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Der Physicus. Volker Schmidt, Prof. Dr.
Читать онлайн.Название Der Physicus
Год выпуска 0
isbn 9783347066137
Автор произведения Volker Schmidt, Prof. Dr.
Жанр Контркультура
Издательство Readbox publishing GmbH
»Ein Turnier vielleicht« dachte sie. Sie hatte schon mal davon gehört, dass ab und zu auch Bauern Turniere veranstalteten, dann meist auf einem Esel oder einer Kuh, und anstatt einer richtigen Lanze wurden stumpfe Äste verwendet, oder statt Schwertern auch mal eine Mistgabel oder Äxte. Aber das waren nur Gerüchte, und bisher hatte sie das für puren Unsinn gehalten. Beobachtet hatte sie so etwas jedenfalls noch nie, und außerdem hatte man doch andere Dinge zu tun, die wichtiger waren, als Ritter zu spielen. Immerhin waren die ja auch schon seit der Erfindung der Armbrust fast gänzlich verschwunden und daher eigentlich gar keine richtigen Vorbilder mehr. Doch jetzt, da sie ein solches Loch vor sich hatte, war sie sich nicht mehr sicher. Vielleicht gab es diese Bauernspiele tatsächlich, aber »… wie schnell muss denn ein Esel rennen, damit man mit einem stumpfen Ast eine solche Wunde reißen kann?« fragte sie sich. Julie hatte keine Erklärung für diesen merkwürdigen Vorfall. Andererseits hatte sie auch festgestellt, dass der Mann sturzbetrunken war. Er stank wie ein Fass Rum und ohne diesen hätten ihn die Schmerzen sicher schon lange umgebracht.
Vorsichtig schob sie ihre Hände in den Bauchraum und unter den Magen und wusch alles mit einer Mixtur aus Brandwein und Heilsalbe aus. Da der Mann sowieso schon halb tot und im Delirium war, merkte er nichts von dieser Prozedur. »Er hält sich gut. Vielleicht überlebt er es doch« sagte Julie verwundert. »Kannst du sehen, was ich tue. Es hat nichts mit Schwarzer Magie zu tun.« Die Dirne nickte und ließ wieder etwas Brandwein von oben in den Bauchraum hineintropfen, damit Julie diesen zum Reinigen verwenden konnte, ohne dafür die Tücher oder ihre Hände aus dem Mann herausnehmen zu müssen. Jede unnötige Bewegung musste unbedingt vermieden werden. »Das machst du sehr gut« lobte Julie und schnürte das Band zwischen ihnen enger.
Der Bauch war mittlerweile schon einigermaßen sauber und frei von dem ekelerregenden Eiter, als sämtliche offenen Wunden erneut zu saften begannen. »Das wird heute Nacht noch öfter so gehen« versprach Julie und wusch den Lappen im heißen Kräuterwasser aus, bevor sie erneut mit der Reinigung begann. Nach fünf Stunden lebte der Mann noch immer und endlich gaben die Wunden ein wenig Ruhe. »Er hat gute Aussichten« sagte sie und öffnete einen Beutel mit Paste, den sie in ihrer Tasche hatte. Dann schmierte sie mit dessen Inhalt den Innenraum des Bauches aus, nahm sich anschließend noch einmal den Darm vor und wusch ihn zum Schluss wieder mit Brandwein ab. »Er wird nicht mehr ganz der Alte werden, das ist dir hoffentlich klar.«
Die Dirne nickte und entgegnete zufrieden »… wenn er nur lebt.« Ein kleines Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab.
»Noch hat er es nicht geschafft, aber hoffen kannst du wieder. Die Salbe wird die Wunden vorerst beruhigen, aber der Bauch muss heute Nacht offen bleiben« erwiderte sie. »Es wird nicht das letzte Mal sein, dass wir ihn reinigen müssen.« Und tatsächlich mussten die beiden den Mann in dieser Nacht noch dreimal von den Flüssigkeiten befreien und die Wunden beruhigen.
Aber am nächsten Morgen, der Mann lebte noch immer, war der Wundbrand abgeklungen. »Die Verletzungen eitern nicht mehr« stellte Julie zu ihrer eigenen Verwunderung fest. Die Operation war besser gelungen, als sie selbst zu hoffen gewagt hatte. Noch vor einigen Stunden hätte sie keinen Centime auf das Überleben des Mannes gewettet, doch dass er die Nacht überstanden hatte, ließ sie hoffen. »Wir können den Bauch jetzt verschließen. Danach bleibt uns nur das Warten« sagte sie und begann dann einen Faden auf die Nadel aufzuziehen. Als der Bauch geschlossen war, rieb sie ihn mit Brandwein sauber und legte Salbe und Kräuter auf die Naht. »Du musst das dreimal am Tag und dreimal in der Nacht machen. Wenn er Morgen noch lebt, hat er gute Aussichten auch die nächste Woche zu überleben« sagte Julie. »Aber decke ihn nicht mehr zu. Die Wunde muss Luft bekommen, und gib auch dem Zimmer etwas Luft. Auch wenn es draußen kalt ist, sollte das Fenster ab und zu geöffnet sein. Leg’ lieber mehr Holz auf … Falls es wieder zu eitern beginnt, rufe mich noch einmal. … Hier nimm auch etwas von meinem Opiat, er muss bis morgen schlafen. Träufle es alle fünf Stunden auf Nase und Mund. Und wechsle die Tücher regelmäßig.«
»Wie kann ich das je wieder gut machen?« fragte die Dirne und schaute Julie ehrfürchtig an.
