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Der Physicus. Volker Schmidt, Prof. Dr.
Читать онлайн.Название Der Physicus
Год выпуска 0
isbn 9783347066137
Автор произведения Volker Schmidt, Prof. Dr.
Жанр Контркультура
Издательство Readbox publishing GmbH
Was es Robert anging, wusste Sir Lorradale natürlich nicht, es war ihm auch egal, zumal er Robert’s Gedanken sowieso nicht kannte. Er freute sich aber sehr über diese großzügige Bestellung und rannte sofort los um einige seiner Angestellten zu holen, die ihm beim Verpacken zur Hand gehen sollten. Doch Robert’s Bestellung war noch nicht zu Ende und er rief dem Verkäufer noch mehr hinterher. »Und ich benötige zwei, besser drei Säcke von eurem Schwarzpulver, das ihr unter eurer Theke versteckt haltet« sagte er hastig, noch bevor der dicke Mann durch die Hintertür verschwunden war.
Der drehte sich drei- oder viermal um und suchte nach anderen Zuhörern, fand aber keine. Dann wiegelte zur Vorsicht ab. »Es gibt kein Schwarzpulver, oder wie ihr es nennt, unter meiner Theke« sagte er. Wieder schaute er sich um. Daraufhin zog Robert einen Beutel mit Goldmünzen aus seinem Umhang hervor und plötzlich wurde der kleine Mann ganz umgänglich. »Nun, in diesem Fall könnte ich vielleicht etwas von dem Besagten finden« murmelte er und man sah seine Augen förmlich zucken.
Sir Lorradale verschwand kurz und kam danach mit einigen Helfern wieder zurück. Zügig wurden alle Gegenstände zusammengepackt, und völlig unaufgefordert ging der Junge Robert zur Hand. Als hätte er in seinem ganzen Leben nichts anderes gemacht, schleppte er die erworbenen Säcke und abgepackten Beutel vor die Tür und nach kurzer Zeit hatten sie sämtlichen Proviant auf Robert’s Einachser geladen. Der hatte die ganze Zeit geduldig vor dem Laden gestanden. Als gerade niemand in der Straße zu sehen war, versteckte Robert das erworbene Schwarzpulver unter dem Wagen »Nur um sicher zu gehen, dass eine eventuelle Durchsuchung nicht auch noch zu unnötigen Fragen führt« sagte er zu dem Jungen, doch der war bereits wieder in den Laden gelaufen und holte den Rest der Verpflegung. Mit solchen Durchsuchungen musste man immer rechnen, insbesondere wenn man ein Schiff zum Festland besteigen wollte. In dieser Zeit war es nicht ganz so einfach nach Frankreich zu kommen, denn es wimmelte nur so von lästigen Kontrollen.
Als alles verstaut war, blickte Robert dem schweigsamen Jungen tief in die Augen und mutmaßte drauf los. »Ich weiß nicht, wer oder was dich zu mir geschickt hat, aber ich ahne, dass du ein paar Probleme hast.« Der Junge sagte nichts. »Wahrscheinlich gehe ich nicht fehl mit der Annahme, dass niemand daheim auf dich wartet.« Das war nicht sehr schwer zu erraten gewesen, wenn man bedenkt, dass der Junge leicht verwundet war und trotzdem ziellos durch Londons Gassen streifte, anstatt sich von einem Bekannten verarzten zu lassen. Das sah der Junge wahrscheinlich genauso, denn noch immer gab er keinen Ton von sich. Er stand nur regungslos da und schaute zu Robert auf. »Ich erkenne momentan auch nicht den Grund für dein Schweigen, aber ich glaube, dass du mehr im Kopf hast, als aus dir herauskommt. Und dass du gut anpacken kannst, hast du eben eindrucksvoll unter Beweis gestellt … Also ich’s sag’s mal frei heraus. Ich würde mich freuen, wenn du mich ein wenig begleiten würdest. Vorausgesetzt natürlich, du hast nichts anderes vor? … Wie du eben selbst gehört hast, habe ich Proviant für Zwei gekauft. Wenn du also willst, kannst du die zweite Person sein. Ich könnte eine helfende Hand und vor allem etwas Unterhaltung gebrauchen. Für das letztere müsstest du allerdings mal den Mund aufmachen« Robert wartete auf eine Antwort, aber es kam nichts aus dem Jungen heraus. »Ich deute dein Schweigen mal so, dass du innerlich noch nicht abgelehnt hast. Deshalb hier noch eine Warnung … Meine Reise dauert lange – Monate, vielleicht sogar Jahre - und sie wird anstrengend. Sie könnte gefährlich werden, aber auch aufregend und vielleicht wird sie sich für uns lohnen. Versprechen kann ich aber nichts.« Robert wartete wieder auf eine Antwort, aber es kam noch immer keine Reaktion. »Sehr gesprächig bist du ja nicht gerade. Das mit der Unterhaltung wird wohl schwieriger, als ich mir erhofft habe. Aber deine zerlumpten Kleider sagen mir mehr, als du selbst. Wenn ich noch weiter vermuten darf?«
Und diesmal kam eine Antwort, wenn auch nur eine stille, denn der Junge nickte mit seinem Kopf.
