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Zahl. Wenn die Dichte unendlich gewesen sei, müsste das Volumen gegen Null gehen. Das ging aber beides nicht. Hier verweigerte selbst die Mathematik ihre Dienste.

      Aber woher wollte man darüber etwas wissen? Messen ging ja nicht. Er wälzte Bücher, befragte das Internet. Überall nur der gleiche Unsinn. Das ganze Szenario erschien ihm als Ausgeburt einer krankhaften oder krampfhaften Fantasie.

      Er beschloss, persönliche Auskunft bei WISSENlive einzuholen, obwohl der Luxus von drei Minuten individueller Auskunft nicht gerade billig zu haben war.

      Eine gewinnende Frauenstimme begrüßte ihn.

       Willkommen bei WISSENlive direct.

       Wählen Sie ein Fachgebiet und geben Sie ihre Frage oder das Problem ein.

      Er wählte – Physik – Urknall –Temperatur– woher?

      Der Monitor dunkelte ab und Sterne erschienen. Aus der Tiefe entstand ein Objekt, kam näher und wurde zum Gesicht.

      Ganz einfach, sagte der Experte auf dem Bildschirm unvermittelt, das ergibt sich aus der Theorie.

      Ja, aber wie denn.

      Im Anfang war alles anders. Keine Materie, nur Energie, ein ungeheurer Strahlungsausbruch zur Geburt von Zeit und Raum, in Bruchteilen von Sekunden entfaltete sich das Universum wie eine riesige Blume zu unendlicher Größe

      Hab’ ich auch schon gehört, mit Über-Lichtgeschwindigkeit. Gibt es gar nicht, sagt die gleiche Theorie. Aber was ist nun mit der erwähnten Über-Hitze von damals?

       Die nahm mit der Ausdehnung natürlich rapide ab, eine tausendstel Sekunde nach Beginn der Ausdehnung betrug sie nur noch 10 hoch 13 Kelvin, das sind Zehnmilliarden Grad. Und nach einer Sekunde war sie sogar auf Zehnmillionen Grad gesunken, also 10 hoch 7 Kelvin. Unter diesen Bedingungen nahm die Energie neue Formen an, die Urkraft spaltete sich in die heutigen Grundkräfte auf und Strahlung verdichtete sich zu Materie, die ersten Atome entstanden.

      Aber erklären Sie doch mal, woher Sie die Zahlen nehmen.

       Ganz einfach. Was geschieht im umgekehrten Fall, beim Erhitzen einer Substanz? Sie zerfällt, die Atome werden frei. Die dafür erforderliche Energie kann man messen, ebenso für den Zerfall in die Elementarbausteine. Kehrt man den Prozess um, ordnet sich alles wieder stufenweise zum Ausgangsprodukt. Man weiß also, bei welcher Temperatur sich zum Beispiel erst Atome gebildet haben können, und so weiter.

      Das ist alles bekannt. Bestes Beispiel Sonne und so, klar. Aber es war ja die Rede von der ungeheuren Strahlungstemperatur, was nach der Definition von Temperatur als Bewegungsenergie von Teilchen einen Widerspruch darstellt, da gab es ja noch gar keine Teilchen.

       Das ist richtig. „ Temperatur “ ist in diesem Zusammenhang als Zugeständnis an die Sprachgewohnheiten zu verstehen. In einem allgemeineren Sinn handelt es sich um die mittlere Energiedichte eines Systems. Die Angabe 10 hoch 32 Grad stellt die höchste Energiedichte dar, die physikalisch begründbar ist, man könnte sie auch in anderen Einheiten angeben, aber das wäre noch unanschaulicher.

      Und wie begründet man diesen Wert vom Beginn unserer Welt?

       Das ist eine längere Geschichte, sie reicht hundert Jahre und mehr zurück, wollen Sie sie wirklich hören?

      Ich bitte darum. Aber kürzer, wenn’s geht.

      Die Angabe beruht auf den so genannten Planck-Einheiten, die mit den drei Naturkonstanten Lichtgeschwindigkeit, Gravitationskonstante und dem elementaren Wirkungsquantum gebildet werden können. Je nach deren mathematischer Kombination erhält man ein universelles System aller physikalischen Größen ohne die willkürlichen Festlegungen aus der Vergangenheit.

      Übrigens auch für den Begriff Zeitbevor Sie danach fragen. Das würde jetzt zu weit führen.

      Wahrscheinlich. Obwohl noch eine ganze Reihe anderer Fragen offenbleibt.

       Ein anderes Mal gerne. Unsere Zeit ist bereits vorüber. Oder möchten Sie weitere Auskünfte? Dann drücken Sie bitte „f“ für fortsetzen.

