenig, hahaha … Das ist gut, ganz ausgezeichnet!“ Er lachte laut.

      Kleinermann stimmte mit ein. Die Heiterkeit der Herren erregte schon die Aufmerksamkeit anderer Gäste; im Café „Old Huus“ ging es gewöhnlich ohne solche Befindlichkeitsäußerungen zu.

      „Sie werden sehen, die Wissenschaften bieten Ihnen mehr. Übrigens: Stellen Sie mir doch umgehend schon mal eine Übersicht zusammen, was gegenwärtig an Titeln vom anderen Ende der universalen Unendlichkeiten erhältlich wäre, also zu den Problemen der Quantentheorie. Ich werde nicht umhinkönnen, mich auch darin etwas zu belesen.“

      „Recht gern, Herr Studienrat. Geben Sie mir zwei bis drei Tage Zeit?“

      „Es eilt nicht. Aber jetzt rufen mich die Pflichten.“ Er erhob sich, auch Herr Kleinermann stand auf.

      „Wie, selbst am Hohen Sonntag?“

      „Gewiss. Unsereiner hat sich ständig neu auf eine Begegnung mit der jungen Generation vorzubereiten. Ich gebe morgen ein Seminar zur Situation der Wissenschaften am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts – Thema der Klasse dreizehn, fakultativ natürlich, doch erfahrungsgemäß erscheint man vollzählig.“

      „Dann wünsche ich gutes Gelingen.“

      „Besten Dank, mein lieber Kleinermann.“

      Beide deuteten eine leichte Verbeugung an und der Lehrer verließ das Café.

      Herr Kleinermann winkte die Bedienung herbei und zahlte. Er dachte ebenfalls an den Heimweg, doch bemerkte er beim Aufblicken Baurat Hinrichs samt Frau an einem weiter entfernten Tisch. Es war völlig ausgeschlossen, sie zu ignorieren.

      Er war mit sich und dem Tag recht zufrieden, besonders damit, dass er den Kleinstadtphilosophen so schön verblüfft hatte. Er schlenderte langsam an den Geschäften der Marktstraße vorbei. Berendsen hatte noch geöffnet, jedenfalls stand ein reichliches Angebot an Postkarten und Zeitschriften in den Ständern neben der Tür. Herr Kleinermann ignorierte solches Geschäftsgebaren.

      Kurz vor seinem eigenen Laden blieb er stehen. Bei Goldschmied Henning Voß brannte schon Licht in der kleinen Werkstatt.

      „Moin, Henning, büs’ noch bie to arbeiten?“ Mit dem alten Schulfreund konnte er platt reden.

      Der Alte schob die Stirnlupe zurück.

      „Ach du büs’t, Scheems. Ick mutt gau noch den Ring hier graveern, Heiner Brand will Hochtied maken.“

      „Wilke Deern hett hei denn nommen?“

      Sie sprachen kurze Zeit über das bevorstehende Ereignis. Der Goldschmied arbeitete weiter.

      „Ick wull di noch wat segg’n, Henning.“

      „So? Wat denn?“

      „Ick will den Laden oppgeew’n.“

      Der Alte richtete sich auf. „Wat meenst dormit, den Laden oppgeew’n?“

      „Ick maak Schluss hier.“

      „Du büst verrückt.“

      „Nich glieks! Ick heww noch nich ruutkreeg’n, woans ick dann bliewen much.“

      „Nu büs’ woll ganz dörchdreiht. Du wullt wechtrecken?“

      „Ick sech doch: Nich glieks!“

      Sie sahen sich schweigend an.

      „Na dann mach doch. Hau ab. Und komm mir bloß nicht wieder in die Werkstatt“, sagte der Alte und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.

      „Is ja nu’ good, Henning“, sagte Herr Kleinermann. Er war erleichtert.

      Er blätterte in den Verlagsangeboten. Kaum was für Arpen dabei, fand er. Alles keine Originalberichte. „Plancks Weltbild“ – das kannte Arpen wahrscheinlich längst.

      Aber hier, ein Vortrag vor der Uni Leiden „Das Weltbild der neuen Physik“, 1929, und eine Zusammenstellung seiner Vorträge als Taschenbuch, das war vielleicht etwas. Bei Fischer.