»Na immerhin« nahm Robert zur Kenntnis. »Verstehen kannst du mich offenbar. Das ist ein Anfang. Also, wenn ich mich nicht völlig irre, dann bist du gerade eben von einem Kriegsschiff geflüchtet, desertiert womöglich. Wahrscheinlich hat man dir kurz vor dem Sprung ins rettende Wasser noch eine Kugel verpasst. Daher die Verletzung und die Schmauchspuren in deinem Gesicht. Und du kamst in den Laden, weil du dich vor den Rotröcken verstecken wolltest, die dich jetzt suchen und am höchsten Fahnenmast aufknüpfen werden, wenn sie dich finden. Stimmt das soweit?«
Der Junge war derart erstaunt über die Beschreibung, die Robert gegeben hatte, dass er sich auf der Stelle umdrehte und wegrannte, aus Angst er könnte einem Fänger oder einem heimlichen Rotrock auf den Leim gegangen sein. Offenbar hatte Robert nicht nur ungefähr ins Schwarze getroffen, sondern exakt die Begebenheit der letzten Stunden wiedergegeben, und das machte dem Jungen mehr Angst, als er momentan zu ertragen im Stande war.
»Warte, bleib’ stehen« rief ihm Robert hinterher. »Es ist mir egal, was du angestellt hast. Komm’ zurück.« Doch der Junge blieb nicht stehen, sondern rannte wie der Teufel die Straße hinauf und um die nächste Häuserecke. »Tja, schade« dachte Robert. »Da ist mir doch glatt die Begleitung abhandengekommen. Dann war Sie wohl doch nicht daran beteiligt? Und mit wem teile ich jetzt den Proviant? … Na ja, besonders unterhaltsam war er ja eh nicht« waren seine letzten Gedanken, bevor er seinen Karren langsam in Bewegung setzte und in Richtung Hafen fuhr.
Kurz darauf, Robert war noch nicht allzu weit gefahren, kam der Junge wieder um die gleiche Ecke gerannte, diesmal aber aus der anderen Richtung und jetzt noch schneller, als schon zuvor. Und ohne ein Wort oder ein Zeichen der Erklärung zu verlieren, sprang er mit einem gekonnten Satz hinten auf den Pferdekarren auf und versteckte sich dort unter dem Proviant.
»Na was. Da bist du ja wieder« sagte Robert verwundert. »Und was hat deine Meinung geändert?« fragte er. Doch der Junge antwortete ihm nicht, sondern kroch unauffällig weiter bis hinter die Sitzbank. Als sich Robert umdrehte, um zu sehen vor wem sich der Junge versteckte, sah er etwa zehn Rotröcke um die gleiche Ecke marschieren, die der Junge zuvor schon genommen hatte. Sie gingen im Gleichschritt und waren bewaffnet mit Musketen und Bajonetten. Aber sie schienen kein Interesse an einem kleinen Dreikäsehoch oder Robert’s Karren zu haben, so dass er die Fahrt einfach fortsetzte und sich nicht weiter darum kümmerte. »Du kannst rauskommen.« sagte er. »Sie interessieren sich nicht für dich.« Doch der Junge blieb in seinem Versteck - er zitterte am ganzen Leib.
»Merkwürdig« dachte Robert. Er wurde aus seinem Verhalten noch nicht ganz schlau und er konnte nur vermuten, dass er mit seiner Geschichte nicht ganz falsch lag. Bestätigt hatte der Junge sie jedenfalls nicht, aber auch nicht verneint. Eigentlich hatte er überhaupt noch nichts gesagt.
Die beiden durchfuhren das alte Viertel in Richtung Hafen, und Robert überlegte, ob er vielleicht mit seiner Vermutung völlig danebengelegen hatte. »Vielleicht ist er auch einfach nur ein sturer Hund« dachte er und lenkte den Karren durch eine kleine abschüssige Gasse, über der ein Torbogen ihren Weg kreuzte.
Neben ihnen standen in einer Reihe fort, alte Fachwerkhäuser. Zu beiden Seiten begrenzten sie die Straße und den Rinnstein, der in der Mitte abschüssig zur Themse lief. Ein kleiner Junge, mit blonden Haaren, stand mit dem Rücken zu ihm auf dem Rand eines Torbogens, der in vier oder fünf Metern Höhe die Straße überquerte. Er hatte seine rote Hose heruntergelassen und fuchtelte gerade nervös an seiner Unterhose herum. Robert, noch immer völlig in Gedanken, starrte nur auf die vor ihm liegende Straße und beachtete den Jungen erst gar nicht. Plötzlich, und ohne dass Robert eine Vorahnung gehabt hätte, dreht sich der kleine Junge zu ihm um und pinkelte eilig dem Torbogen hinunter. Er zielte scheinbar genau auf den unter ihm fahrenden Karren, auf dem Robert gerade noch rechtzeitig das Pferd zum Galopp antreiben konnte. Nur eine Sekunde später begann es hinter ihm auch schon gelb zu regnen.
»Das war knapp«