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Der Physicus. Volker Schmidt, Prof. Dr.
Читать онлайн.Название Der Physicus
Год выпуска 0
isbn 9783347066137
Автор произведения Volker Schmidt, Prof. Dr.
Жанр Контркультура
Издательство Readbox publishing GmbH
Der Mann musste es schaffen, das war die einzige einigermaßen sichere Möglichkeit diese Situation selbst unbeschadet zu überstehen. Trotzdem, Überlebende waren nur manchmal dankbarer als Tote, weshalb sie ihrer Bestimmung nur versteckt und sehr heimlich nachgehen konnte, so wie es auch schon ihr Vater und dessen Vater getan hatten. Von den beiden hatte sie alles gelernt und nichts tat sie lieber, als ihrer wahren Bestimmung nachzugehen. Aber leider war das meist etwas gefährlich. Denn ein Medicus war sie nicht, aber gebraucht wurde sie umso mehr, denn die Wenigsten hatten genug Geld um sich einen professionellen Heiler leisten zu können. Und so tat sie, worum sie gebeten wurde. Es war eben ihre Bestimmung die Hilflosen medizinisch zu versorgen.
»Ich bin nicht sicher, ob ich hier noch viel ausrichten kann«, versuchte Julie die Dirne auf den Tod vorzubereiten.
»Bitte, tun sie etwas. Wenn er stirbt, bin ich auch so gut wie tot« flehte sie Julie an. »Er gibt mir Schutz vor den Freiern, und ein Dach über dem Kopf. Er darf nicht sterben.«
»Ich verstehe.« sagte sie. »Trotzdem gibt es nur wenig Hoffnung, aber wenigstens die will ich ihnen geben.« Julie stand vom Bett auf, und holte Papier, Feder und ein Tintenfass heraus. Dann setzte sie sich an den Tisch, schrieb etwas auf den Zettel und gab es der Frau. »Geh’ zum Medicus und gib ihm dieses Papier.«
»Aber ich kann nicht lesen«, entgegnete die Dirne.
»Das wird auch nicht nötig sein, gib ihm nur den Zettel. Er wird dir einige Dinge mitgeben. Bring’ sie zu mir«, sagte Julie.
»Aber das kann ich mir nicht leisten, so viel Geld habe ich nicht« erwiderte die Dirne abermals.
Julie schaute mit verzogener Miene zur Dirne und kramte dann in ihrer Tasche »… hier, nimm das. Das sollte ausreichen. Für den Rest kaufe Brandwein … und schicke mir eine deiner Kolleginnen hinauf. Am besten eine, die nicht gleich umkippt und was vertragen kann. Sie soll mir zur Hand gehen, bis du wieder zurück bist. Aber beeile dich, wir haben nicht viel Zeit.« Die Dirne wollte gerade das Zimmer verlassen, als Julie noch einmal nachfragte. »Noch etwas … wo bekomme ich hier sauberes Wasser?«
»Sauberes Wasser? Nur am Fluss. Ich werde jemanden danach schicken« sagte sie, drehte sich um und ging hastig die Treppe hinunter.
Kurze Zeit später kam eine stämmige Frau die Treppe hinauf. Sie hatte sehr kräftige Oberarme und doppelt so dicke Schenkel. Ihr Hintern und ihre Brüste waren mächtig ausstaffiert und kaum zu übersehen. Die Frau war tatsächlich eine Kollegin der Dirne, denn ihr rot gefärbtes Haar fiel lässig auf ihre breiten Schultern, während ihre Brüste ein wenig über das enganliegende Kleid hinausragten. Und diese hier übte ihr Geschäft schon etwas länger aus, denn ihr Gesicht glich mehr einem runzligen Apfel als einem pelzigen Pfirsich.
Die Alte hatte einen Eimer mit Wasser in der Hand, den sie gleich am Kamin abstellte. »Ihr braucht mich?« fragte sie hart und blickte auf den Bauch des Mannes. Gleichzeitig nahm sie einen kräftigen Atemzug, hielt sich am Rand des Kaminsimses fest, senkte den Kopf vorneüber und übergab sich in hohem Bogen in die Ecke.
»Gut« sagte Julie. »Das hätten wir also auch schon erledigt. Dann kannst du mir ja jetzt helfen.«
»Verzeiht mir« erwiderte die Alte verlegen.
»Du musst dich nicht grämen, das geht vielen so. Und jetzt brauche ich heißes Wasser. Schnell« sagte Julie, die dem Mann gerade im Bauch herumwühlte und die Därme zu ordnen versuchte. »Mach Feuer und leg‘ zwei Zähne zu.«
Die beleibte Dirne legte Holz nach, fachte das Feuer neu an und hing einen Topf an den Schwenkarm, den sie zuvor mit Wasser gefüllt hatte. Dann schob sie diesen über die Feuerstelle und hängte ihn wie befohlen zwei Zähne tiefer. »Kann ich noch etwas tun, Madame?« fragte sie und blickte ehrfürchtig zu Julie.