      Interessant war sicher auch „Sommerfeld und die Anfänge der Atomtheorie, Band 26 von „Physik in unserer Zeit“.

      Bohr hatte reichlich, aber anscheinend nur in englischer Sprache publiziert. Entfiel also.

      Doch Pascual Jordans „Begegnungen“ schien etwas zu sein, persönliche Erinnerungen an Einstein, Pauli, Born, Bohr, Heisenberg und Laue. Die ganze Creme der damaligen Physik.

      Es war wohl das Beste, mit diesen Vorschlägen zu warten, bis Arpen wieder im Laden erschien.

      Zwei Tage später war er da.

      „Na, schon etwas gefunden, Kleinermann?“

      „Selbstverständlich, Herr Studienrat, vorerst nur diese kleine Auswahl.“ Er reichte dem Besucher das Blatt.

      „Den Vortrag von der Leidener Universität bekämen wir möglicherweise nur leihweise, nach Vorbestellung, er dürfte aber in dem Sammelbändchen des Fischer Verlags mit enthalten sein.

      Band 26 von Physik in unserer Zeit ist leider nur im Lesesaal zugänglich.“

      „Ist kein Problem, wir können damit vorerst noch warten. Alles andere ist lieferbar?“

      „In wenigen Tagen, Herr Studienrat.“

      „Ja – haben Sie noch eine besondere Empfehlung? Ich brauchte fürs Erste etwas Atmosphärisches, wenn ich so sagen darf, etwas vom damaligen Geist der Zeit, der ja einen Neubeginn darstellte. Die Themen der Wissenschaft schienen erfolgreich abgearbeitet, die Industrie machte bereits ausgiebig Gebrauch von den Ergebnissen …“

      „Sie sprechen von den Wissenschaften allgemein, Herr Studienrat? Mir ist aufgefallen, dass damit immer stärker besonders die physikalische Forschung gemeint ist. Warum gab es wohl keine vergleichbare Bewegung auf den ehedem so erfolgreichen Gebieten der Chemie und Biologie?“

      Der Lehrer sah den Buchhändler etwas verwundert an.

      „Denken Sie an die Verdienste von Darwin, Haeckel, Haber, Mitscherlich und Bosch um die Jahrhundertwende. Danach ein eigenartiger Stillstand der Entwicklung“, ergänzte Herr Kleinermann.

      „Nun, Sie sprechen da etwas an. Man könnte Weitere aufzählen, gewiss. Aber so war nun mal die Entwicklung.“

      „Sollte der wissenschaftliche Fortschritt auch von den gesellschaftlichen Ereignissen abhängig gewesen sein?“

      „Woran denken Sie dabei?“

      „An den Kriegsbeginn 1914 etwa.“

      „Mag wohl sein. Die Verflechtung mit den politischen Entwicklungen darf mich nicht interessieren, wenn ich das philosophische Ganze im Auge behalten will. Dabei fällt mir ein: Unsere Aufstellung entbehrt noch der Kopenhagener Deutung, mein lieber Kleinermann.“

      „Ist mir bewusst, Herr Studienrat, dachte jedoch nicht, dass Sie gleich so weit vorstoßen wollten. Wird natürlich mitgeliefert! Darf ich Ihnen vielleicht noch etwas zur Einführung in den Geist jener Zeit, wie sie sich ausdrückten, bestellen – zur Ansicht etwa? Immer zu den besten Konditionen selbstverständlich.“

      „Tja, ich weiß nicht … Was schlagen Sie vor?“

      „Mir schiene die Autobiographie von Heisenberg sehr geeignet.“

      „Nun, ich weiß nicht … Biographien? “

      „Schon der Titel ist vielversprechend: Der Teil und das Ganze“.

      „Vielleicht später. Die kleine Auswahl dürfte vorerst genügen; man muss sich auch zu bescheiden wissen, mein lieber Kleinermann.“

      GRANITZ

      Er saß vor der Deutschlandkarte.

      Der Süden kam nicht in Frage, so viel stand fest; die klimatischen Vorteile erschienen eher gering, die fremdartigen mentalen Bedingungen dagegen bedeutend. Er erinnerte sich an kurze Kontakte mit dem bayerischen und schwäbischen

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