»Besorge dir einen anderen Beruf, und bezahle mich dann aus deinem ersten Lohn« antwortete sie und ging erschöpft nach Hause. Dort wartete schon eine neue Ladung Wäsche auf sie.
Kapitel II - Astronom wider Willen
Venedig, Dogenpalast
1456 anno Domini, Sommeranfang
Drei geschlagene Stunden wartete Giovanni Patroni bereits auf seine Audienz beim Dogen. Und dass, obwohl er doch der ausgewiesene und sicher sehr ehrenhafte Haus- und Hofastronom war und damit gleichfalls ein hohes Amt im Fürstentum Venedig bekleidete.
Als Giovanni Patroni vor etwa drei Jahren von einer seiner vielen Reisen zurückgekehrt war, beschäftigte er sich fast ausschließlich mit der Beobachtung der Gestirne und dem Lauf der Planeten. Noch ein paar Jahre zuvor hatte er diesem Gebiet der Wissenschaft kaum Beachtung geschenkt, und stattdessen nur seiner Leidenschaft gefrönt - der Chemie und ein wenig auch der Alchimie.
Eigentlich ist „wenig“ maßlos untertrieben, denn Giovanni war ein ausgezeichneter Alchimist, doch die Tatsache, dass er durch seine neuerlichen Himmelsbeobachtungen zu einem hervorragenden Sterndeuter geworden war, hatte ihm zu einer sehr lukrativen Stellung bei Hofe verholfen und die Alchimie gleichzeitig auf die hinteren Ränge verwiesen.
Es ging noch weiter, denn tief in seinem Herzen war Giovanni gar kein überzeugter Astrologe. Sicher konnte er durch diese Tätigkeit sehr viel Geld verdienen und sich ein sehr angenehmes Leben leisten »… schließlich muss man ja auch von irgendetwas leben« war sein Wahlspruch immer. Doch sagte er das eigentlich viel mehr um sein eigenes Gewissen zu beruhigen, denn wirklich glücklich war er mit dieser Art von Arbeit nicht und das spürte man, wenn er wieder einmal beim Dogen saß und auf Einlass wartete.
Giovanni Patroni war von Natur aus ein Wissenschaftler, wie man sie sich damals zurecht vorstellte. Vorwitzig, faul und geradezu verspielt mit den Dingen die ihn interessierten. Er war neugierig auf alles, was er nicht kannte, andererseits auch furchtbar desinteressiert, bei Angelegenheiten, die nichts wirklich Neues brachten. Eigentlich war dieses Verhalten für Italiener nichts Untypisches. Aber Giovanni hatte auch für die alltäglichen Dinge keine Zeit und keine Geduld mehr. Immer vergaß er seine Miete zu bezahlen, weshalb er sich plötzlich auf der Straße wiederfand, oder er versäumte die häuslichen Geschäfte rechtzeitig zu erledigen, was ihn dann des Abends mit hungrigem Magen einschlafen ließ. So wie er dann abends ins Bett gegangen war, so wachte er auch morgens wieder auf - knurrend und schlecht gelaunt.
Giovanni war launisch und man konnte ihn schnell erzürnen, wenn man ihn allzu sehr reizte. Aber sein schlimmstes Übel war seine große Klappe und seine unglaubliche Sturheit. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann führte er es auch durch, egal was ihm dabei im Weg stand. Doch immer öfter, mit zunehmendem Alter, stand er sich nur selbst im Weg. Dann verlor er die Kontrolle über seine Worte, was dann sehr oft in einem verbalen Missgriff endete und ihm anschließend einen Haufen Ärger einbrachte.
Astronomie war seit neustem sein Steckenpferd und diese Wissenschaft brachte er zur Vollendung, mindestens glaubte er das selbst von sich. Giovanni war kompetent und belesen, wusste mehr als die meisten seiner Kollegen und machte leider auch keinen Hehl daraus. Und im Grunde konnte er auch stolz auf sich sein, nur hätte er dabei etwas weniger forsch sein sollen, dann wäre ihm sicher einiges erspart geblieben.
Giovanni war eine stadtbekannter Physicus, und das nicht nur, weil er überaus intelligent und behände im Umgang mit neuartigen Experimenten war. Er war spendabel bei den Frauen, rechthaberisch bei den Männern und beliebt bei den Kindern, denen er immerzu Geschichten von weit entfernten Ländern erzählte. Hin und wieder wurden ihm Arroganz und Überheblichkeit unterstellt. Doch das beachtete er nur wenig und tat es dann mit einer Handbewegung ab. „Einfallspinsel« nannte er die Schwätzer, ging nach Hause und trank ein oder zwei Gläser Wein. Wenn man es genau bedenkt, hätte Giovanni Patroni einen durchaus akzeptablen Adligen abgegeben. Eigensinnig genug,