      Er zögerte. Das Gesicht versank langsam in den Tiefen des Alls, der Bildschirm erlosch.

      Herr Kleinermann blieb etwas unzufrieden zurück, diese Auskunft hätte er sich eigentlich selbst beschaffen können.

      Als Herr Kleinermann eines frühen Morgens wie zufällig zum Fenster blickte, sah er eine Person vor dem früheren Geräteschuppen stehen, ein schlecht gekleideter Mann von unbestimmtem Alter. Er streckte sich, blinzelte in die Sonne und kratzte sich am Kopf.

      Herr Kleinermann machte das Fenster auf.

      „Hallo, was machen Sie da?“

      Die Person schaute erschrocken hoch und war dann blitzschnell verschwunden.

      War da nun jemand gewesen oder doch nicht? Er schloss das Fenster und ging hinaus um nachzuschauen.

      Der Schuppen war verschlossen wie immer, mit einem einfachen Riegel von außen. In dem Verschlag konnte er keine Veränderung entdecken, das Brennholz und der alte Trödel standen unverändert.

      Seltsam, dachte Herr Kleinermann, er hatte doch ganz deutlich gesehen, wie jemand vor dem Schuppen stand.

      Er nahm sich vor, die Sache im Auge zu behalten, harkte den Sand am Eingang, um eventuelle Spuren zu sichern, aber als sich die nächsten Tage nichts ereignet hatte, und der geharkte Sand schließlich von Wind und Wetter eingeebnet war, ohne je verräterische Fußabdrücke zu zeigen, vergaß er die Angelegenheit. Vielleicht war es eine Sinnestäuschung, dergleichen sollte ja vorkommen, zumal wenn man dauerhaft allein lebte, auch bestimmte Erkrankungen des Nervensystems könnten sich so oder ähnlich ankündigen, wusste er. Darin kannte er sich jedoch nicht weiter aus. Er sollte sich vielleicht informieren. Aber auch das vergaß er bald.

      Doch als er nach geraumer Zeit aus irgendeinem Grund den Verschlag betrat, kam ihm darin etwas verändert vor. Er hätte nicht sagen können, was, aber es war, als hätte hier jemand Staub gewischt. Lagen sonst nicht immer einige Steinchen im Gang oder zufällige Holzsplitter?

      Er suchte nach weiteren Veränderungen. In der Ecke fand er etwas, das sich als alte Decke erwies. Hatte das Bündel schon immer hier gelegen? Er konnte sich nicht erinnern, möglich schien es durchaus, er hatte nie auf solche Einzelheiten geachtet. Möglicherweise hatte hier aber auch ein Landstreicher genächtigt oder ein Obdachloser. Vielleicht jener Mensch von damals? Den gab es dann vielleicht doch?

      Herr Kleinermann beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen.

      SIE MÜSSEN SICH NICHT VERBERGEN. SIE DÜRFEN HIER SCHLAFEN schrieb er in großen Buchstaben auf ein Blatt, das er in den Gang legte.

      Am nächsten Tag schaute er nach: Alles war unverändert. Entweder war kein Gast erschienen, oder so spät, dass er den Zettel in der Dunkelheit übersehen hatte. Man müsste etwas erfinden, das die Anwesenheit einer Person unzweifelhaft beweisen konnte. Etwas Essbares schied aus, das würden auch Fuchs und Marder nehmen.

      Ihm fiel ihm ein Trick a la James Bond ein: Ein Haar, das beim Öffnen der Tür zwangsläufig reißen musste. Aber woher nehmen? Er selbst hatte kaum noch welche, und was da eventuell stand, hatte er immer kurzgehalten. Aber er könnte einen dünnen Holzspan an die Tür lehnen.

      Dann aber erschrak er vor sich selbst. Ging es hier etwa darum, ein wildes Tier zu fangen?

      Er versuchte gar nicht erst, eine Rechtfertigung für seine Gedanken zu finden, er fühlte sich einfach beschämt. Der Zettel war ja bereits eine ungeheure Überheblichkeit – er erlaubte jemandem, im Abstellschuppen zu schlafen?

      Er vernichtete das Blatt und formulierte neu: MAN DARF SICH HIER NATÜRLICH AUFHALTEN WENN MAN MAG und heftete es außen an die Tür. Alles andere überließ er fortan dem Lauf der Dinge. Er verbot sich, das Plakat überhaupt zu sehen, und nach einiger Zeit hatten Regen und Wind auch diese Botschaft mitgenommen, die Angelegenheit war erledigt.

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