»Allerdings. Ich brauche Tücher, saubere«, antwortete sie und suchte dabei aufgeregt in ihrer Tasche herum. »Hier, nimm… .«
»Ich werde welche besorgen« sagte die Dirne schnell und verschwand sogleich aus dem Zimmer. Nach zehn Minuten kam sie wieder und hatte weiße Bettlaken dabei, die sie ganz offenbar einer Waschfrau von der Leine gestohlen hatte. »Wird das gehen?« fragte sie Julie, die sie daraufhin äußerst misstrauisch anschaute.
»Von welcher Leine hast du sie genommen?« greinte Julie verärgert, aber die Dirne antwortete ihr nicht, sondern schaute nur verlegen in ihr Gesicht.
»Ich denke, es wird gehen. Zerreiße die Laken in dünne Streifen und bade sie im heißen Wasser.« Die ertappte Alte tat, was ihr gesagt wurde und verließ das Haus erst, als ihre Freundin wieder vom Medicus zurück war.
»Ich glaube, ich habe alles bekommen, was ihr aufgeschrieben habt, auch den Brandwein. Soll ich ihm den jetzt geben?« fragte sie.
»Nein. Um Gottes Willen. Er darf nichts trinken und schon gar nichts essen. Nicht vor morgen Abend, wenn er dann noch lebt, was ich bezweifle« sagte Julie hastig. »Und jetzt stell das hier neben mir ab … komm, setz dich zu mir.« Julie sah der Dirne tief in die Augen und nahm dann ihre Hände und legte sie in ihre eigenen. »Es wird jetzt etwas unangenehm, aber es lässt sich nicht vermeiden. Wir müssen ihn reinigen … von innen und dabei den Wundbrand stillen.« Dabei suchte sie in den Augen der Dirne nach einer Reaktion. Tiefe Furcht und ungläubiges Staunen blickte ihr entgegen. »Schaffst du das, oder soll deine Freundin es machen?«
Die Dirne schüttelte den Kopf. »Nicht nötig, ich schaffe das.«
Julie war überzeugt, dass der Mann sterben würde, aber auch wenn er diese Prozedur überlebte, wäre es in jedem Fall das Beste, wenn die Dirne dabeistehen und mithelfen würde. Auf diese Weise wäre sie jederzeit im Bilde und die Wahrscheinlichkeit für eine fälschliche Unterstellung, Schwarze Magie angewendet zu haben, schien deutlich geringer. Nur so bestand Hoffnung noch einmal heil aus der Sache herauszukommen.
Nachdem sich Julie ihr bedingungsloses Vertrauen gesichert hatte, gingen die beiden ans Werk. Zunächst hielt die heimliche Heilerin dem Mann ein Fläschchen mit einer rotgelben Substanz unter die Nase, wodurch er augenblicklich die Besinnung verlor und sich nicht mehr rührte. »Das ist Mohn und etwas Binsenkraut, vermischt mit Mandragora. Du kennst es als Alraune. Es wächst hier überall und es hilft bei Schmerzen und lässt Kranke schlafen. Er wird nichts spüren und es hat nichts mit Magie zu tun, verstehst du?« Die Alte nickte. »Nimm jetzt einen der Wäschestreifen und leg es deinem Mann auf Nase und Mund.« Die Frau tat, was ihr aufgetragen wurde und Julie träufelte noch etwas von der Substanz auf das benetzte Tuch.
»Bist du bereit?« fragte Julie die Dirne noch ein letztes Mal und sie nickte stillschweigend. »Sieh dir gut an, was ich jetzt tue« ermahnte die Heilerin, und versicherte sich so noch einmal der Loyalität der Dirne.
Julie griff in den Bauch hinein und nahm den Darm in die Hände, säuberte in und legte Teile davon an die Seite. Neben den Gedärmen, die jetzt teilweise außerhalb des Mannes lagen, strömte auch überall Eiter, Blut und Brandsaft in dem Bauchraum. Julie versuchte das wässrige Gemisch mit den heißen Tüchern aufzusaugen und so die Entzündung zu lindern. »Jetzt kommt das Schwierigste. Wir müssen den Darm reinigen, die Holzsplitter entfernen und die Wunden nähen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er das nicht überleben wird« sagte sie und die Dirne blickte voll Furcht in Julie’s tiefblaue Augen. »Gib diese Kräuter in den Topf mit Wasser und koche sie gründlich. Dann tunke die Tücher noch einmal darin und umwickle den Darm damit. Das wird die Entzündung etwas lindern. Ich werde derweil versuchen die Splitter zu entfernen.«
Julie konnte sich keinen Reim darauf machen. Ein so großes Loch im Bauch und dann auch noch überall diese Splitter. »Wie um Himmels Willen kann so etwas passieren?« fragte sie sich,